Costa Rica: Öko-Avantgarde oder grüne Schummelpackung?

Naturschützer und Wissenschaftler geben der Umweltpolitik von Präsident Oscar Arias schlechte Noten

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In Costa Rica bereiten sich die Parteien auf den Wahlkampf vor. In sieben Monaten sind die Wahlbürger des zentralamerikanischen Landes aufgerufen, über die Nachfolge des amtierenden Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Oscar Arias zu bestimmen.

Beobachter erwarten, dass die Präsidentschaftswahl ein Duell zwischen den Kandidaten der regierenden konservativ-sozialdemokratischen Partei der Nationalen Befreiung (PLN) und der Mitte-Links-Formation Partei der Bürgeraktion (PAC) wird. Mit Laura Chinchilla tritt erstmals eine Frau als Präsidentschaftskandidatin an. Die Ex-Vizepräsidentin ist enge Vertraute des Präsidenten und konnte sich bei Vorwahlen als Vertreterin des rechten PLN-Parteiflügels gegen zwei Konkurrenten durchsetzen. Mit deutlichem Vorsprung ging auch der moderate Parteigründer Ottón Solis aus den internen Vorwahlen der PAC hervor und wird am 07. Februar 2010 zum dritten Mal den Hut in den Ring werfen für die erst im Jahr 2001 gegründete Partei.

Dem Kandidaten der langjährigen Regierungspartei der „christlichen-sozialen Einheit“ (PUSC) werden kaum Chancen eingeräumt: Rafael Angel Calderón war Anfang der Neunziger bereits Staatschef, stand 2004 und 2005 dann aber unter Hausarrest, weil aufgedeckt wurde, dass er und zwei weitere Ex-Präsidenten zu ihren jeweiligen Amtszeiten in Schmiergeldskandale verstrickt waren. Vom Korruptionsskandal ist auch ein Ex-Präsident der PLN betroffen, aber politisch bezahlte vor allem die PUSC einen hohen Preis. Beim letzten Urnengang stürzte sie von der Regierungs- zur Splitterpartei ab, ihr Kandidat erhielt gerade einmal 3,5 Prozent der Stimmen.

Oscar Arias beim NASA TC4 (Tropical Composition, Cloud and Climate Coupling) Treffen in Costa Rica, 2007. Bild NASA

In den Zeiten des Vorwahlkampfes wird in Costa Rica viel über Sozialpolitik, Schutzschild und Kriminalitätsbekämpfung gestritten. Völlig ausgeklammert blieb bisher ein zentrales Projekt der scheidenden Regierung Arias - sein Umweltschutzprogramm Frieden mit der Natur, welches er im Sommer 2007 mit viel Trommelgewirbel der Weltöffentlichkeit vorstellte. Entschieden hat es zum Ruf Costa Ricas als „Öko-Musterländle“ beigetragen. Dennoch scheint es der Kandidatin der Regierungspartei nicht weiter erwähnenswert zu sein. Aber auch eine negative Bilanz präsentierte keiner der Präsidentschaftskandidaten. Vielleicht liegt es daran, dass es keine ökologische Partei gibt?

Die Versprechen vor zwei Jahren hörten sich zumindest interessant an: „Frieden mit der Natur“ beinhaltet ein internationales Maßnahmenpaket um vier zentrale Forderungen, das der Staatschef mit der UNO durchsetzen möchte. Von Chemiker Molina übernahm Arias die Idee einer Initiative für einen weltweiten Kanon, der jede Karbondioxidemission beendet als langfristiges Ziel. Auf dem Weg dahin möchte er eine Allianz der CO2-neutralen Staaten schmieden. Drittes Anliegen ist der Aufbau eines globalen Systems, welches den Schutz des Primärwaldes honoriert und nicht nur die im Kyotoprotokoll vorgesehen Wiederaufforstungsprojekte. „Länder wie Brasilien, Papua-Neuguinea und Costa Rica müssen dafür belohnt werden, wenn sie den Urwald schützen“, sagte er damals. Viertes Standbein der präsidialen Weltagenda ist eine internationale Initiative zum Schuldenerlass für Umweltschutz in der Dritten Welt.

Costa Rica ginge dafür auch in Vorleistung, versprach er. Unter anderem mit der Wiederaufforstung von weiteren 600.000 Hektar und der Einführung des Schulfaches „Umweltschutz“. Erarbeitet hat die Vorschläge ein 25köpfiges Komitee von Politikern, Unternehmern und Personen des öffentlichen Lebens, die direkt an den Präsidenten berichten und die Umsetzung künftig überwachen sollen.

Als Reichtum der Entwicklungsländer bezeichnet er die Wälder; insbesondere die Regenwälder Lateinamerikas, die Lungen der Welt. Beim verantwortungsvollen Umgang mit der natürlichen Ressource hat das kleine Costa Rica durchaus Fortschritte gemacht. Folge des globalen Heißhungers auf Fleischklopse war auch hierzulande eine massive Abholzung der Regenwälder für die Rinderzucht. Waren 1950 noch 72 Prozent des Landes mit Wäldern bedeckt, so zählte man 1987 gerade noch 21 Prozent.

Damals steuerte das jetzt als Ökotourismusparadies bekannte Land um, mit Erfolg: Heute sind mehr als die Hälfte des Landes wieder bewaldet und ein Viertel der Fläche steht unter Naturschutz. Costa Rica finanziert diese Naturparks zum Teil über eine 3,5-Prozent-Ökosteuer auf Benzin, ist internationaler Vorreiter beim Emissionshandel im Geiste des Kyotoprotokolls und möchte bis 2021 als einer der ersten Staaten weltweit CO2-neutral sein. Heute schon gewinnt das öffentliche Energieinstitut ICE 78 Prozent der nötigen Elektrizität aus Wasserkraft und weitere 18 Prozent aus Erdwärme.

„Frieden mit der Natur“ sei nie mehr als schönes Wortgeklingel gewesen, bilanzieren unterdessen Umweltschützer. Und Leonardo Merino, Umweltspezialist im hoch angesehen, unabhängigen Expertenteam Estado de la Nación, das regelmäßig umfassende Berichte zur politischen und ökonomischen Realität in Costa Rica verfasst, findet die Öko-Bilanz der Regierung Arias zumindest widersprüchlich. Insbesondere die urbane Entwicklung sei chaotisch und es fehle jede territoriale Planung.

Das Land hat sein Limit erreicht. Bei jeder Entscheidung, die gefällt wird gibt es Interessenkonflikte. Man streitet sich entweder mit den Bauherren, den Gemeinden oder Naturschützern. Letzteres geschieht viel, viel häufiger als ersteres.

Leonardo Merino, Umweltspezialist im Expertenteam Estado de la Nación

Zu Beginn der Amtszeit von Arias habe sich das anders dargestellt, berichtet Merino. Die Schlagwörter „Klimaneutral“ und „Frieden mit der Natur“ hätten die Hoffnung auf politische Fortschritte genährt. Deutlicher wird Heidy Murillo. Für die Vorsitzende des Umweltdachverbandes FECON war das Projekt „Frieden mit der Natur“ von vorneherein eine Mogelpackung. „Unter der Ägide von Arias erleben wir ökologischen Notstand wie schon lange nicht mehr“, sagte Murillo. Einige Beispiele seien Gemeinden im Süden Costa Ricas, die derzeit um ihren Zugang zum Trinkwasser kämpfen, weil die Regierung Massentourismusprojekte unterstütze, die den Anwohnern im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgraben. Anderenorts wehren sich Küstenbewohner und Fischer gegen ihre Vertreibung durch Immobilienspekulanten.

Besonders offensichtlich sei die unökologische Praxis der „grünen“ Arias-Regierung beim Projekt für Goldminen im Tagebau „Las Crucitas“ in der Grenzregion mit Nicaragua, gegen welches Nicaraguas Regierung auch bereits protestierte.

Es ist ein Hohn: Costa Rica ist das einzige Land der Welt, das einen Friedensnobelpreisträger als Präsidenten hat, welcher der Natur sogar den Frieden erklärt hat. Gleichzeitig ist dieser Präsident der einzige, der den Goldminentagebau zum nationalen Interesse erklärt hat.

Isaac Rojas vom Naturschutzbund Amigos de la tierra

Das Umweltministerium führt derzeit ein Interimschef. Denn im März musste der damalige Umweltminister Roberto Dobles zurück treten, nachdem herauskam, dass seine Frau Geschäftsbeziehungen zu eben dem kanadischen Minenunternehmen unterhalte, dem er die Konzession zum Goldschürfen erteilt hatte. Ein peinlicher Skandal für die Regierung des „grünen“ Präsidenten.

Unterdessen hat unter dem Vorsitz der Wissenschaftlerin Yamileth Astorga an der öffentlichen „Universität von Costa Rica“ (UCR) ein Forschungsprogramm seine Arbeit aufgenommen, welches sich mit der Analyse der Umweltpolitik der Arias-Regierung beschäftigt. Ein Ergebnis ist eine „schwarze Liste“ mit den schwersten Umweltvergehen unter dieser Administration. Einige sind:

  1. Die „runden Tische“, die im Kontext mit dem Programm „Frieden mit der Natur“ eingerichtet wurden, funktionieren nicht. In zwei Jahren gibt es kein einziges Resultat, kein Projekt, das hier initiiert wurde
  2. Per Dekret wurde das Naturschutzgebiet „Gandoca Manzanillo“ reduziert. Dies bevorzugt die Konstruktion von Gebäuden und eines Yachthafens im karibischen Puerto Viejo, welches u.a. negative Folgen für das Korallenriff hat
  3. Per Dekret wurde das Naturschutzgebiet auf der Insel San Lucas reduziert zugunsten von Baugenehmigungen von Luxushotels und Casinos.
  4. Auch auf steilem Gelände darf fortan gebaut werden, was die Küstenregion gefährdet
  5. Das Verbot für Goldminentagebau wurde aufgehoben und das umstrittene Projekt „Las Crucitas“ zu „nationalem Interesse“ erklärt. Bei der Goldgewinnung kommen u.a. hochgiftige Chemikalien zum Einsatz
  6. Genehmigungen im Schnellverfahren wurden erteilt für Ananasplantagen, ohne eine Umweltstudie eingeholt zu haben.
  7. Nach einer kritischen Äußerung wurde die Vorsitzende des für diese Genehmigungen zuständigen Umweltsekretariats SETENA ihres Amtes erhoben.

In den vergangenen drei Jahren kam es in vielen Teilen des Landes immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Umweltschützern und der Regierung. Zweifel an der Nachhaltigkeit der Umweltagenda von Präsident Arias sind also angebracht. Zynisch kommentierte der christsoziale Ex-Präsident Abel Pacheco das Programm:

Hoffentlich bedeutet dieser "Frieden mit der Natur" nicht "Natur ruhe in Frieden".

Der Autor arbeitet für das unabhängige Kommunikationszentrum Voces Nuestras in San José, Costa Rica