Barack Obamas Prager Frühling

Der US-Präsident wirbt für eine Welt ohne Atomwaffen - vor allem im Iran und Nordkorea - und die weltweite Verbreitung der zivilen Nutzung der Atomenergie

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Anfang der letzten Woche unterzeichneten der US-Präsident Barack Obama und sein russischer Amtskollege Dmitri Medwedew ein Memorandum über ein Folgeabkommen für den im Dezember 2009 auslaufenden Start-1-Vertrag. Das Ziel ist die beiderseitige Reduktion von atomaren Sprengköpfen und den dazugehörigen Trägerraketen. Außerdem brachte Obama eine internationale Atomwaffenkonferenz ins Gespräch: Im März 2010 sollen Staats- und Regierungschefs von ca. 30 Ländern in Washington zusammenkommen, um über die Reduktion von Atomwaffen und die weltweite Verbreitung der zivilen Nutzung der Atomenergie zu diskutieren.

Obamas Vorschlag wurde sowohl von Moskau als auch den Oberhäuptern der G-8-Staaten sowie dem noch amtierenden Generaldirektor der UNO-Atomenergiebehörde IAEA, Mohammed El-Baradei, begrüßt. Das Treffen in Moskau war mit Spannung erwartet worden, war es doch der erste Besuch des neuen US-Präsidenten in Russland, und erst kürzlich hatte dieser in seiner Rede in Prag am 5. April 2009 seine Vision von einer atomwaffenfreien Welt erläutert.

Der Start-1-Vertrag wurde im Juli 1991 von Michail Gorbatschow und George Bush sen. abgeschlossen. Darin wurde die Begrenzung von atomaren Sprengköpfen auf 6.000 pro Seite festgelegt. 2002 vereinbarten der damalige russische Präsident Wladimir Putin und George W. Bush jr. das SORT-Abkommen, nach dem bis Ende 2012 die Anzahl der Gefechtsköpfe auf jeweils 2200-2700 reduziert werden sollten. Jetzt wurden in Moskau die Weichen für einen Start-1-Folgevertrag gestellt, in dem die Zahl der Sprengköpfe innerhalb von sieben Jahren von jetzt ca. 2.202 (USA) bzw. 2.787 (Russland), (Stand Januar 2009 nach SIPRI) auf 1.675 bis 1.500 pro Seite und die der Trägerraketen von jetzt maximal 1.600 auf 500 bis 1.100 jeweils beschränkt werden soll. Außerdem hat man sich auf die Einrichtung einer ständigen zwischenstaatlichen Kommission zur Klärung aller strittigen Fragen unter Vorsitz der beiden Präsidenten geeinigt.

Bereits in Moskau kündigte Obama eine internationale Atomwaffenkonferenz für 2010 an. Bei einem gemeinsamen Abendessen der G-8-Statschefs am vergangenen Mittwoch konkretisierte der US-Präsident seine Pläne. Demnach sollen im März 2010 die Staats- und Regierungsoberhäupter von ca. 30 Ländern zusammenkommen, um über die Reduktion von Atomwaffen zu diskutieren, und darüber zu beraten, wie die Weiterverbreitung von Atomwaffen, vor allem in Bezug auf den Iran und Nordkorea, verhindert werden, der Schmuggel mit angereichertem Uran gestoppt und die Terrorgefahr gebannt werden könne. Außerdem soll über Möglichkeiten nachgedacht werden, die zivile Nutzung der Atomenergie weltweit zu ermöglichen, ohne dass die partizipierenden Länder eigenständig Atombomben entwickeln können.

Der britische Premierminister Gordon Brown kündigte an, im Zuge weltweiter nuklearer Abrüstung auch das britische Atomprogramm zur Disposition zu stellen. Im März 2007 hatte Großbritannien unter der Ägide von Tony Blair noch eine Modernisierung des Atomwaffenarsenals beschlossen (Blair will Modernisierung der britischen Atomwaffen). Die Zahl der vorhandenen Sprengköpfe soll demzufolge bis 2020 um 20 % reduziert, im Gegenzug die Trident-Raketen und die U-Boot-Flotte modernisiert werden. Brown schlug am vergangenen Mittwoch vor, Waffeninspekteure in den Iran zu entsenden. Sollte die Regierung in Teheran dieses Ansinnen verweigern, könne dies dazu führen, dass der Golfstaat aus der Staatengemeinschaft ausgeschlossen werde, sagte Brown auf einer Pressekonferenz in London am vergangenen Mittwoch.

Wie die französische Presseagentur AFP berichtete, begrüßte auch der noch amtierende Generaldirektor der UNO-Atomenergiebehörde IAEA, Mohammed el-Baradei, die Debatte über nukleare Abrüstung. Er habe die NATO-Mitgliedsstaaten gedrängt, weniger auf Atomwaffen zusetzen. Darauf zu beharren, der Besitz von Atomwaffen sei die höchste Garantie der Abschreckung, sei die absolut falsche Botschaft an den Rest der Welt, so El Baradei.

Skepsis in der Friedensbewegung

Die deutsche Friedensbewegung zeigt sich weniger euphorisch als die Politiker. „Die anvisierte Moskauer Vereinbarung ist ein Trippelschrittchen in Sachen Abrüstung, da die Reduktion der Sprengköpfe nur geringfügig unter der in dem SORT-Abkommen festgelegten Anzahl liegt. Wer wirklich eine atomwaffenfreie Welt will, muss in deutlich größeren Schritten abrüsten“, betont Lühr Henken vom Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung gegenüber Telepolis.

Die atomaren Sprengköpfe, über deren Reduktion jetzt in Moskau gesprochen wurde, sind Relikte aus dem Kalten Krieg, deren Unterhalt und Wartung kostspielig ist, die zudem ihren Zweck auch nicht mehr erfüllen – und die eine Sprengkraft haben, deren Auswirkungen vom Zielgebiet bis zur Herkunftsregion zurückreichen könnten. „Jede dieser Atomraketen hat ca. die 10fache Sprengkraft wie die Hiroshima-Bombe. Dass deren Einsatz mit Risiken auch für die eigene Nation verbunden ist, erhöhte Krebsgefahr, Fehlgeburten, usw., hat sich auch bis in die USA rum gesprochen“, erläutert Marion Küpker, internationale Koordinatorin gegen Atom- und Uranwaffen der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsgegner (DFG-VK) und Koordinatorin der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen (GAAA) gegenüber Telepolis.

Außerdem sind Führungs- und Atombunker sowie Forschungsanlagen unterirdisch. D. h., heute geht es nicht mehr in erster Linie darum, Städte oder ganze Länder auszuradieren, sondern vor allem die politische Führung eines Landes und atomare Anlagen unschädlich zu machen. Dazu werden Waffen benötigt, die weniger atomare Sprengkraft haben, sich durch härtere Ziele bohren, und zig-Meter tief in die Erde eindringen können. Dazu wird nach ganz neuen, effektiveren, Bunker brechenden Mini-Nuke-Systemen geforscht, die zusätzlich zu dem nuklearen Sprengkopf einen hohen Urangehalt haben, um tief ins Erdreich eindringen zu können, ca. 20 – 30 Meter tief. Dort kommt als zweiten Schritt der Atom-Sprengkopf zum Einsatz, um die Bunker aufzuknacken.

Marion Küpker

Während Obama in Moskau über die Reduzierung von atomaren Sprengköpfen und Trägerraketen verhandelt, wird in den Labors in Los Alamos im Bundesstaat New Mexico (USA) Forschung zur Produktion der von Küpker beschriebenen neuartigen Mini-Nukes betrieben (Mini-Nukes gegen Schurkenstaaten). Mit dieser neuen Waffengeneration soll nach den Plänen des Pentagon ein Einsatz von Nuklearwaffen unterhalb der Schwelle eines Atomkriegs möglich werden (Es gibt keine harmlosen Mini-Nukes). Das berichtet u.a. der Redakteur Heinz Greuling in dem Dokumentarfilm Kalte Krieger rüsten ab - Der Kampf gegen neue Atomwaffen des WDR von 2008. In Los Alamos sind 6.000 Mitarbeiter beschäftigt. Ihnen stehen die schnellsten Rechner der Welt und 2,2, Mrd. US $ zur Verfügung. Das Geld für die Forschung kommt vom Energieministerium, der Kongress lehnte allerdings bisher die Bereitstellung von Geldern für die Produktion ab, so Greuling.

„Wenn Obama von einer Welt ohne Atomwaffen spricht, dann spricht er von einer Welt mit weniger, dafür effektiveren Atomwaffen. Wie seiner viel zitierten Rede von Prag vom 5. April 2009 zu entnehmen ist, behalten die USA sich das Recht vor, weiterhin Atomwaffen zu besitzen und potentielle Gegner damit zu bedrohen“, so Küpker. „Obamas Prager Frühling ist kein Fortschritt für die Menschheit, sondern die Festschreibung der Vorherrschaft der USA.“ Küpkers Befürchtungen werden auch von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) Tübingen geteilt. Mit dem geplanten Raketenabwehrsystem National Missile Defense (NMD) würde die Erstschlagfähigkeit der USA enorm gesteigert, so die IMI, weil sich vom Gegner abgefeuerte Raketen, so zumindest die Hoffnung der Militärstrategen, weit weg von den USA abschießen ließen. Viele der russischen Atomsprengköpfe lassen sich aber, so Claus Schreer von IMI, nicht mit dem NMD-System abfangen. „Mit dem Raketenabwehrsystem würde ein Atomerstschlag gegen Russland wieder zu einer realistischen Option, die Reduzierung der Atomwaffen würde diese Option begünstigen“, so Schreer. Allerdings kündigte Obama bei seiner Rede vor russischen Wirtschaftstudenten in Moskau am vergangenen Dienstag an, auf das von der Bush-Regierung massiv vorangetriebene Raketenabwehrsystem zu verzichten, sofern der Iran durch Einwirkung Russlands auf sein Atomprogramm verzichte.

"Die NATO wird auch weiterhin eine Mischung aus nuklearen und konventionellen Waffen haben"

Obama sagte in Prag, sein Ziel sei eine Welt ohne Atomwaffen, auch wenn er dies zu seinen Lebzeiten vielleicht nicht mehr erleben werde. Allerdings ist diese Vision eine mit einer kleinen realpolitischen Einschränkung: “So lange diese Waffen existieren, werden wir ein sicheres und effektives Arsenal zur Abschreckung unterhalten, und diesen Schutz allen Verbündeten garantieren“, betonte Obama.

Make no mistake. As long as these weapons exist, we will maintain a safe, secure and effective arsenal to deter and adversary, and guarantee that defense to all allies.

Barack Obama

Das deckt sich mit der politischen Linie der NATO. Einen Tag, bevor Obama in Prag den Weltfrieden predigte, wurde in Straßburg noch von den Regierungschefs der Mitgliedsländer des Verteidigungsbündnisses erklärt: „Eine Abschreckung, die sich auf eine geeignete Mischung aus nuklearen und konventionellen Fähigkeiten stützt, bleibt ein Kernelement unserer Gesamtstrategie“.

Und einen Tag, nachdem Obama den Oberhäuptern der G-8-Staaten seine Idee der Atomwaffenkonferenz erläuterte, schaltete sich NATO-General-Sekretär Jaap de Hoop Scheffer ein: "Es ist kristallklar, dass die NATO auch weiterhin eine Mischung aus nuklearen und konventionellen Waffen haben wird. So weit es die NATO betrifft, glaube ich nicht, dass sich daran etwas ändern wird.“

Von den Atombomben der USA sind schätzungsweise 150 – 240 Stück in Europa stationiert (480 Atombomben lagern noch in europäischen Staaten. Davon ca. 20 Sprengköpfe vom Typ B 61 auf dem Fliegerhorst in Büchel in der Südeifel, die zusammengenommen eine Sprengkraft von mehr als 150 Hiroshima-Bomben haben. Die Stationierung findet statt im Rahmen der nuklearen Teilhabe der BRD innerhalb der NATO, ein Programm der NATO, Staaten, die keine Atomwaffen besitzen oder besitzen dürfen, in das Konzept der atomaren Abschreckung einzubeziehen (Nuklearer Teilhaber Deutschland). Die Bundeswehr stellt die Tornado-Kampfflugzeuge als Trägersystem und Bundeswehrsoldaten wären verpflichtet, im Ernstfall die Atombomben auf Befehl der NATO ins Zielgebiet zu fliegen und dort abzuwerfen. Die Friedensbewegung protestiert seit langem gegen den Stützpunkt Büchel. Ab dem 13. Juli 2009 findet dort ein vierwöchiges Aktionscamp statt.

Birgit Gärtner