Antrag auf Auflösung der Volksparteien

Was haben Arcandor und die SPD gemein? Beide können ihr Publikum nicht mehr begeistern und verlangen nach Stütze durch die Allgemeinheit

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Den Handelskonzern soll der Steuerzahler notbeatmen, die SPD will eine Wahlpflicht und Strafen für die Nichtwähler einführen. Die Unterschiede zwischen Einzelhändler und Partei liegen vor allem im Vermögen: Anlage- und Umlaufvermögen des Konzerns werden das nicht vorhandene Geschäftsmodell kaum aufwiegen können. Die SPD „glänzt“ dagegen vor allem durch das Weglaufvermögen ihrer Wähler: Letztere sind so schnell, dass die Partei den Wettlauf um die erfolgreiche Umsetzung des Projekts 18 mit der FDP gewinnen dürfte.

Die Liberalen wollten im Bundestagswahlkampf 2002 durch das Erschließen „neuer Wählerschichten“ 18 Prozent der Stimmen erhalten. Schenkt man den aktuellen Umfragen glauben, ist das Ziel heute jedenfalls nicht mehr unerreichbar. Die Sozialdemokraten scheinen - nach der „Agenda 2010“ und der Ypsilanti-Lüge - in einer derartigen Vertrauenskrise zu sein, dass ihr die Wähler schichtweise davonlaufen. In jedem Fall machen die Sozis den Liberalen auf dem Weg zur „18“ harte Konkurrenz.

CDU/CSU haben bei den Europawahlen zwar fast sieben Prozent verloren, aber mit knapp 38 Prozent immer noch ein verhältnismäßig akzeptables Ergebnis erzielt. Damit ist die Union allerdings keineswegs aus dem Schneider: Ihr Wähler ist nämlich eine aussterbende Spezies: Bei den Wählern über 60 erzielten die „christlichen“ Parteien 48 Prozent der Stimmen, bei den unter 30-jährigen aber nur 29 Prozent.

Bei der aktuellen „Sonntagsfrage“ kommen die „Volksparteien“ der „großen“ Koalition zusammen auf 56 (Forsa) beziehungsweise 62 Prozent (Forschungsgruppe Wahlen). Zum Vergleich: In der laufenden Legislatur haben die „Elefanten“ zusammen 73 Prozent. Und bei der vorhergehenden Wahl hatten sie eine (rechnerische) Mehrheit von 78 Prozent.

Die gute alte SPD wird mit etwas Glück 2013 ihren 150. Geburtstag feiern, die CDU wurde 2005 sechzig. Es wäre allerdings zu billig, das Siechtum der sogenannten Volksparteien allein mit ihrem Alter erklären zu wollen. Vielmehr scheinen sich beide in einem multimorbiden Zustand zu befinden: Insbesondere bei der SPD hält seit Jahren bei klassischen Themen wie Steuern, Wirtschaft oder Sozialpolitik eine Beliebigkeit Einzug, die ihres Gleichen sucht. Zu finden hofft die Partei ihre Wähler seit der Abkehr von der „Agenda 2010“ immer dichter in der Nähe der Linken. Und die früher ordnungspolitisch konservative Union ist ihr dabei immer dicht auf den Fersen.

Das aber können die Anhänger und Wähler des sozialdemokratischen Seeheimer Kreises und der Mittelstandsunion nicht begreifen. Insbesondere dürften sie die damit verbundenen „Köpfe“ wie den früheren Sozialdemokraten Wolfgang Clement und Friedrich Merz (CDU) vermissen. Letzterer hatte sich nach verlorenem Kampf mit der CDU Vorsitzenden Angela Merkel mehr und mehr zurückgezogen. Bemerkenswert: Das ernsthafte Bemühen der sozialdemokratischen Bundesregierung unter Führung der Kanzlerin mit christlichem Elternhaus, die „Linke“ links zu überholen, wird vom Wähler nicht im Mindesten honoriert. Das liegt vermutlich aber nur daran, dass die von der Kanzlerin entdeckte „Mitte“ partout nicht nach links folgen wollte. So erklärt sich aber wenigstens der rege Zuspruch, den die FDP seit Monaten erfährt.

Mit den politischen Fragen der Informationsgesellschaft sind offenbar alle Parteien überfordert

Zumindest ist mir keine Partei bekannt, die ein in sich stimmiges Konzept entwickelt hätte, wie sich Staat, Gesellschaft und Wirtschaft mit Hilfe der Technik in den nächsten 10 Jahren verändern sollen: Was bedeutet es, wenn ein Terabyte Speicherplatz im Supermarkt für 70 Euro zu haben ist? Was kann und muss sich ändern, wenn bis nach Hintertupfingen 50-Megabit-Leitungen gelegt werden?

Auch die Opposition muss hier Antworten finden. Das Schlimme bei den Regierungsparteien ist aber, dass alles so wirr durcheinander geht: Es passt einfach nicht zusammen, wenn die Ärzte einerseits gedrängt werden, ihre Patientendaten auf einem PC mit Internet-Anschluss vorzuhalten, und ihnen andererseits per BKA-Gesetz das Zeugnisverweigerungsrecht der Strafprozessordnung zu nehmen.

Da entsteht nämlich der Eindruck, der Staat wollte womöglich auch selbst mal per Bundestrojaner Einblick in die originalen Patientenakten nehmen – und die Daten anschließend an Deutsche Bahn, Deutsche Bank, Deutsche Post und Deutsche Telekom verkaufen. Oder umgekehrt – da die Unternehmen über einige Stasi-Fertigkeiten verfügen, könnten sie womöglich auch der Bundesregierung die Daten liefern... Dazu passt, dass sich keiner in diesem Land findet, der den Ärzten sagen will, was sie tun müssen, um ihrer ärztlichen Schweigepflicht genüge zu tun.

Wie verlogen es in der Politik mitunter zugeht, zeigt das Thema Kinderporno-Websperren: Da gibt es offenbar Server in Deutschland mit Videos, in denen Kinder besonders grausam gequält werden. Aber anstatt diese Seiten zu schließen und die Betreiber strafrechtlich zu verfolgen, sollen deutsche Pädophile ein Stopp-Schild zu sehen bekommen: Nicht allein, dass das Schild mehr ein Schildchen ist, das leicht zu umgehen ist – der Politik sind die gequälten Kinder völlig egal!

Es geht in Wahrheit um Zweierlei: Erstens soll dem Wähler Besorgnis vorgetäuscht werden. Und zum Zweiten darum, die Menschen vor unliebsamen Inhalten aller Art zu „schützen“: Wer wird denn schon was gegen die Blockade von Terroristen, Urheberrechtsverletzern und GEZ-Prellern einzuwenden haben? Wie schnell einer aber zum Terroristen abgestempelt werden kann, zeigt das Beispiel des Berliner Wissenschaftlers Andrej Holm (Verdacht ist nicht genug).

So bekommen die Regierungsparteien von unterschiedlichen „Wirten“ regelmäßig politische Rechnungen präsentiert: Das Bundesverfassungsgericht beobachtet die staatlichen Eingriffe (Online-Durchsuchung, KFZ-Scanning, Vorratsdatenspeicherung, ...) mit Argwohn und pfeift die Regierenden regelmäßig zurück.

Eine unmittelbare Folge durch die Verabschiedung der „Porno-Sperren“: Viele Mitglieder des Online-Beirats der SPD wollen ihre „Beirats- und Repräsentationstätigkeit bis auf Weiteres ruhen lassen". Das alles ist blöd - grad im Wahljahr! Grad für Parteien, die ohnehin schon unter den Artenschutz zu fallen drohen.

Bei soviel Ignoranz müssen sich die früheren „Volksparteien“ aber auch nicht wundern, wenn ihnen das Volk davonrennt. FDP, Grüne und die Linke profitieren durch schieres Nichtstun. Ich als Wähler muss aber zugeben: Auf dieses wirre Gemisch aus beratungsresistenter Konzeptlosigkeit, verstaubtem Populismus und Big Brother-Gelüsten kann ich getrost verzichten. Ich stelle den Antrag auf Selbstauflösung von CDU/CSU und SPD - es braucht sie niemand mehr! Die Lücke, die sie hinterlassen, wird sich von selbst schließen!