Die Revolution ist ein langer, ruhiger Fluß

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Der träge Marsch des Commandante: Steven Soderberghs Film über Ernesto "Che" Guevara zeigt in seinem ersten Teil die Entstehung eines Don Quixote-Helden zwischen Zombie und Tarzan

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"Che", dies gleich vorweg, ist ein einziger Film, auch wenn er jetzt in zwei Teilen ins Kino kommt. Ähnlich wie seinerzeit bei Quentin Tarantinos "Kill Bill" ist das Ergebnis allerdings so lang geraten, dass es heute kein Verleih mehr wagt, ihn wie einst "Ben Hur", "Lawrence von Arabien" oder "Novecento" am Stück ins Kino zu bringen: rund viereinhalb Stunden. Die Gliederung des Films entspricht den Vorstellungen aus Antike und Mittelalter über den Stufengang des menschlichen Lebens, das in der Mitte seinen Zenit erreicht: "Che - El Argentino" heißt der erste Teil, in Deutschland naiver "Che - Revolución". Er erzählt angelehnt an das "Kubanische Tagebuch" von den drei Jahren in den Bergen der Sierra Maestra, von Ernesto "Che" Guevara, bevor er im Bolivianischen Dschungel einen Versuch der Wiederholung des Guerillakriegs wagte, der kläglich scheiterte und mit dem Tod Guevaras und der Wiedergeburt als Mythos „Che“ endete. Das "Bolivianische Tagebuch" und das Scheitern der dortigen Versuche, der Abstieg also, sind dann das Thema von "Che - Guerilla" der Ende Juli in die deutschen Kinos kommen soll.

Der Mythos verbirgt nichts und stellt nichts zur Schau. Er deformiert. Er ist weder eine Lüge noch ein Geständnis. Er ist eine Abwandlung.

Roland Barthes

Man kann es sich ganz leicht machen, und sagen, Steven Soderbergh habe einfach nicht verstanden, was es mit dem Mythos "Che Guevara" auf sich hat. Er habe einfach nicht verstanden, dass ein Mythos nie falsch sein kann. Aber können wir diesen Regisseur so gering schätzen, der doch zuvor in vielen seiner Filme bewiesen hat, dass er jedenfalls weiß, was er tut. Spricht nicht die Tatsache, dass Hollywood-Independent Soderbergh ("Traffic", "Ocean's Eleven") zehn Jahre an diesem Film gearbeitet hat, eine andere Sprache, deutet sie nicht darauf hin, dass er sich sehr genau überlegt hat, was er hier zeigt und warum?

Lang, sehr lang ist dieser Film erwartet worden. 60 Millionen Dollar hat er gekostet. Und wie, um diese ganze Anstrengung und ihre Kosten zu dokumentieren, ist der fertige Film jetzt gleichfalls lang, sehr lang geworden. Geglückt ist der Film trotzdem nicht, und es erstaunt auch, wie wenig man von dem Geld, das er gekostet hat, am Ende sieht.

Guevara's Eleven

Che im Dschungel. Der Mann keucht ziemlich stark, vor allem zu Beginn des Films, sicher auch damit die Zuschauer schnell begreifen, dass der Mann Asthma hat. Und vielleicht noch denken: "Was für ein Exempel an Selbstüberwindung!" Trotz Asthma hat Che ziemlich oft einen Zigarrenstumpen zwischen seinen Zähnen. Mal ist der Dschungel so dicht, dass ein Buschmesser zum Einsatz kommt, dann wieder ist der Blick offen für den Weg, der noch vor ihm und seinen zunächst nur elf Weggefährten liegt.

Zwischenüberschriften informieren die Zuschauer über die Fortschritte der Weltrevolution: "367 km nach Havanna", "287 km nach Havanna" und so fort. Von den vier Stunden und zweiundzwanzig Minuten, die Steven Soderberghs zweiteiliger Film "Che" dauert, befinden sich Film und Zuschauer etwa dreieinhalb Stunden gemeinsam mit dem "Commandante" im Dschungel. Irgendwann müssen mal Verräter erschossen werden. Recht hat er. Von den zweifelhaften Seiten in Guevaras Biografie zeigt der Film nichts. Die kommunistische Revolution, die doch nur mit Generalstreiks in den Städten und einer Massenerhebung erkämpft werden konnte, wird hier zur Leistung eines Einzelkämpfers und seines Adjudanten Fidel.

Soderbergh folgt dem historischen Ablauf der Ereignisse nahezu chronologisch. Dazwischen werden in Schwarzweiß als Rahmen Passagen der berühmten Rede bei der UNO hineingeschnitten - "Socialismo o muerte!" -, nachgestellt natürlich wie der Rest des Films, der fast völlig auf Dokumentaraufnahmen verzichtet. Dazwischen sieht man auch zweimal Momente eines Abends im Jahr 1955, an dem Che von Fidel Castro der Legende nach für die Revolution gewonnen wurde. Und eine Szene mit Weib und Kindern, mehr nicht.

Viele interessanteste Teile der Lebensgeschichte des Argentiniers Ernesto "Che" Guevara spart Soderbergh konsequent aus: Nichts über den Aufstieg Ches innerhalb der kubanischen Revolution. Nichts über das durchaus gespannte Verhältnis zu Fidel Castro. Nichts über seine Zeit als kubanischer Minister. Nichts über die Monate in Afrika. Nichts über die Hintergründe der Bolivienmission. Nichts überhaupt über Beweggründe, Motive. Nichts über seine Kindheit. Keine Psychologie. Keine Küsse mit Frau Aleida oder Tamara Bunke (gespielt, nebenbei bemerkt, von Franka Potente: Insgesamt hat sie sechs Szenen und ein Dutzend Sätze). Wenn überhaupt, dann erlebt man Che als den Spaßverderber der Revolution, der Askese predigt, der seinen Mitstreitern jedes noch so kleine Vergnügen, auch in der Stunde des Sieges, versagt.

Diese Reduktion ist zweifellos Konzept und so konsequent, dass man dahinter ein System vermuten muss: Soderbergh hat einen Film gemacht, der streng auf der Grundlage von Guevaras zwei Tagebüchern basiert: Dem "kubanischen Tagebuch" und dem bolivianischen, das zwei Tage vor Che's Tod abbricht.

Che - der Zorn Gottes

Ursprünglich hätte Terrence Malick Regie führen und Soderbergh nur produzieren sollen. Allein das letzte bolivianische Kapitel, sollte im Zentrum stehen. Das wäre interessant geworden, da Malick ("The Thin Red Line", "The New World"), der Existenzphilosoph des Kinos und Heidegger-Übersetzer, noch jeden seiner Stoffe mythisch aufgeladen hat. Eine modernere Version von Herzogs "Aguirre - der Zorn Gottes" wäre möglich gewesen. Aber nichts davon passierte. Soderberghs Authentizitätsgestus - Handkamera, fiktiver Dokumentarismus - ist nur Schein: Der Castro-Darsteller hat einen mexikanischen Akzent, der eher parodistisch wirkt, ansonsten spricht man marktgerechtes Spanglish.

Stilistisch wirkt alles dann doch nur wie eine schlechte Fernsehdokumentation - voller Reenactment. Ohne Dramaturgie, ohne Spannung, ohne Fokus, ohne Idee, ohne Mut, ohne Esprit. Ein langatmiges, träges Stück Film, das in einer Weise missglückt ist, wie es dann angesichts der Voraussetzungen und Umstände doch überrascht. Bestenfalls wirkt alles ein bisschen wie die Mainstream-Version eines Straub-Films: Grüner Wald, grüne Blätter, das Rauschen des Windes und unter Bäumen Menschen, die ununterbrochen etwas deklamieren, was inhaltlich oft belanglos ist. Hier wenigstens nicht mit dem Rücken zum Zuschauer. Dieses Neutralisieren und Entleeren immerhin ist interessant und muss wohl Absicht sein. Nur fragt man sich, wofür das alles? Warum einen Film, der alle schönen und hässlichen und abgründigen Seiten seines Gegenstandes ignoriert?

Ganz offensichtlich will Soderbergh die Realität hinter dem Mythos zeigen: Revolution ist letztendlich ziemlich langweilig und unspektakulär. Sie braucht Zeit und strengt an. Trost bietet nicht Marx, sondern nur die Natur. Auch wenn wir das eher bezweifeln: Es mag schon sein, dass Revolution langweilig ist. Aber muss es der Film deshalb auch sein? Soderberghs "Che" ist eigentlich nur das gestammelte Geständnis, dass ihm zu seinem Gegenstand aber auch gar nichts eingefallen ist, dass er zu Guevara aber auch überhaupt nichts zu sagen hat, dass er in ihm keinerlei Gefühle auslöst, nicht Liebe, nicht Hass, keine Gedanken und keine Position.

Als Che im Film von einer Journalistin gefragt wird, welche Eigenschaft es sei, die vor allen anderen einen guten Revolutionär ausmache, antwortet er "Liebe". Das ist der Schlüssel auch zu Soderberghs Film: Von Liebe ist hier nämlich nichts zu spüren. Nie wird das Charisma klar, über das Che Guevara doch ganz offenkundig verfügte, nie versteht man die Realität des "Mythos Che". Aber über die Widersprüchlichkeit der realen Figur erfährt man auch nichts. Was bleibt, ist ein reichlich geschöntes, dabei aber immer völlig blutleeres Tagebuch Che Guevaras.

Vom Tarzan zum Zombie

Im ersten Teil erscheint Che dabei noch als Tarzan der Revolution, als starker Mann des Dschungels, ein allen Mitkämpfern überlegener Übermensch. Im zweiten Teil wird er dann zum Zombie zum zunehmend Ausgelaugten, dem man den kommenden Tod schon viele Filmminuten im Voraus ansehen würde, wenn man es nicht sowieso wüsste. Dieses Zombiehafte ist allerdings, um Missverständnissen vorzubeugen, keineswegs eine These Soderberghs - das wäre ja noch interessant.

Was könnte dahinterstecken? Soderbergh will das Bild Che Guevaras entromantisieren. Aber was ist das Interessante am Mythos? Das Unmythologische? Was ist das Interessante an der Ikone? Die Wirklichkeit? Was ist das interessante an der Coolness? Die Wärme? Wenn "Che" vom Mythos handeln will, dann muss er auch vom Mythos handeln. Stattdessen stellt er nur recht plump ein paar Szenen aus einer sehr begrenzten Wirklichkeit auf die Leinwand. Wenn Soderbergh aber Wirklichkeit erzählen will, braucht er Fakten, Inhalte, Gründe.

Am Ende tut er keines von beidem. Che tritt uns hier nicht als Nietzschescher Übermensch und Seher vom Berge entgegen, aber auch nicht als Schurke oder Depp. Er wird zum weißen Blatt, das wir beliebig beschreiben können, das aber am Ende immer weiß und undefiniert bleibt. Denn einen Gestus hat der Film: Den irgendwelche Interpretationen zurückweisen zu können.

Genau diese Erfahrung spiegeln auch die bisherigen Texte zum Film. Da argumentiert Gerd Koenen in der „Zeit“ mit durchaus sehr guten Gründen dafür, ein Heldengemälde gesehen zu haben, das alle sündhaften Seiten ausblende, und legt dar, dass der Film "nichts vom düsteren Existenzialismus, mit dem Guevara die Exekutionen halbwüchsiger Guerillasoldaten oder junger Bauern wegen bagatellhafter disziplinarischer Vergehen kommandiert und selbst beschrieben hat" zeige.

Dominik Kamalzadeh vom Wiener "Standard" hingegen sieht Soderbergh "wie ein Archäologe" vorgehend, "der aus dem Bildergrab, in dem Che längst als millionenfach ausgebeutete linke Popikone ruht, einen lebendigen Menschen ausheben will. Nicht die Mythenbildung um Che interessiert ihn so sehr, vielmehr das Gegenbild, der praktisch veranlagte Mann der Tat, der die großen Bühnen der Politik anderen überlassen hat." Und auch Wolfgang Hamdorf im "Filmdienst" bescheinigt Soderbergh einen "sehr zurückhaltenden Umgang mit dem revolutionärem Pathos: Er verzichtet auf die großen Momente der Revolution, weder werden die Landung der Revolutionäre im Osten Kubas noch der triumphale Einmarsch in Havanna gezeigt."

Soderberghs "Che" ist latent revisionistisch, ein Che unseres Zeitgeists

Soderbergh zeigt Che als Don Quixote, als Kämpfer von der traurigen Gestalt, der aus heutiger Sicht nur Sinnloses tut. Dieses entleerte, entromantisierte Bild entspricht ganz unserem Zeitgeist und der Tendenz des neuesten Umgangs mit Politischem im Kino: Das Aufwerten (und Mythisieren?) der Schurken - vgl. "Il Divo" - , das Abwerten der Ikonen, und dem allgemeinen Boom des Revisionismus, der ideologischen, obschon auch bereits wieder abgetragenen Behauptung vom "Ende der Ideologien": Wer weiß, was links ist? Wer glaubt überhaupt heute noch an die Leuchtkraft von Gedanken? Daran, dass es Dinge gibt, für die es sich zu sterben lohnt? Und wer konnte Walter Salles' Portrait des Revoluzzers als junger Mann im Roadmovie "The Motorcycle-Diaries" vor ein paar Jahren schon als politischen Film wirklich ernst nehmen?

Soderbergh dagegen zeigt Guevara, den Kommunismus und die kubanische Revolution so, wie man sie sich heute vorstellt: Ein bisschen lächerlich, unverständlich und vor allem sehr sehr fern von uns. Soderbergh will sein Publikum nicht unterhalten, sondern ihm diese Erfahrung schenken.