Zurück zum Atom?

Die Atomwirtschaft feierte ihre globale Renaissance, doch könnte dieser kostspielige und gefährliche Boom sehr bald an einem "Peak Uran" scheitern

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Zentralasien scheint vor einer neuen Rohstoffbonanza zu stehen. Diesmal ist es das Uran, der Energieträger der globalen Atomwirtschaft, auf dem die Hoffnungen insbesondere der kasachischen Staatsspitze ruhen. Nach dem Willen des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew soll das zentralasiatische Land bis 2010 zum größten Uranförderer der Welt aufsteigen und somit die bislang auf diesem Gebiet führenden Länder Kanada und Australien auf die Plätze verweisen. Nach einer Förderung von 8.500 Tonnen in 2008 sollen in diesem Jahr 11.900 Tonnen des radioaktiven Metalls abgebaut werden. Doch der kasachische Atomkonzern Kazatomprom will mittelfristig die jährliche Fördermenge auf bis zu 30.000 Tonnen Uran in 2018 steigern. Neben Kasachstan, das über die weltweit zweitgrößten bekannten Uranvorkommen verfügt, haben auch Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan beträchtliche Reserven dieses begehrten und höchst umstrittenen Energieträgers vorzuweisen.

Somit bildet der Uranabbau bereits ein weiteres wichtiges Standbein dieser rohstoffreichen Region, die bislang vor allem aufgrund ihrer reichen Vorkommen an fossilen Energieträgern im Fokus geopolitischer Auseinandersetzungen stand. Schon zu Sowjetzeiten bildeten die zentralasiatischen Vorkommen die wichtigste Uranquelle für die sowjetische Atomwirtschaft, doch der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus führte auch in diesem Industriezweig zu einem enormen Niedergang. Wie stürmisch die Renaissance der kasachischen Atomwirtschaft ist, wird allein daran deutlich, das 1997 gerade mal 795 Tonnen Uran gefördert wurden.

Zentralasien, dessen Uran hauptsächlich nach China, Japan und Südkorea exportiert wird, wird zum Vorreiter einer globalen Entwicklung. Auch die anderen Förderländer des begehrten Rohstoffs können sich auf eine rege Nachfrage einstellen. Neben Kanada und Australien verfügen auch Südafrika – als weltweit viertgrößter Uranproduzent – der Niger und Namibia über größere Uranvorkommen. So konnte beispielsweise der namibische Bergbauminister Erkki Nghimtina jüngst bekannt geben, dass einzig der Uranabbau innerhalb des namibischen Bergbaus von der Wirtschaftskrise „verschont geblieben“ sei. Man plane die Eröffnung „von drei oder mehr weiteren Minen“, erklärte Nghimtina.

Der Boom in den Förderländern wird durch eine globale Renaissance der Atomwirtschaft beflügelt, die Uran zu einem begehrten Rohstoff avancieren ließ. Kostete das Pfund dieses radioaktiven Metalls im Jahr 2000 gerade mal sieben US-Dollar, so stieg dessen Preis auf bis zu 138 US-Dollar auf dem Höhepunkt der Rohstoffspekulation im letzten Jahr. Selbst die nun voll einsetzende Weltwirtschaftskrise ließ den Uranpreis nur relativ moderat auf 40 US-Dollar fallen. Inzwischen zog der Weltmarktpreis von Uran wieder auf über 50 US-Dollar an – Tendenz weiter steigend.

Strahlende Zukunft?

Das ist angesichts der Dimensionen der globalen Renaissance der Atomkraft kein Wunder. Bis 2030 könnten an die 300 neue Atomkraftwerke weltweit ans Netz gehen. Aktuell befinden sich global laut der FDP-Bundestagsabgeordneten Gudrun Kopp 42 neue Atommeiler im Bau, während 80 in Planung sind. Doch schon jetzt kann die Förderung von Uran nicht mit dessen jährlichem Verbrauch von 68.000 Tonnen in den weltweit 436 Atomkraftwerken Schritt halten, so dass bis 2030 eine Verdreifachung des Abbaus dieses radioaktiven Metalls notwendig wäre.

Die bereits im Betrieb befindlichen Reaktoren erzeugen 14 Prozent der globalen Stromversorgung. Bisher spielte dies Missverhältnis zwischen Fördermenge und Verbrauch keine größere Rolle, da gehortetes Uran aus ausgemusterten Atomwaffen auf den Markt geworfen wurde. Diese Reserven dürften aber beim gegenwärtigen Verbrauch bereits in 20 Jahren erschöpft sein, erklärte Peter Gerling von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.

Während die USA mit 104 Atomkraftwerken über den mit Abstand größten Atomsektor verfügen, ist China bei diesem weltweiten Ausbau der Kernenergie führend. Im Reich der Mitte sind, so die Welt 24 neue Reaktoren mit einer Leistung von 25,4 Gigawatt gebaut, während 18 weitere sich in Planung befinden. Derzeit sind in China elf Meiler im Betrieb, die eine Leistung von 9,1 Gigawatt erzielen. Bis 2030 will das Reich der Mitte 120-160 Gigawatt Strom aus Atomkraft generieren, womit dann aber gerade mal zehn Prozent des gesamten Energiebedarfs des sich stürmisch entwickelnden Landes gedeckt würden.

China bemüht sich auch verstärkt, seiner Atomindustrie durch den Abschluss langfristiger Lieferverträge dauerhafte Versorgungssicherheit mit dem Nuklearbrennstoff Uran zu gewährleisten. Ein solches Abkommen, das sowohl nukleare Kooperation wie auch langfristige Lieferverpflichtungen vorsieht, wurde bereits 2006 zwischen Australien und China abgeschlossen. Eine ähnliche Herangehensweise praktiziert Peking in Südafrika, wo das chinesische Engagement für eine Wiederbelebung des südafrikanischen Atomprogramms sorgen soll. Zugleich hofft man in Peking, mit der Kaprepublik ebenfalls Lieferverträge über Uran abschließen zu können. China ist bereits seit November 2007 mit rund 25 Prozent an dem französischen Nuklearkonzern Areva beteiligt, der Uranminen in Südafrika, Namibia, und Niger unterhält.

Auch in Osteuropa setzt man auf Atomkraftwerke

China ist selbstverständlich auf diesem Weg in eine „strahlende Zukunft“ nicht allein (Mehr als ein Sommertheater?). Auf zum Atom! - so scheint derzeit die Devise der globalen Energiepolitik zu lauten. Laut dem Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO, Mohamed El Baradei, haben schon „mehr als 60 Länder“ signalisiert, künftig auch Atomstrom herstellen zu wollen. So setzt beispielsweise die Slowakei voll auf Atomkraft. Bis zum Jahr 2030 will das kleine Land sogar 55% seines gesamten Strombedarfs aus Nuklearkraftwerken decken. Bereits im April wurde zwischen der slowakischen Kernkraftgesellschaft Javys und dem tschechischen Energiekonzern CEZ ein Vertrag über die Gründung eines Unternehmens unterzeichnet, das den Bau eines neuen Kernreaktors im westslowakischen Jaslovské Bohunice durchführen soll. Ähnlich agiert auch Tschechien, das bereits den Ausbau des Kernkraftwerks in Temelin beschloss.

Auch Polens Regierung macht mit ihren Atomplänen ernst. Bis zum Jahr 2020 sollen zwei Nuklearkraftwerke mit einer Leistung von jeweils 1600 MW errichtet werden. Als Standorte kommen bislang Bauplätze unweit der an der polnischen Ostseeküste gelegenen Ortschaft Zarnowiec und des westpolnischen Klempicz in Frage. In Zarnowiec befindet sich bereits die Investitionsruine eines zwischen 1982 und 1990 forcierten Atomkraftwerks, dessen Fertigstellung nach der Systemtransformation in Polen aufgegeben wurde. Andere Überlegungen gehen davon aus, ein Atomkraftwerk im unterentwickelten, infrastrukturell bislang vernachlässigten Ostpolen aufzubauen. Bei der eventuell anstehenden Ausschreibung sollen jüngsten Informationen zufolge insbesondere französische Anbieter gute Chancen haben, es könnten aber auch US-amerikanische, kanadische oder koreanische Atommeiler in Polen errichtet werden.

Selbst die Regierung von Weißrussland, dessen Bevölkerung wohl am stärksten unter den Folgen des Supergaus in Tschernobyl zu leiden hatte, scheint zum Aufbau eines Atomsektors – trotz angekündigter Proteste - entschlossen zu sein. Derzeit bemüht sich Weißrussland um einen entsprechenden russischen Kredit, da dieses Projekt ersten Schätzungen zufolge fünf Milliarden Euro verschlingen dürfte. 2016 könnte der erste der zwei geplanten 1000 MW Reaktoren ans Netz gehen, 2018 würde der zweite Reaktor den Betrieb aufnehmen.

Begrenzte Uranvorkommen

Ausgerechnet in Reaktion auf die Verknappung fossiler Energieträger tritt diese kostspielige und gefährliche Technik einen erneuten Siegeszug an, die überdies auf einen besonders knappen Brennstoff angewiesen ist. Auch beim Energieträger Uran droht ein „Peak-Szenario“ (Mit Vollgas gegen die Wand), bei dem die Förderung des Rohstoffs nach einem Maximum aufgrund sich erschöpfender Lagerstätten rasch abfällt. Peter Gerling gab gegenüber der FAZ zu bedenken, dass bei „jetzigem Verbrauch“ die Vorkommen an Uran gerade mal 50 Jahre den Bedarf der Atomwirtschaft decken könnten. Einen ähnlichen Zeithorizont gibt eine von der Umweltschutzorganisation Greenpeace in Auftrag gegebene Studie an, die beim jährlichen Verbrauch von 70 000 Tonnen die globalen Uranvorkommen von weltweit 4,6 Millionen Tonnen im Jahre 2070 erschöpft sieht. Sollte der Bedarf an Uran – wie angesichts der Expansion der Atomwirtschaft zu erwarten – weiter steil ansteigen, könnte dieser nukleare Brennstoff laut der Studie schon 2026 zur Neige gehen (Begrenzte Uranmengen bremsen Optimismus der Atomindustrie).

Die Prognosen der Atomwirtschaft, denen zufolge die Uranvorräte noch über 200 Jahre reichten, beruhen schlicht auf einer blühenden Fantasie. Nur wenn man ein „spekulatives Reservoir“ von weiteren 9,8 Millionen Tonnen hinzurechne, komme man darauf, dass die Vorräte noch 200 Jahre reichten, erläuterte der Greenpeace-Atomexperte Thomas Breuer bei der Vorstellung dieses Reports.

Die deutsche Atomlobby gibt sich von solchen Mahnungen gänzlich unbeeindruckt. So erklärte Christian Wößner vom Interessenverband der deutschen Atomwirtschaft gegenüber der FAZ, dass man Uran auch „intensiv fördern“ könne. Die Sprecherin des Kernkraftgesellschaft Eon-Kernkraft, Petra Uhlmann, konkretisierte diese Behauptungen im selben Bericht: „Uran ist noch für mindestens 200 Jahre vorhanden. Die Endlichkeit des Urans ist für Eon kein Thema. Außer aus den bekannten Minen kann Uran auch aus Phosphaten und sogar aus Meerwasser gewonnen werden.“

Auf eine weitere Auswirkung der globalen Renaissance der Atomkraft machte der der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Ende April aufmerksam. Demnach bremst die Atomlobby den Ausbau erneuerbarer Energien. So hätten beispielsweise die Atomkonzerne EdF und E.ON der britischen Regierung gedroht, kein einziges neues Atomkraftwerk zu errichten, falls die Ausbauziele für erneuerbare Energien nicht gesenkt würden. „Das bestätigt alle, die schon immer davor gewarnt haben: Die großen Energiekonzerne behindern und bremsen den Ausbau der Erneuerbaren nach Kräften. Ein Mehr an erneuerbaren Energien und neue Atomkraftwerke passen einfach nicht zusammen“, mahnte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger.