Schwule Tiere und die Evolution

Kein Ausrutscher der Natur: Homosexualität kann bei Tieren zum evolutionären Überleben beitragen

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Wenn die Schauspielerin Jodie Foster mit der Produzentin Cidney Bernard in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt und darin sogar zwei Kinder großzieht, gibt das Stoff für Schlagzeilen und BUNTE-Stories. Neuartige Familienformen? Was in der Menschenwelt zunehmend alltäglich wird, ist bei Albatrossen längst normal. Fast jedes dritte Brutpaar besteht bei den Seevögeln mit den riesigen Spannweiten aus zwei weiblichen Exemplaren.

Das hat einen simplen Grund: Die lesbischen Paare sind bei der Aufzucht ihrer Jungen im Mittel erfolgreicher als solche, wo Weibchen ihren Nachwuchs allein aufziehen. Die Homosexualität bietet hier also einen evolutionären Vorteil, sie verändert die soziale Dynamik innerhalb der Population und sollte damit auch evolutionäre Konsequenzen haben. Woher kommt schwuler Sex, und welchen Sinn hat er? Zwei Biologen der University of California haben jetzt im Fachmagazin Trends in Ecology and Evolution den Stand der Forschung zusammengefasst. Ihr Ziel: zu ermitteln, was derzeit die erfolgversprechendsten Ansätze, welche Fragen ungelöst und welche Thesen längst widerlegt sind.

Klar ist jedenfalls, dass gleichgeschlechtlicher Sex Fragen aufwirft. Betrachtet wurden diese allerdings zunächst als ganz spezielles Puzzle, als Absonderlichkeit der Natur, wie etwa die Phänomene des Suizids oder der Adoption eines nicht verwandten Kindes. Schwuler Sex scheint evolutionär auf den ersten Blick sinnlos, sorgt er doch nicht für die Fortpflanzung der betreffenden Art.

Die Autoren beginnen damit, drei wichtige Begriffe zu unterscheiden. Gleichgeschlechtliche Orientierung, Präferenz und ebensolcher Sex werden allzu oft durcheinander geworfen. Gleichgeschlechtlicher Sex ist in wissenschaftlichem Sinne Interaktion zwischen Angehörigen desselben Geschlechts, die bei ähnlicher Ausführung zwischen männlichen und weiblichen Individuen der Reproduktion dienen würde. Fruchtfliegen mit einer bestimmten Genveränderung können zum Beispiel männliche und weibliche Artgenossen nicht mehr unterscheiden und machen Männchen wie Weibchen den Hof, ohne eine bestimmte Vorliebe zu hegen.

Die Präferenz fürs eigene Geschlecht (um die es in der Studie ausdrücklich nicht geht) bedeutet in wissenschaftlichem Sinn, sich für die Interaktion mit dem eigenen Geschlecht zu entscheiden, wenn beide Optionen zur Wahl stehen. Präferenz impliziert also eine Wahl, sie ist bei Tieren deutlich seltener als beim Menschen, und sie ändert sich dann auch oft mit der Veränderung des sozialen Kontextes.

Die gleichgeschlechtliche Orientierung schließlich ist ein eher permanentes Phänomen. Sie wird eher beim Menschen beobachtet als bei nichtmenschlichen Tieren. Das liegt aber vor allem daran, dass wir von Tieren kaum erfahren, was sie wirklich wollen, wir können nur beobachten, was sie tun. Von einer Pinguinart ist zum Beispiel bekannt, dass sich in Gefangenschaft stabile gleichgeschlechtliche Paare bilden. Bei einer Gemsenart zeigen männliche Exemplare „schwules“ Verhalten in der Weise, dass sie nur Weibchen begatten, die sich auf bestimmte, männliche Weise verhalten. Die Forschung wird hier allerdings wirklich von der Tatsache behindert, dass über die Motivationen von Tieren keine Aussage möglich ist.

Welche Ursachen hat gleichgeschlechtlicher Sex? Die bisherige Forschung, so fassen es die Studienautoren zusammen, geht im Wesentlichen in zwei Richtungen. Zum einen untersucht sie die gewissermaßen technischen Gründe – etwa im genetischen, hormonellen oder neurologischen Bereich. Zum anderen versucht sie, die adaptiven Wirkungen aufzuspüren. Hierbei geht es im Prinzip darum, das Paradoxon aufzulösen, dass ein ja offenkundig vorhandenes Verhalten auch evolutionär begründet sein müsste. So wird gleichgeschlechtlichem Sex unter anderem eine sozial bindende Rolle zugeschrieben, wie es etwa in Gruppen männlicher Delphine der Fall ist.

Eine zweite Wirkung kann in der Verstärkung oder Verringerung intrasexueller Aggression bestehen – Männchen einer Dungfliegenart besteigen zum Beispiel andere Männchen, damit diese sich nicht mit Weibchen paaren. Unterlegene Männchen der Fischart Girardinichthys Multiradiatus hingegen bilden einen Fleck aus, der sie Weibchen ähneln lässt – und prompt werden sie von den Alphamännchen nicht mehr aggressiv bedroht, sondern stattdessen sexuell bedrängt. Gleichgeschlechtliche Paarungen können Jungtieren auch die Möglichkeit geben, den ganzen Prozess spielerisch auszuprobieren. Fruchtfliegen, die in ihrer Jugend Sex mit Männchen hatten, produzieren zum Beispiel in höherem Alter mit Weibchen mehr Nachwuchs.

Erst in den letzten Jahren haben Wissenschaftler auch versucht, gleichgeschlechtliche sexuelle Interaktion aus breiterer Perspektive zu betrachten. Sie fanden zum Beispiel heraus, dass bei polygamen Vogelarten Sex unter Männchen häufiger ist, während bei monogamen Arten öfter die Weibchen zueinander fanden. Schließlich fand man sogar genetische Modelle, die das Auftreten und Überleben genetisch bedingter gleichgeschlechtlicher Orientierung erklärten.

Welche evolutionären Konsequenzen hat gleichgeschlechtlicher Sex? Auch hier führen die Forscher eine ganze Reihe aktueller Ergebnisse auf. Diese Spielart ist zum Beispiel offenbar ein nicht ganz unwichtiger Selektionsfaktor – wie eingangs schon bei den Albatrossen festgestellt. Paarbildung aus Weibchen erhöht hier die evolutionäre Fitness und damit den Vorteil von „außerehelichem“ Sex (in diesem Fall mit Männchen). Zudem könnten indirekte genetische Effekte (IGEs) eine Rolle spielen: Das sind Fälle, wo die Ausprägung eines Gens bei einem Individuum den Phänotyp eines anderen Individuums verändert. Modelle sagen voraus, dass IGEs die evolutionäre Fitness dramatisch verändern können.

Wenn sie auch für gleichgeschlechtlichen Sex gelten sollen, müsste es sich dabei um ein erbliches Merkmal handeln. Für nichtmenschliche Tiere gibt es dazu noch keine konkludenten Daten, beim Menschen deuten Zwillingsstudien darauf hin, dass die Vererblichkeit bei bis zu 0,74 liegt. Nachgewiesen ist zudem, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein männliches Kind homosexuell ist, mit der Anzahl älterer Brüder steigt.