Iran: Zuckerbrot und Peitsche

Das Regime will nun auch gegen Mussawi vorgehen und jeden Protest endgültig zerschlagen, will aber auch die Stimmen in jeder Urne bekannt geben

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Am Montag waren es schon deutlich weniger Menschen, die es noch wagten, auf die Straßen zu gehen und gegen das angeblich gefälschte Wahlergebnis oder überhaupt gegen die iranische Führung zu protestieren. Trotzdem soll es überall in der Stadt zu vereinzelten Protesten mit hunderten Teilnehmern gekommen sein, die vornehmlich die Toten der letzten Tage und hier vor allem die junge Frau Neda betrauerten, die zur Kultfigur und zur Märtyrerin der Bewegung wurde. Zu Trauerkundgebungen hatte unter anderem Mussawi aufgerufen.

Das Foto soll Teilnehmer eines Trauerprotestzugs am Montag zeigen

Nun scheint man auch gegen Mussawi vorgehen zu wollen, nachdem er die Warnung von Khatami nicht beherzigt hatte, nicht mehr zu illegalen Protesten aufzurufen. Alli Scharoki, der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Parlaments, machte jetzt Mussawi für die Unruhen verantwortlich. "Die Grundlage ist gegeben, um Mussawi auf legale Weise zu jagen", sagte er.

Mussawi freilich gehört wie die anderen Präsidentschaftskandidaten oder seine Unterstützer wie die ehemaligen Präsidenten Khatami und Rafsandschani zum Establishment. Ihnen dürfte trotz einiger Einschüchterungen keine wirkliche Gefahr drohen, wenn das System den Aufstand entschieden niederschlagen sollte. Dazu sind sie zu gut vernetzt im System. Gefährlich ist es aber für die Anhänger, die für den Präsidentschaftskandidaten auf die Straße gehen, denn ihnen wird mit massiver Gewalt entgegengetreten. Und sie müssen mit Misshandlungen und Gefängnisstrafen rechnen.

Viele, die sich den Protesten angeschlossen haben, sind wohl auch nicht unbedingt Anhänger von Mussawi oder von einem der anderen offiziellen Verlierer der Wahl. Gewählt werden durfte sowieso nur, wer zugelassen wurde. Und da hat man schon darauf geachtet, dass keine wirkliche Gefahr für das System droht, auch wenn hinter der Bühne natürlich verschiedene Fraktionen um die Macht ringen. Mussawi ist wohl eher ein Kern, um den sich die Bewegung bilden kann, die sich ansonsten nur schwer organisieren und etablieren kann, weil die Mittel der Kommunikation stark eingeschränkt sind. Das Problem wird auch sein, dass die Bewegung, wenn man überhaupt von einer solchen sprechen will, zwar vereint ist in der Forderung nach Neuwahlen und in der Ablehnung von Ahmadinedschad (und nach seiner Freitagspredigt auch von Khatami), über ihre weiteren Ziele aber Unklarheit herrscht.

Kein Wunder also, dass es erst einmal weniger waren, die sich auf die Straße trauten und ihr Leben oder ihre Freiheit riskierten, zumal die Iranische Revolutionsgarde gedroht hatte, jeden Protest zusammen mit den Basidsch-Milizen und anderen Sicherheitskräften "endgültig" mit "revolutionären Mitteln" niederzuschlagen.

Allerdings kommt von der Führung des Regimes neben der Peitsche auch das Angebot eines Zuckerbrots, das vermutlich dazu dienen soll, die Wogen zu glätten und die Bewegung in ihrer Dynamik zu brechen. Hatte der Wächterrat schon zuvor eingeräumt, dass es zu kleineren, ganz normalen, jedenfalls nicht wahlentscheidenden Unregelmäßigkeiten gekommen sei, weil "nur" in 50 Städten die Wahlbeteiligung 100 Prozent überstiegen hatte, so wird nun angeboten, die Ergebnisse jeder einzelnen Wahlurne bekannt zu geben. Ali-Asghar Sharifi-Rad, der Leiter der Wahlbehörde im Innenministerium, erklärte, man werde die Ergebnisse Urne für Urne veröffentlichen, um die Vorwürfe der Manipulation zu entkräften. Allerdings bleibt die Frage, ob jemand den Zahlen trauen wird, wenn sie nicht von einem unabhängigen Gremium überprüft werden.