Der Mensch ist ein zweiter Orang-Utan

Eine Studie bestreitet, dass die nächsten Verwandten des Menschen die Schimpansen seien

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Allgemein geht man davon aus, dass Mensch und Schimpansen die nächsten Verwandten sind. Vor 5-7 Millionen soll sich die Linie, aus der sich Schimpansen, Bonobos und Menschen entwickelt haben, von denen der anderen Menschenaffen, als den Orang-Utans und Gorillas, getrennt haben. 99 Prozent der Gene sollen Schimpansen und Menschen gemeinsam haben, während der Abstand zu Gorillas ein wenig größer und der zu Orang-Utans am größten ist.

Allerdings haben Wissenschaftler vor zwei Jahren festgestellt, dass eigentlich die Schimpansen in der Evolution weiter fortgeschritten sind, wenn man vergleicht, wie viele Gene sich bei beiden durch eine positive Selektion verändert haben. Aufgrund der Analyse von 14.000 Genen kam die Forscher zum Schluss, dass sich bei den Menschen 154 Gene verändert haben, bei den Schimpansen jedoch 233. Daher wird die Annahme, dass sich die Menschen durch stärkere genetische Veränderungen von den Menschenaffen absetzten, obsolet. Die größere Zahl der Mutationen erklären sich die Wissenschaftler daraus, dass die Population der Schimpansen Millionen von Jahren größer als die der Menschen war.

John Grehan, wissenschaftlicher Direktor des Buffalo Museum, und der Anthropologe Jeffrey Schwartz haben nun in einem Artikel, der in der Zeitschrift Journal of Biogeography als Special Paper erschienen ist, die Hypothese aufgestellt, dass trotz der hohen genetischen Ähnlichkeit von Schimpansen und Menschen dessen nächster Verwandter der Orang-Utan sei. In Anspielung auf den Titel des Buchs von Jared Diamond "Der dritte Schimpanse" nannten sie ihre Studie "Der zweite Orang-Utan".

Die von anderen Wissenschaftlern abgelehnte These geht davon aus, dass Menschen und Organ-Utans einer gemeinsamen Linie innerhalb der Menschenaffen angehören ("dentale Hominoiden") und die afrikanischen Menschenaffen (Gorillas und Schimpansen, wozu auch die Bonobos gehören) einer anderen. Der letzte gemeinsame Vorfahre von Orang-Utan und dem Menschen habe sich zunächst in Afrika, Europa und Asien ausgebreitet und sei durch die Wälder gestreift, die es zwischen Südeuropa und Zentralasien und China vor der Bildung des Himalaya-Massivs gegeben habe. Irgendwann vor 12 oder 13 Millionen Jahren sei diese Wanderungsbewegung durch Veränderungen der Erdoberfläche und der Ökosysteme zu einem Ende gekommen, wodurch die "dentalen Hominiden" geografisch isoliert wurden und eine getrennte Evolution einsetzte.

Diese "Erzählung" setzen sie der "komplizierten" gängigen Version entgegen, die auch aufgrund fehlender Fossilfunde von Menschenaffen in Afrika davon ausgeht, dass es mehrere Aus- und Rückwanderungen gegeben haben müsse. So würden die afrikanischen Menschenaffen von Arten abstammen, die zunächst aus Afrika nach Europa ausgewandert waren und sich dort in die Linie, die nach Asien gewandert ist, und in die Linie aufgespalten hat, die wieder nach Afrika zurückgewandert ist, woraus sich dann die Menschenaffen und schließlich die Menschen entwickelt hätten. Das aber sei eine Konstruktion, die empirisch nicht begründet sei.

Anstatt sich auf den Genvergleich zu stützen, durch den gemeinhin die Zeit eines gemeinsamen Urahns abgeleitet wird, haben die beiden Wissenschaftler morphologische Ähnlichkeiten untersucht. Von den 63 Eigenschaften, durch die sie sich von anderen Primaten unterscheiden, haben Orang-Utans und Menschen 28 gemeinsam, mit den Schimpansen hingegen nur 2, mit Gorillas 7 und ebenfalls 7 mit allen dreien. Gorillas und Schimpansen sollen 11 Eigenschaften gemeinsam haben. Zu den gemeinsamen Eigenschaften zwischen Menschen und Orang-Utans zählen etwa lange Haare, dicker Zahnschmelz, Gesichtsbehaarung bei Männern, separater Face-to-Face-Geschlechtsverkehr oder die Fähigkeit, Unterkünfte oder Liegestätten zu bauen. Orang-Utans und Menschen hätten aber wohl noch mehr Eigenschaften gemeinsam, Grehan und Schwartz haben sich, wie sie sagen, nur auf gut bestätigte bezogen.

Auch bei den 56 Eigenschaften, die nur bei modernen Menschen, in Fossilien von menschlichen Vorfahren wie dem Australopithecus oder Fossilien von Menschenaffen zu finden sind, haben Orang-Utans mit 8 Eigenschaften mehr gemeinsam mit menschlichen Vorfahren (7 mit Australopithecus), als dies bei Gorillas und Schimpansen der Fall ist. Die afrikanischen Menschenaffen seien nicht nur den Menschen weniger nahe als Orang-Utans, sondern auch vielen der Fossilien von früheren Menschenaffen.

Im Editorial wird darauf hingewiesen, dass das Lager der historischen Biogeografen, die sich nicht primär auf genetische Daten stützen, sondern auf morphologische Ähnlichkeiten, kleiner ist. Zudem sei es vorherrschende Meinung unter den Anthropologen, dass Menschen aufgrund der genetischen Ähnlichkeiten direkter mit Schimpansen und Bonobos verwandt seien als mit Gorillas und Oran-Utans. Die Studie von Grehan und Schwartz werde also auf Ablehnung stoßen oder als unsinnig betrachtet werden, besonders durch die Kritik an dem molekulargenetisch begründeten Paradigma. Dennoch sei die Hypothese gut begründet, auch wenn die Gutachter kritisiert hätten, dass die Beweisführung über die Ähnlichkeit der Eigenschaften doch stark auf subjektive Interpretation basiere. Man sei dennoch der Überzeugung, dass es sich um einen interessanten Beitrag handelt, der in der wissenschaftlichen Community diskutiert werden müsse.