Korruption in der Wissenschaft?

Sonderforschungsbereich "Governance" an der FU Berlin in der Kritik

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Korruption in der Wissenschaft kann Verschiedenes bedeuten. Manche Wissenschaftler fälschen Ergebnisse, um ihren Job zu behalten -klassischerweise Naturwissenschaftler und Mediziner. Manchmal bereichern Forschungsergebnisse oder Einrichtungen und Möglichkeiten der Universitäten private Firmen, die z.B. ein Professor oder Uni-Vizepräsident gegründet hat, wie man an der neoliberalen Vorzeige-Uni Leuphana in Lüneburg derzeit vermutet.

Vielleicht werden auch manchmal Forschungsgelder ganz einfach für private Belange zweckentfremdet. Manche sehen eine Korruption der Wissenschaft auch schon dann gegeben, wenn Forschung nicht zur reinen Erkenntnis oder zum Nutzen des Allgemeinwohls betrieben wird, sondern sich in den Dienst von Machtinteressen stellt - und seien es auch die der eigenen Regierung oder der Europäischen Union. Vor allem letzteres wird dem drittmittelfinanzierten Sonderforschungsbereich (SFB) 700 „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit: Neue Formen des Regierens“ vorgeworfen. Argwohn erregt dabei z.B., wie diese "embedded science" den (vom Westen erklärten) "failed states" ihre staatliche Souveränität aberkennt.

Der am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin angesiedelte SFB 700 hat seine Arbeit 2006 aufgenommen und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. 2009 arbeiteten dort bereits um die 40 Wissenschaftler in 19 Teilprojekten am Thema Governance, "dem Regieren". SFB-Forscher Thomas Risse versteht unter Governance ein Konzept mittlerer Reichweite, das die Gesamt aller nebeneinander bestehenden Formen der kollektiven Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte in sich vereint, "von der institutionalisierten zivilgesellschaftlichen Selbstregelung über verschiedene Formen des Zusammenwirkens staatlicher und privater Akteure bis hin zu hoheitlichem Handeln staatlicher Akteure".

Man fragt nach den Bedingungen von Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit:

...d.h. in Entwicklungs- und Transformationsländern, „zerfallen(d)en Staaten“ in den Krisenregionen der Welt oder, in historischer Perspektive, verschiedenen Kolonialtypen. Wie und unter welchen Bedingungen werden Governance-Leistungen in den Bereichen Herrschaft, Sicherheit und Wohlfahrt in Räumen begrenzter Staatlichkeit erbracht, und welche Probleme entstehen dabei?

Derzeit scheint der SFB 700 Probleme mit der Governance seinen eigenen Finanzen zu haben. Im Internet kursiert ein anonymes Papier „Intervention im SFB 700 - Gegen eine bedingungslose Verlängerung des SFB 700! Für die Sicherung von Demokratie und breiter Lehre am Fachbereich Politik und Sozialwissenschaften!“, in dem die wissenschaftliche Zielrichtung ebenso wie die Personalpolitik kritisiert wird. Eine Kritik, die auch Blogger im Fachbereichsrat zu teilen scheinen.

Man habe bei Studien zu Public Private Partnerships im Bereich Daseinsfürsorge an der Erhöhung der Akzeptanz für die Privatisierung von Wasserwerken geforscht - kein nobles Anliegen, wie die Kritiker finden. Doch es kommt noch schlimmer: In einer Sitzung des Institutsrats sei jüngst bekannt geworden, dass die damalige Dekanin Barbara Riedmüller "individuelle Zielvereinbarungen" mit den zentralen SFB-Forschern Thomas Risse und Tanja Börzel über jeweils 10.000 € abgeschlossen habe, obwohl solche Vereinbarungen selbst nach eigenen Maßgaben nicht zulässig, wenn nicht gar rechtswidrig seien. Nachdem dieser Skandal publik wurde, habe Prof. Börzel erklärt, dass weder sie noch ihr Kollege Prof. Risse (der zugleich ihr Ehepartner ist) diese Gelder nunmehr anrühren wollten. Bei telefonischen Anfragen nach Zweck und Umständen der Geldzusage war keiner der drei beteiligten Hochschullehrer erreichbar, doch in den Sekretariaten schien man sich der Brisanz der Affäre durchaus bewusst. Per Email teilte Frau Prof. Börzel immerhin am 9.7.09 mit:

Als seriöser Journalist werden Sie sicherlich verstehen, dass wir zu derartigen Äußerungen keine Stellungnahmen abgeben.

Tanja Börzel

Seinen Sitz hat der SFB 700 im Alfried-Krupp-Haus Berlin, das der Freien Universität Berlin von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung für die Laufzeit des Sonderforschungsbereiches zur Verfügung gestellt wurde. Schon bei der Wahl des Ortes sehen Kritiker ungute Vorzeichen: Alfried Krupp war bereits 1931 förderndes Mitglied der SS und brachte es 1937 bis zum Wehrwirtschaftsführer. 1948 wurde er vom US-Militärtribunal in Nürnberg wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zwölf Jahren Haft und zur Einziehung seines gesamten Vermögens verurteilt. Ihm war nachgewiesen worden, dass er von der Ausbeutung von Zwangsarbeitern profitiert hatte und zudem auch an der Plünderung von Wirtschaftsgütern in den von Deutschland besetzten Gebieten beteiligt war. Doch bereits 1951 wurde Krupp von der Justiz des Adenauer-Regimes aus der Haft entlassen. Eichmann in Jerusalem hatte sich vergeblich darauf berufen, weniger belastet zu sein als sein Nazi-Vorgesetzter Globke, der Adenauers wichtigster Berater war. Krupp hatte vor westdeutschen Gerichten mehr Glück; 1953 erhielt er sogar sein gesamtes Vermögen zurück. In seiner Nachfolge und zu seinem Andenken wird damit heute auch der SFB 700 gefördert.

Der SFB-Kritiker Peer Heinelt betrachtet in seinem Aufsatz „Herrschaftswissen. SFB 700: Ein Institut an der FU Berlin liefert Informationen und Strategiekonzepte für bundesdeutsche Großmachtpolitik“ besonders argwöhnisch den Ansatz von Juniorprofessor Sven Chojnacki, einem der Projektleiter des SFB 700. Der Politologe Chojnacki arbeite an einem "Datenbankprojekt", das Informationen zu "Akteurskonstellationen, Strukturbedingungen und Gewaltdynamiken inner- und substaatlicher Kriege nach 1990" bereitstellen solle. Sein erklärtes Ziel sei dabei die "präzise Erfassung von gewaltsamen Konflikthandlungen auf Ereignisbasis" und die Kartierung "lokaler, regionaler oder transnationaler Konfliktformationen". Damit sei möglich, einen "systematischen Einblick" in "Eskalations- und Deeskalationsdynamiken" zu gewinnen. Neben Angaben zu den "militärischen und finanziellen Möglichkeiten der involvierten Akteure" solle die Datenbank auch "Informationen zu militärischen Handlungen" enthalten und "Häufigkeiten und Charakteristika externer Steuerungsversuche (militärische Intervention)" berücksichtigen.

Chojnacki zufolge schließe das Projekt mit dieser "innovativen Eigenleistung" nicht nur eine "zentrale Lücke in der nationalen und internationalen Konflikt- und Sicherheitsforschung", sondern übernehme zugleich sowohl eine "Dienstleistungs-" wie auch eine "Pilotfunktion" für ähnlich gelagerte Forschungsaktivitäten. Auf der Basis der Untersuchung der Modalitäten vergangener Bürger- und Interventionskriege würden also, so Kritiker Heinelt, Informationen über zukünftige Interventionsgebiete umfassend gebündelt und ausgewertet, wobei das Interesse vor allem rohstoffreichen Länder des Südens gelte.

Im Forschungsprojekt "Theoretische Grundlagen" des SFB 700 wird laut Peer Heinelt unter anderem der Frage nachgegangen, wie internationale Institutionen und NGOs (Non-Governmental-Organizations) eine sogenannte "Good Governance" verdeckt steuern können und inwieweit externe Eingriffe und Aufbauhilfen notwendig wären. Exemplarisch geschehe dies anhand von Fallstudien zu einem Schwellenland, dessen Gebietsherrschaft in Teilen des Territoriums in Frage stehe (Mexiko/Chiapas), und einem zerfallenden Staat (Georgien). Die in diesem Zusammenhang entwickelten "Lösungsstrategien" wolle man für andere Auseinandersetzungen mit vergleichbaren Akteurskonstellationen fruchtbar machen.

Ob die ethische Seite solcher Forschungen wirklich ausreichend geklärt ist, dürfte zweifelhaft sein. Die Studien sind nicht so angelegt, dass sie Opfern von Ausbeutung und Unterdrückung Hilfe anbieten, sondern scheinen eher die Methoden kolonialistischer Herrschaft perfektionieren zu wollen. Wenn in der Governance-Theorieschule lieber von dem “Regieren” als von der Regierung gesprochen wird, dann spürt man förmlich das Verbiegen der politischen Begrifflichkeiten: Nicht Verantwortliche in der sich demokratisch zu legitimierenden Institution der Regierung sind angesprochen, sondern ein entpersonalisiertes prozesshaftes Regieren. Nicht einmal adressatloses Moralisieren würde in so einer Perspektive noch Sinn machen, geschweige denn die Suche nach den Tätern: Verantwortung für Versagen, Korruption, Regierungsverbrechen? Keine Frage: es wurden nur ein paar Fehler gemacht, die Governance war noch nicht ausreichend optimiert.

Sichtbar werden dabei auch neue Steuerungsmodelle, die Herrschenden auch hierzulande helfen könnten: Wie man mittels NGOs (Bertelsmann Stiftung) und internationalen Organisationen (EU, Lissabon-Vertrag) eine im Sinne der so steuernden Akteure “gute Regierung” praktiziert, können wir gerade erleben - optimiert wird unsere "Governance" nun dank der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.

Thomas Barth ist Mitautor von Elmar Altvater u.a.: "Privatisierung und Korruption. Zur Kriminologie von Globalisierung, Neoliberalismus und Finanzkrise" (libri.de 2009), Autor von "Finanzkrise, Medienmacht und Corporate Governance: Korruptionsbekämpfung in der Europäischen Union. Kriminologische, gesellschaftsrechtliche und ethische Perspektiven" (VDM 2009) sowie Hrsg. von "Bertelsmann: Ein Medienimperium macht Politik" (libri.de 2006).