Ein internationales Netzwerk von tollen Leuten

Gerald Steinbauer, Cheforganisator der diesjährigen RoboCup-WM, über sportlichen Ehrgeiz, wissenschaftliche Forschung und das Lesen von Emails

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Am 29. Juni beginnt in der Stadthalle Graz die 13. RoboCup-Weltmeisterschaft. Im Jahr 1997 mit drei Wettbewerbskategorien gestartet, hat sich das Turnier mittlerweile zum wohl bedeutendsten Roboterwettbewerb der Welt entwickelt.

Im Mittelpunkt steht dabei immer noch das Fußballspiel als einheitliche Testumgebung für mobile, autonome, kooperierende Roboter. Je nach technischer Ausstattung der Roboter wird es in verschiedenen Ligen ausgetragen: für laufende Roboter, rollende Roboter, simulierte Roboter, in unterschiedlichen Größenklassen. Neben Fußball haben in den letzten Jahren stärker anwendungsbezogene Wettbewerbe für Rettungs- und Haushaltsroboter an Bedeutung gewonnen. Auch der Nachwuchswettbewerb RoboCup Junior erfreut sich regen Zuspruchs. Im Interview gibt Gerald Steinbauer vom Institut für Softwaretechnologie der Technischen Universität Graz einen kleinen Ausblick auf das, was Teilnehmer und Zuschauer vom kommenden Turnier erwarten können.

Humanoide Roboter in Aktion. Bilder: TU Graz/Bergmann

Herr Steinbauer, mit dem Team Mostly Harmless sind Sie selbst seit 2002 aktiver Teilnehmer an RoboCup-Turnieren. Kommen Sie als Organisator der Weltmeisterschaft jetzt überhaupt noch dazu, sich um das Team zu kümmern?

Gerald Steinbauer: Die Leitung des Middle-Size-Teams „Mostly Harmless“ habe ich schon vor zwei Jahren an Doktoranden abgegeben. Etwas stärker beteiligt bin ich an dem Team ZaDeAt in der Standard Platform League, das die TU Graz gemeinsam mit der RWTH Aachen und der südafrikanischen University of Cape Town bildet. Geleitet wird es aber von Alexander Ferrein von der RWTH Aachen.

Team „Mostly Harmless“. In der Mitte, mit Ball: Gerald Steinbauer

Bleiben wir noch einen Moment beim ersten Team. Der Name „Mostly Harmless“ ist ja eine Anspielung auf den Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams. Darin wird die Erde in einem kosmischen Reiseführer von „harmlos“ auf „überwiegend harmlos“ hochgestuft. Nun hat das Team für dieses Jahr einige Neuerungen wie Berührungssensoren, eine verbesserte Softwarearchitektur und automatische Kalibrierung der Kamera angekündigt. Müssten Sie bei einem Turniererfolg über eine höhere Einstufung, also einen neuen Teamnamen wie „Slightly Dangerous“ nachdenken?

Gerald Steinbauer: Nein, der Name drückt ja mehr aus, als nur dass wir harmlos sind. Da steckt auch unsere Kultur drin, unsere Haltung zum RoboCup, unsere Beiträge zur Community. Das ist so etwas wie eine Marke geworden, die man nicht ohne Not ändern sollte.

Bei dem Namen scheint auch ein wenig mitzuschwingen, dass der Erfolg beim Turnier nicht unbedingt die oberste Priorität hat.

Gerald Steinbauer: Natürlich freut sich jeder über einen Sieg. Wir sind aber auch nicht furchtbar betrübt, wenn es mal nicht klappt. Wir versuchen, das als Forschungs- und Lehrplattform zu nutzen. Da gehört zur Erfolgsbilanz dann nicht nur, ob wir ein Spiel gewonnen haben oder eine Runde weiter gekommen sind, sondern auch, was wir im Laufe eines Jahres geleistet haben, was wir verbessern konnten, was wir gelernt haben.

In welchem Verhältnis stehen Forschung und Lehre dabei? Lässt sich das gewichten?

Gerald Steinbauer: Ich würde sagen, zu 60 Prozent profitiert die Lehre vom RoboCup, zu 40 Prozent die Forschung.

Könnten der wissenschaftliche Gehalt und die Reputation des RoboCup durch zu viel sportlichen Ehrgeiz gefährdet werden?

Gerald Steinbauer: Sportlicher Ehrgeiz an sich ist ja nicht schlecht. Wenn er den nötigen Energieschub zur Lösung eines Problems beisteuert -- wunderbar. Problematisch wird es, wenn die Wissenschaft dem Turniererfolg untergeordnet wird. Wer sich nur darüber Gedanken macht, wo er noch 500 Watt zusätzliche Motorleistung raufpacken kann, erreicht damit vielleicht eine gute Platzierung im Wettbewerb, bringt aber die Forschung nicht voran. So etwas kommt vor, gefährdet den RoboCup aber nicht wirklich.

Mittelgroße Roboter in Aktion.

Spürt der RoboCup die Konkurrenz anderer Roboterwettbewerbe, deren Zahl seit einigen Jahren deutlich zunimmt?

Gerald Steinbauer: Es stimmt, beim Kampf um finanzielle Ressourcen und die Aufmerksamkeit der Medien gibt es immer mehr Mitbewerber. Aufgrund seiner Qualität, seiner Professionalität und der mittlerweile erreichten Größe hat der RoboCup dabei jedoch eine recht gute Position. Natürlich kann der RoboCup nicht alle Aspekte der Robotik abdecken. Ich sehe das aber eher als eine Gelegenheit zur Kooperation mit anderen Veranstaltungen, auch Wettbewerben. Wie so etwas gehen kann, haben kürzlich zum Beispiel die Portugiesen mit ihrem Roboterfestival „Robotica 2009“ gezeigt.

Die richtige Balance von Wettbewerb und Kooperation macht ja auch eine Qualität des RoboCup aus: Nach dem Turnier sollen die Teams ihre Softwarecodes und andere Geheimnisse veröffentlichen, um vom erreichten Niveau aus gemeinsam voran schreiten zu können. Aber nicht alle Teams halten sich daran. Wie gefährdet ist die Balance? Muss immer wieder neu um sie gekämpft werden?

Gerald Steinbauer: Nein, nicht wirklich. Die Teams, die sehr verbissen auf den sportlichen Erfolg schauen, haben es in der Community nicht leicht. Die Hemdsärmeligkeit und Lockerheit des RoboCup werden von so vielen Teilnehmern geschätzt, dass ich da keine Gefahr sehe. Die große Mehrzahl der Teams hilft sich gegenseitig und gibt Software und Baupläne weiter.

Worin besteht die größte Herausforderung bei der Organisation einer RoboCup-WM?

Gerald Steinbauer: Den Leuten beizubringen, Emails zu lesen. Man lernt auf jeden Fall, präzise zu formulieren und möglichst keine Intentionen, sondern Fakten zu kommunizieren. Es kann sonst schnell passieren, dass man aufgrund einer falsch formulierten Email, mit der man eigentlich 250 Anfragen vermeiden wollte, stattdessen 500 Emails bekommt. Das hat zum Teil mit unterschiedlich guten Englischkenntnissen und sprachlichen Missverständnissen zu tun. Es liegt aber auch daran, dass der „Reply“-Button so verführerisch leicht anzuklicken ist. Früher waren Rückfragen aufwendiger, da überlegte man, bevor man zum Telefonhörer griff oder einen Brief oder ein Fax schickte. Heute klicken viele nach der dritten Zeile auf den Reply-Button, obwohl sie die Antwort auf ihre Frage in der achten Zeile lesen könnten. Das ist manchmal schon sehr frustrierend. Alles in allem überwiegt aber eindeutig der Spaß.

Zeichnen sich schon bestimmte Schwerpunkte der diesjährigen WM ab? Stehen bestimmte Ligen oder Themen im Mittelpunkt?

Gerald Steinbauer: Wir haben uns insbesondere um ein Rahmenprogramm bemüht, das die Hintergründe des RoboCup erklärt. Viele Zuschauer haben zum Thema Robotik ja schon bestimmte Bilder im Kopf. Die denken dabei vielleicht an die Figur des Data aus „Star Trek“ und wundern sich dann, wieso ein humanoider Roboter beim RoboCup erst mal stundenlang kalibriert wird. Oder sie haben in den Medien etwas über einen Roboter erfahren, der eine besondere Leistung erbracht hat, etwa eine Treppe herunter gegangen ist oder so. Was sie nicht wissen: Das ist womöglich nur ein einziges Mal gelungen und auch nur, weil die Bedingungen im Labor wie Temperatur, Luftdruck, Stufenhöhe genau kontrolliert wurden.

Beim RoboCup dagegen sehen sie Roboter, die ihre Leistung konstant über eine Woche und im Wettbewerb gegen andere erbringen müssen. Ein Vortragsprogramm, in dem sich auch die einzelnen Ligen vorstellen, soll den Besuchern helfen, das Geschehen auf den Spielfeldern besser einzuordnen. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei die Rescue League und die Bedeutung von Robotern für Rettungseinsätze sein. Daneben wird sicherlich die Standard Platform League mit den Nao-Robotern viel Aufmerksamkeit finden. Da hat sich im vergangenen Jahr sehr viel getan.

Sie beteiligen sich selbst seit mittlerweile acht Jahren am RoboCup. Was hat Ihnen das persönlich gebracht?

Gerald Steinbauer: Das ist schwierig zu beantworten, weil es so viel ist. Am wichtigsten ist wohl ein internationales Netzwerk von ganz tollen Leuten, hochklassigen und zugleich hemdsärmeligen Wissenschaftlern, die ich jederzeit anrufen kann, wenn ich eine Frage habe oder etwas auf die Beine stellen will. Der RoboCup trainiert die sozialen Fähigkeiten wie Organisation und Arbeit im Team, hat aber auch meiner wissenschaftlichen Arbeit sehr gut getan. Wenn man totalen Mist macht, sagt einem das schon jemand in der RoboCup Community. Aber ebenso gibt es positives Feedback, wenn einem etwas gelungen ist.

Welche Herausforderungen sehen Sie in den kommenden Jahren und Jahrzehnten für den RoboCup, sowohl technologisch als auch organisatorisch?

Gerald Steinbauer: Bleiben wir mal beim Organisatorischen, das ist einfacher zu beantworten. Da haben wir die Grenze dessen erreicht, was eine Universität noch mit eigenen Mitteln bewältigen kann. Wenn ich einen Workshop mit 50 Teilnehmern veranstalte, drucke ich am Abend vorher die Namensschilder und schneide sie mit der Schere aus. Bei 3000 Teilnehmern muss man eine Druckerei aussuchen, Termine koordinieren und so weiter. Sicherlich arbeiten wir billiger als eine Event-Agentur, aber wir machen wahrscheinlich auch vieles komplizierter, als es Organisationsprofis tun würden.

Ich denke, wenn der RoboCup weiter wachsen will, wird er seine Organisationsstruktur professionalisieren müssen. Eine große technologische Herausforderung sehe ich immer noch im Bereich der Wahrnehmung. Damit meine ich weniger die Detailfragen der Bildverarbeitung, sondern ein umfassendes Situationsverständnis. Wenn es uns gelänge, Roboter zu bauen, die ihre Umgebung wirklich verstehen, die in ein Zimmer kommen und durch bloße Beobachtung begreifen, wo sie sich befinden, würden sich damit zugleich viele andere Probleme lösen.

Bis zum Jahr 2050 will der RoboCup ein Fußballteam aus humanoiden Robotern realisieren, das den amtierenden menschlichen Weltmeister schlagen kann. Wird es zu dieser historischen Begegnung kommen, oder haben wir bis dahin ohnehin längst gemischte Mannschaften auf Menschen, Robotern und Cyborgs?

Gerald Steinbauer: Das Formulieren dieses Ziels war sicherlich ein genialer Schachzug. Für mich persönlich ist es aber zweitrangig, ob es erreicht wird oder nicht. Man muss sich nur anschauen, was wir in den vergangenen zwölf Jahren auf dem Weg dahin schon erreicht haben. Die Zielvorgabe stimuliert heute die Forschung, das ist das eigentlich Wichtige.