Überwachung gewaltbereiter Jugendlicher über Blogs und SMS

Frankreichs Regierung will neue gesetzliche Mittel im Kampf gegen Jugendbanden

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Die gewaltbereite Jugend ist schon länger im Visier des französischen Präsidenten. Über die Landesgrenzen hinaus hatte sich das amtierende Staatsoberhaupt schon als Innenminister mit Tendenz zum harten Durchgreifen einen Ruf erworben - als „Kärcher-Sarkozy“, der im Juni 2005 schon gewusst hätte, wie man mit den Unruhestiftern in den Banlieues fertig würde: "nettoyer au karcher". Heute und in den nächsten Tagen berät nun das französische Parlament über einen Gesetzesvorschlag, der dem Staat bessere Mittel in die Hand gibt, um „gewalttätige Jugendbanden“ zu bekämpfen. Dazu wurde eigens ein neuer Straftatbestand geschaffen.

Zwar freut man sich im französischen Innenministerium über eine insgesamt bessere Kriminalstatistik, über weniger registrierte Verbrechen, aber die Zahl der erfassten Jugendbanden, die zur Gewalt neigen, gibt man mit 222 landesweit an – zum Erstaunen von Kritikern, die sich fragen, woher das Ministerium die Zahlen nimmt. Zu den Zahlen, die den Ängsten von Bürgern vor brutalen Ausschreitungen klare Zeichen vorgeben, kommen Ereignisse, die als Beweise für Realität eines Trends gehandelt werden. So zum Beispiel der brutale Angriff einer „zehn- bis zwanzigköpfigen“ Schlägerbande, bewaffnet mit Eisenstöcken und Messer, die Anfang März dieses Jahres am Gymnasium in Gagny (Seine-Saint-Denis), bei dem zwanzig Schüler verletzt und größere Sachschäden verursacht wurden. Eien Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Banden, wie sich herausstellte. Der Fall machte Schlagzeilen.

Nachdem Ausschreitungen Jugendlicher im Zusammenhang mit dem Natogipfel Anfang April ebenfalls für Top-News sorgten, nahm Sarkozy die Ereignisse zum Anlass, um beim „runden Tisch“ (Video) für mehr Tempo und Intitiative bei der Bekämpfung solcher "Strolche und Verbrecher" zu plädieren. Erstes Schwarz-auf-Weiß-Ergebnis der Faust-auf-den-Tisch-Politik: das Vermummungsverbot bei Demonstrationen, das am vergangenen Wochenende in Kraft trat.

Die Vermummung spielt auch bei der Gesetzeseingabe eine immer wiederkehrende Rolle, die über die das französische Parlament heute und an den kommenden Tagen berät. Es findet sich in zahlreichen Zusätzen des Gesetzentwurfs Nummer 1734 – wer vermummt ist, muss bei den ausgewiesenen Delikten mit noch stärkeren Strafen rechnen.

Ohnehin ist die Verschärfung der Strafen eins der hautsächlichen Anliegen des Gesetzesentwurfs, mit dem Sarkozy im April den ihm politisch nahestehenden Bürgermeister von Nizza und UMP-Abgeordneten Christian Estrosi betraut hat. Das spektakuläre Neuerungsmoment des Gesetzesentwurfs „zur Verstärkung des Kampfes gegen die Gewalt von Gruppen und zum Schutz von Personen, die eine Aufgabe im öffentlichen Dienst erfüllen“ ist jedoch die Einführung des Straftatbestands der „Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die – selbst wenn sie nur vorübergehend gebildet wird, das Ziel verfolgt, [..], absichtlich Gewaltaten gegen Personen auszuüben oder Sachen zu beschädigen“. Bestraft wird dies laut Gesetzesentwurf künftig mit 3 Jahren Gefängnis und einer Geldbuße von 45.000 Euro:

Article 1er

Après l’article 222-14-1 du code pénal, il est inséré un article 222-14-2 ainsi rédigé :
(Sans modification)

« Art. 222-14-2. — Le fait de participer, en connaissance de cause, à un groupement, même formé de façon temporaire, qui poursuit le but, caractérisé par un ou plusieurs faits matériels, de commettre des violences volontaires contre les personnes ou des destructions ou dégradations de biens, est puni de trois ans d’emprisonnement et de 45 000 euros d’amende. »

Andere Paragrafen ergänzen das „Arsenal“ der neuen strafrechtlichen Mittel gegen Jugendbanden. Viele sind vor allem darauf ausgerichtet, mit verschärften Strafen abzuschrecken, so wird das bislang gültige Strafrecht ausgeweitet – so soll beispielsweise die Bestrafung, die bislang nur für Personen griff, die bei „Zusammenrottungen“ (im Orginal „attroupements“) selbst eine Waffe trugen, künftig auch für Personen gelten, die zwar selbst keine Waffe tragen, aber freiwillig an einer solchen Mengenbildung teilnehmen, wo einer oder mehrere Waffen tragen. Für diese Straftat sind bis zu fünf Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 75.000 Euro vorgesehen. Laut Artikel 3 des Entwurfs trifft dasselbe Strafmaß jene Personen, die „ihr Gesicht, gänzlich oder in Teilen, verbergen, um nicht kenntlich zu sein“ - einer jener verschärfenden Zusätze, von denen weiter oben die Rede war.

Doch, fragenKritiker im Online-Magazin Numerama , woher nehmen die Behörden im Einzelfall die Gewissheit, ob es sich um einen Zusammenschluss gewaltbereiter Jugendlicher, „die Schaufensterscheiben einschlagen will“, handelt oder um eine friedliche Truppe von Freunden, die „zum Baseballspielen auf der Promenade des Anglais aufbricht“?

„Friedliche Spaziergänger“ habe das Gesetz natürlich nicht im Visier, antwortete auf eine ähnlich gestellte Frage der federführende Veranwortliche für das Gesetz, Christian Estrosi, bei einem Gespräch mit der Tageszeitung Le Parisien und gab mit seiner Antwort gleich einer anderen Befürchtung der Kritiker des Gesetzes neue Nahrung, dass nämlich die Überwachung mit dem Gesetz ausgebaut werde:

Die neuen Mittel erlauben schon im Vorfeld zu handeln, indem die Absichten aufgedeckt werden. Das ist ganz einfach, wenn Eisenstöcke geschwungen werden. Das ist aufzuspüren, wenn man Blogs und die SMS überwacht, die auf den Mobiltelefonen verschickt werden.

Beabsichtigt sei zudem die bessere audiovisuelle Ausstattung von Polizisten in den nächsten beiden Jahren, ein Gesetzeszusatz soll zudem die Gebäudeüberwachung verstärken, so Estrosi weiter, men denke insbesondere an Möglichkeiten der Verbindung privater Überwachung mit den Überwachungsnetzen der lokalen und nationalen Polizei.

Inwieweit durch das neue Gesetz auch die Schultaschen-Durchsuchung erlaubt werden soll, ist noch ein strittiger Punkt. Estros und seine politischen Freunde haben hier allerdings Vorkehrungen gegen allzukritische Mäkler am Entwurf getroffen, derlei Kompetenzen könne man dem Lehrpersonal auch über andere, niedriger gehängte, Regelungen vor Ort überschreiben.

Der zweiten Teil des Gesetzesentwurfs widmet sich ausdrücklich dem Schutz des Lehrpersonals. Hervorgehoben wird in der öffentlichen Auseinandersetzung vor allem, der Straftatbestand des unbefugten Eindringens bzw. Aufenthalts in einer Schuleinrichtung, das mit einem Jahr Gefängnis und der Zahlung von 7.500 Euro bestraft werden soll. Im Fall, dass es sich um mehrere Eindringlinge handelt, erhöht sich die Strafe auf 3 Jahre Freiheitsentzug und 45.000 Euro Geldbuße (mit Waffe liegt die Strafe bei 5 Jahren Gefängnis). Gewalt gegen Lehrer wird künftig als erschwerender Straftatbestand gewertet.