Zensur oder elektronischer Maulkorb?

Telekom Tochter OTE verlangt Netzsperre: Nehmt Indymedia vom Netz!

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Die graswurzeljournalistische Medienplattform Indymedia Athen ist in den Fokus der griechischen Politik geraten. Es droht die Abschaltung und eine Netzsperre.

Vor allem während des heißen Dezembers diente Indymedia als Informationsquelle über die Athener Krawalle, wurde aber ebenfalls als Koordinationszentrum genutzt. Indymedia, als internationales Netzwerk, dient unter anderem links- oder rechtsextremen Zeitgenossen als Plattform ihrer Veröffentlichungen und wurde aufgrund dessen bereits in vielen Staaten mehrfach Angriffsziel konservativer Politiker (Update: Für Rechtspopulist Schill ist sogar die RAF bei Indymedia noch aktiv). Aktuell berichtet athens.indymedia über Polizeiaktionen und Übergriffe bei "Säuberungsaktionen" gegen illegale Einwanderer. Über Indymedia organisieren sich die Kritiker des harschen Vorgehens gegen Immigranten.

Indymedia vom Netz oder Totalsperrung für die TH Athen

Der nationale griechische Telekommunikationsriese OTE, an dem die Deutsche Telekom einen Anteil von 30 Prozent hat, verlangt mit bisher zwei „Exodika“ (einer griechischen Form der Abmahnung) von der Staatsfirma EDET die sofortige Abschaltungen sämtlicher Netzzugänge der griechischen Indymedia Gruppe.

Die letzte, am 7. Juli erstellte Abmahnung besagt, dass die Abschaltung innerhalb von fünf Tagen erfolgen muss. Sollte dies nicht geschehen, werde OTE die Glasfaserkabel, welche die Technische Hochschule Athen mit dem Internet verbinden, kappen. OTE verweist im Schreiben darauf, dass die Glasfaserkabel lediglich zur wissenschaftlichen, nichtkommerziellen Nutzung bereitgestellt würden. Daher sei die Einspeisung von Indymediaseiten ein klarer Vertragsverstoß. Denn, so der Text weiter, diese Seiten würden nicht der Verbreitung von Wissenschaft dienen.

EDET ist als Staatsbetrieb des griechischen Entwicklungsministeriums verantwortlich für die Vernetzung von Schulen und Universitäten und reagierte mit einer Presserklärung sowohl auf die Abmahnung als auch auf deren kommentierte Veröffentlichung in rechtskonservativen Medien.

Die Netzwerkbetreiber beantworteten am 7. Juli die erste Abmahnung seitens OTE vom 30. Juni (Sie berufen sich darauf, dass EDET lediglich für die Technik der physischen Vernetzung verantwortlich sei, daher nicht als Ansprechpartner für Fragen der Zensur von Inhalten zur Verfügung stehe. Diese Kontrollfunktion liege weder rechtlich noch organisatorisch in der Kompetenz der EDET.

Ohne Festplatte keine Anzeige

Der Netzbetrieb von Indymedia über Hochschulserver gibt den Betreibern einen Schutz vor Strafverfolgung. An griechischen Hochschulen herrscht universitäres Asyl. Als Konsequenz der am 17. November 1973 erfolgten blutigen Niederschlagung studentischer Proteste gegen die damalige Militärdiktatur (1967-74) gilt das verfassungsmäßig verankerte akademische Asyl politisch als „heilige Kuh“. Sämtliche Versuche, es aufzuweichen, werden von der Bevölkerung rigoros abgestraft. Zuletzt, im Herbst 2007 verlor die damals amtierende Bildungsministerin Marietta Giannakou trotz des Wahlsiegs ihrer Partei ihren Parlamentssitz. Sie hatte sich mit den Studenten angelegt (Studentische Unruhen in Griechenland). Giannakous politisches Comeback gelang erst bei den Europawahlen 2009, als sie trotz innerparteilicher Kritik von Ministerpräsident Kostas Karamanlis als Spitzenkandidatin nominiert wurde.

Das akademische Asyl garantiert allen, die sich auf universitärem Grund befinden, einen Schutz vor Strafverfolgung. Denn es ist staatlichen Ordnungskräften ohne vorherigen Beschluss des Rektorats untersagt, das Gelände in amtlicher Funktion zu betreten. Dies wiederum schützt die Festplatten von Indymediaservern vor einer Beschlagnahme. Ohne Festplattendateien als Beweis stehen den Strafverfolgungsbehörden keine Mittel zur Verfügung, um gegen Indymedia gerichtlich vorzugehen.

Pressefreiheit und ihre Einschränkungen

In Griechenland herrscht eine verfassungsgemäß garantierte Pressefreiheit. Diese Freiheit ist allerdings de facto begrenzt. Einerseits sind viele Medien auf staatliche Werbeeinnahmen angewiesen und dadurch bei allzu kritischer Berichterstattung ein leichtes Opfer. Andererseits zitieren vor allem Richter und Staatsanwälte Journalisten aufgrund kritischer Berichterstattung gerne vor Gericht. Bereits die Kritik an einem Gerichtsurteil oder Ermittlungsbehörden wird als „Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz“ empfunden und in Folge dessen strafrechtlich verfolgt. Eine abfällige, wertende Charakterisierung eines Justizfunktionärs gilt dabei als Majestätsbeleidigung. Gerade dies aber macht - geschützt durch das akademische Asyl - Indymedia. Es kann ohne Corpus Delicti schwerlich nachgewiesen werden, an welchem Ort die justiziable Tat stattfand.

In anderen Fällen, wenn es zum Beispiel um den Schutz von Minderheiten oder um antisemitische Parolen geht, zeigt sich die Justiz allerdings toleranter (Freispruch für Holocaustbefürworter und Antisemiten).

Law & Order: Hintergründe und Vorgeschichte

Im Dezember 2008 war Indymedia kurz nach den Todesschüssen auf den Schüler Alexandros Grigoropoulos eines der ersten Medien, die über das Ereignis berichteten. Während nach den in der Nacht des 6. Dezember 2008 begonnenen Unruhen am nächsten Morgen bereits Polizeihubschrauber über die Athener Innenstadt kreisten, gab es seitens des Rundfunks keine Informationen. (Die Proteste in Griechenland halten an)

Als Folge der Dezemberkrawalle geriet die Regierung Karamanlis immer mehr unter Druck (Griechische Regierung in Nöten). Bereits aufgrund vielfacher politischer Skandale und Affären politisch angeschlagen, zeigte sich die Regierung nun in der Wahrung der inneren Sicherheit machtlos, sie gab sich reuig und schuldbewusst. Sowohl in privaten als auch staatlichen Medien wurde propagiert, dass die Polizei aus Furcht vor weiteren Eskalationen einen Befehl zur Zurückhaltung erhalten habe. Trotzdem kam es zu Übergriffen frustrierter Beamter, die von allen Seiten beschimpft wurden. Demonstranten warfen den polizeilichen MAT-Spezialeinheiten exzessive Brutalität gegen friedliche Protestierer vor, Ladenbesitzer klagten über mangelnden Schutz gegen Steinewerfer und Plünderer. Die Wirtschaft des Landes kam nahezu vollständig zum Erliegen.

Das griechische Parlament, das Amnestierung von Politikern vor den Europawahlen vorzeitig geschlossen wurde. Bild: W. Aswestopoulos

Ein Premier auf der Suche nach einer Kehrtwende

Zunächst hatte Karamanlis mit einer Kabinettsumbildung versucht, den Abwärtstrend seiner Regierung zu stoppen. Erschüttert durch weitere Skandale schloss Karamanlis im Mai vorzeitig die Sitzungsperiode des Parlaments. Damit verhinderte er aufgrund geltender griechischer Gesetzte eine strafrechtliche Verfolgung der belasteten Politiker. Konsequenterweise musste seine Partei bei den Europawahlen im Juni eine empfindliche Schlappe hinnehmen.

Wahlsieger waren entgegen dem europaweiten Trend zum Rechtsruck die Sozialisten der PASOK. Zweiter Sieger wurde die rechte Partei LAOS, die ihren Stimmanteil auf 7,15% verdoppeln konnte. Das orthodoxe Sammlungsbündnis LAOS, gegründet von Georgios Karatzaferis, einem Ex-Parteigänger von Karamanlis, hatte der Partei des Ministerpräsidenten mit einer „law and order“ Kampagne zahlreiche Wähler abspenstig gemacht. Besonders das Thema der illegalen Immigranten liegt LAOS am Herzen. Sie empfinden diese als Bedrohung. Vom rechten Rand gestartet verstand es der Journalist Karatzaferis allerdings auch mit griffigen sozialen Parolen, das Herz seiner Wähler zu gewinnen. Er gibt in Interviews offen zu, dass er das dazugehörige Programm bei Oskar Lafontaine abgeschrieben hat.

Athens neue Polizeistaffel "Delta" überwacht auch Fußgängerzonen. Bild: W. Aswestopoulos

Die Immigranten als wehrloses Opferlamm

Gebunden an den EU-Stabilitätspakt kann Karamanlis keine sozialen Reformen einleiten. Er ist viel mehr zu striktem Sparen und zu Steuererhöhungen verdammt. Sogar neue Steuern werden eingeführt, was sowohl die Wirtschaft als auch die Kassen der Bürger belastet.

In dieser Zwickmühle hofft der Premier, mit scharfem Vorgehen gegen die schutzlosen Immigranten sein Profil zu verbessern. Verschärfte Gesetze sollen Asylsuchende von griechischen Straßen fernhalten. Karamanlis Flehen an seine europäischen Kollegen, ihn dabei finanziell zu unterstützen, stießen auf taube Ohren.

Seine Regierung strebt daher danach, die Forderungen von LAOS zu übertreffen und erlässt immer schärfere Gesetze. So gilt zum Beispiel seit 18. Juni:

  1. Die maximale Abschiebehaftzeit wurde von bisher drei auf sechs bis zwölf Monate verlängert. Damit, so die Gesetzgeber, solle dem Rassismus Einhalt geboten werden. Die verlängerte Haft solle verhindern, dass der abgelehnte Asylant kriminelle Straftaten begehen könne, somit eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen würde. Als gefährlich wird der Asylsuchende bereits dann eingestuft, wenn gegen ihn wegen eines Vergehens, das mit mehr als 3 Monaten Haft bedroht ist, Anklage erhoben wird. Eine Verurteilung ist nicht erforderlich.
  2. wer einem illegalen Immigranten Fluchthilfe leistet mit einer Zuchthausstrafe bis zu 10 Jahren bestraft wird. Darüber hinaus muss eine Geldstrafe von mindestens 20.000 Euro bezahlt werden. Dieser Passus betrifft ausdrücklich auch jene, die aus Unwissen oder in humanitärer Absicht handeln. Gewerbsmäßige Fluchthilfe wird mit mindestens zehn Jahren Gefängnis (bisher zwei) und mindestens 50.000 Euro Strafe bedroht. Als gewerbsmäßiger Fluchthelfer gilt bereits, wer zusammen mit einer weiteren Person den illegalen Grenzübertritt ermöglicht.

Selbst arglose Touristen oder LKW-Fahrer sind nun mit Zuchthaus bedroht. Regelmäßig springen in den Häfen von Patras und Igoumenitsa wagemutige Flüchtlinge auf LKWs oder PKW-Anhänger. Einzelne Touristen berichteten bereits vor Verabschiedung des neuen Gesetzes über ihre Festnahme. So wurde ein deutsches Freundespaar tagelang festgehalten und dem Schnellgericht überstellt, weil sich Palästinenser in einem unbeaufsichtigten Moment im Bootsanhänger versteckt hatten.

Immigranten halten in einer Nebenstraße Ausschau nach der Polizeistreife. Als Schwarzhändler tätig müssen sie ihr Hab und Gut stets schnell einpacken können. Bild: W. Aswestopoulos

Eine vervierfachte Haftdauer bedarf einer adäquaten Kapazität an Unterkunftsmöglichkeiten. Die Regierung plant deshalb die Errichtung spezieller Gefängnisse in stillgelegten Kasernen des Heeres und der Luftwaffe. Die Beantragung von politischem Asyl gewährt keinen Schutz vor einer Inhaftierung, was nicht nur von Indymedia, sondern etwa auch von amnesty kritisiert wird. Allerdings hat es sich besonders Indymedia auf die Fahnen geschrieben, gegen den zunehmenden Fremdenhass vorzugehen. Personifiziertes Feindbild der Indymediaaktivisten ist LAOS.

Eine parlamentarische Anfrage und ihre Folgen

Ilias Polatidis, seines Zeichens Abgeordneter für LAOS, hat bereit im April über parlamentarische Anfragen die Regierung zu einem Vorgehen gegen Indymedia aufgerufen.

Offensichtlich möchte Karamanlis, derzeit gerade wieder wegen eines Fauxpas seiner Regierung unter Druck, mit hartem Vorgehen gegen Indymedia bei der Wählerschaft von LAOS punkten. Seine Außenministerin Dora Bakojianni hatte mit Karamanlis Rückendeckung zugelassen, dass ein staatliches Flugzeug des nördlichen Nachbarn mit der Aufschrift „Makedonjia“ auf Korfu landen durfte. Ein klarer Affront gegen nationalbewusste Griechen, die sich seit nunmehr fast zwanzig Jahren im Namensstreit mit der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Makedonien (international offiziell als FYROM anerkannt) befinden.

Parlamentarische Unterstützung erhält Indymedia lediglich vom Linksbündnis SYRIZA. Dieses zählt neben der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) zu den Befürwortern einer humaneren Asylpolitik. SYRIZA war allerdings auch bei den Dezemberkrawallen als einzige Partei offen auf Seiten der Randalierer. Die Protestpartei hatte im Unterschied zu LAOS bei den Europawahlen Stimmverluste hinnehmen müssen. Der Zensurkampf um Indymedia ist demnach auch ein Stellvertreterkrieg.