Unwissend und stolz darauf

Die Bundesfamilienministerin zeigt beim Thema "Netz gegen Kinderporno" deutlich, was ihr fehlt: Sachkompetenz

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Es war eine Steilvorlage: Im Interview mit Spiegel Online (genauer: mit Frank Patalong und Hilmar Schmundt) äußerte sich Ursula von der Leyen einmal wieder zum Thema Netzsperren und zeigte in zwei Sätzen besonders deutlich, dass sie nicht weiß, wovon sie spricht, und stattdessen gerne mit Vermutungen und zusammengereimten Ideen hantiert. Bedauerlich ist, dass weder Herr Patalong noch Herr Schmundt diese Gelegenheit nutzten, um Frau von der Leyen zu entlarven. Zwar ist dies hinsichtlich der Zahlen und Daten, die die Familienministerin weitergibt, bereits offensichtlich, doch gerade, was die Ministerin über das "Netz gegen Kinderporno" nicht wusste, war sehr aussagekräftig.

Auf die Frage: „Aber wieso machen Sie keinen Gesetzesvorschlag für die konsequente Polizeiermittlung im Internet gegen Kinderporno-Hersteller?“ antwortete sie mit folgenden Sätzen:

Die Polizei hat bereits eine Ermittlungsbefugnis. Das Problem ist, dass Kinderpornografie international nicht hinreichend verboten und verfolgt wird. Die Strafverfolgung ist in den letzten Jahren konsequent verbessert worden. Das Schließen von Anbieterservern ist zwar auch verstärkt worden. Da bleibt aber viel zu tun. Das geht nur über internationale Verhandlungen. Nur beim Thema Access Blocking hat es zehn Jahre lang Gespräche hinter verschlossenen Türen gegeben, aber vergebens. Es hat sich nichts getan. Sie hatten auf SPIEGEL ONLINE vor vielen Jahren die Aktion "Netz gegen Kinderporno". Ich frage mich, warum diese Aktivitäten eingeschlafen sind. Wir sollten diese vielbeschworenen Selbstreinigungskräfte des Netzes wiederbeleben.

Die Aktion "Netz gegen Kinderporno" mit den Selbstreinigungskräften des Netzes in Verbindung zu bringen, ist nur möglich, wenn sich jemand nicht die Mühe gemacht hat, sich hierüber zu informieren, sondern lediglich Reizworte aufnimmt und dann Vermutungen anstellt. "Netz gegen Kinderporno" - das klingt nach "Das Internet gegen Kinderporno", nach "das Netz kümmert sich selbst um das Problem", also hört es sich gut an für die Ministerin, die ja offen zugibt, dass sie nicht weiß, warum diese Aktion "eingeschlafen ist".

Ich melde besser nichts, sonst kommt die Polizei auch zu mir

Niemand muss jetzt stundenlang recherchieren, um herauszufinden, was mit dem "Netz gegen Kinderporno" geschah, bereits der erste Link, den Google beispielsweise ausgibt, führt direkt zu der Erklärung, warum das "Netz gegen Kinderporno" seine Arbeit eingestellt hat.

Wie Patrick G. Stößer auf seiner Stopp-Seite korrekt erläutert, war das NgK nicht etwa ein Teil der Selbstreinigungskräfte des Internet, es ging vielmehr darum, diejenigen, die im Netz auf Kinderpornografie stoßen, davor zu bewahren, durch die Meldung dieses Materials mit in die Ermittlungen der Strafverfolgung einbezogen zu werden. Weiterhin waren zu der Zeit, als das NgK von Heise Online, dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FifF), dem Deutschen Kinderschutzbund, Spiegel Online und Stern Online im Jahr 1998 gegründet wurde, die Strafverfolgungsbehörden noch nicht ausreichend mit der Möglichkeit ausgestattet, online solche Kinderpornomeldungen anzunehmen. Das NgK schloss hiermit vorübergehend eine Lücke und bot sich als provisorische neutrale Meldestelle an, die Hinweise auf Kinderpornografie entgegennimmt und weiterleitet.

Die im World Wide Web eingerichtete Meldestelle soll verhindern, dass Bürger aus Angst oder Bequemlichkeit wegsehen, wenn sie im Internet auf Kinderpornografie stoßen.

Die Strafverfolgung, deren Einsatzmöglichkeiten zunahmen, hatte das Problem erkannt, weshalb das LKA Nordrhein-Westfalen (nach Rücksprache mit anderen Landeskriminalämtern) mitteilte, dass gegen Zufallsfinder von kinderpornografischen Schriften in Online-Diensten und Datennetzen generell keine Ermittlungsverfahren mehr eingeleitet werden würden. Somit hatte sich die Arbeit des NgK erledigt, was sich auch heute noch detailliert auf der Seite des NgK nachlesen lässt.

Frau von der Leyen stochert hier also nicht einmal mehr im Nebel herum, sondern ist entweder nicht willens oder nicht fähig (oder beides), sich über das NgK zu informieren, sondern kokettiert im Interview auch noch mit ihrer Unwissenheit, indem sie darüber grübelt, warum das NgK denn eingeschlafen ist.

Was diese Angelegenheit im Vergleich zu all den anderen Lügen und Halbwahrheiten, die die Bundesfamilienministerin verbreitet, so tragisch erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass das NgK durchaus in nächster Zeit wieder benötigt werde könnte. Und daran ist eben die Ministerin (mit)schuldig.

Anfangsverdacht oder: Zurück in die Vergangenheit

Denn während der Debatte um die Netzsperren gab das Justizministerium bekannt, dass durch das Aufrufen einer der Seiten, die durch das Stoppschild blockiert werden, ein Anfangsverdacht gegen die Aufrufenden entstünde. Eine Echtzeitüberwachung sollte hier dann entscheidende Anhaltspunkte liefern. Zwar wurde von dieser Idee wieder Abstand genommen, unklar ist aber derzeit, ob die Provider nicht doch Daten sammeln und ggf. den Strafverfolgern zur Verfügung stellen sollen.

Wenn aber bereits der Aufruf einer gesperrten Seite (warum auch immer) schon zu einem Anfangsverdacht führen kann, was ist dann, wenn eine noch nicht gesperrte Seite nun zufällig gefunden wird? Hierzu schrieb mir eine Leserin meiner früheren Artikel bei Telepolis:

Immer wieder stoße ich in Kommentaren auf das Thema "KiPo Zufallsfunde melden", nicht nur bei Heise. Ich möchte aus einem Gespräch mit einer Bediensteten des BKA's (vor 3 Jahren) zitieren:

*"Es gibt keine Zufallsfunde!"*

So ihre Aussage. Begründet damit, daß explizit Suchbegriffe in Suchmaschinen eingegeben werden müssen, um überhaupt auf annähernd inhaltliche Kontente zu stoßen.

Daraus ergibt sich folgendes Resume: Stößt jemand auf KiPo, - bezeichnet dies als Zufall, wird ihm das als Falschaussage gewertet und unterstellt, er hätte danach gesucht. Somit wird er der Sache verdächtig.

Grund meines Gespräches damals war ein vermutlicher Fund meinerseits. Ich sah es als meine Pflicht diesen Fund zu melden und ließ mich mit der entsprechenden Spezialistin beim BKA verbinden. Wir führten ein sehr ausgiebiges Gespräch über die Gesamtproblematik. Selbst historische Hintergründe blieben mir nicht erspart ("Cesar und die kleinen Knaben", "Die alten Griechen", usw.). Ein Interesse am zufällig gefundenem Objekt zeigte sich jedoch bis zum Beenden des Gespräches nicht.

Wenn dann noch die teilweise sehr fragwürdige Hausdurchsuchungspraxis der Strafverfolger sowie Frau von der Leyens These des "Angefixtwerdens" in die Gleichung einfließen, dann ist das Ergebnis klar: Das Vertrauensverhältnis zwischen denjenigen, die auf Kinderpornografie im Netz stoßen, und der Strafverfolgung ist erneut gestört durch die Netzsperren und die Aussagen der Familienministerin. Meldungen werden womöglich nicht mehr getätigt werden, um nicht sofort als "gefährdeter, angefixter Kinderpornolieberhaber" in die Mühle der Ermittlungen zu geraten und ggf. - wie z.B. bei der "Operation Ore" - irgendwann zwar freigesprochen zu werden, jedoch gleichzeitig vor den Trümmern der eigenen Existenz zu stehen.

Das "Netz gegen Kinderporno" wird wahrscheinlich bald erneut gebraucht

Das jedenfalls hat die Bundesfamilienministerin geschafft: Das "Netz gegen Kinderporno" wird wahrscheinlich bald erneut gebraucht. Und das hat weder etwas mit Selbstheilungskräften des Netzes zu tun, noch ist es etwas, was gefeiert werden sollte. Es ist eher traurig, dass durch die unsinnige und sture Initiative einer nicht ausreichend informierten Ministerin das Rad der Zeit wieder zurückgedreht wird und alles, was unter anderem auch die Initiatoren des NgK erwirkt haben, zerstört wird. Und dies lediglich, um eine Symbolpolitik zu betreiben, die keinem Kind, welches sexueller Gewalt ausgesetzt ist, helfen wird - im Gegenteil.

Es mag sein, dass tatsächlich das Bundesinnenministerium diese Ideen der Netzsperren vorantreibt und Frau von der Leyen nur eine Marionette ist, an deren Fäden andere ziehen. Doch die Familienministerin hat oft genug alle Fakten, Daten und Zahlen erhalten, sie hat die Möglichkeit sich zu informieren und zu korrigieren. Stattdessen verkündet sie stolz weiterhin Unwahrheiten und gibt sich als tapfere Kämpferin, die "an allen Fronten kämpft" und nicht weicht. Doch wie bei Don Quichotte kämpft sie gegen Windmühlen - aber ihr Kampf hat Opfer. Und das sind eben jene Kinder, von denen sie sagt, dass sie ihnen helfen will. Die verbrannte Erde, die die Bundesfamilienministerin schon jetzt zurücklässt, ist immens und sorgt für eine neue Kultur des Wegsehens, sei es durch die Stoppschilder oder durch aus Angst ausbleibende Meldungen über Kinderpornoseiten. Herzlichen Glückwunsch dazu, Frau Ministerin.