Iran: Wie geht es weiter?

Am liebsten ein "schiitisches Khalifat"? Dreißig Jahre sind zu lang für ein Regime, das eigentlich keinen Platz im modernen Zeitalter haben dürfte

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Am 15. Juni haben nach Angaben des Teheraner Oberbürgermeisters Mohammad Bagher Ghalibaf 3 Millionen Demonstranten auf den Straßen der Hauptstadt gegen das amtliche Wahlergebnis zugunsten des amtierenden Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad protestiert. Die einzig vergleichbaren Demonstrationen in der iranischen Geschichte fanden an den beiden schiitischen Gedenktagen Tasua und Aschura im Monat Moharam 1978 (10. und 11. Dezember) mit über 3 Millionen Demonstranten statt. Nun sind Irans Straßen nach den turbulenten zwei Wochen nach Wahlen ruhiger geworden. War das alles? Hat das Regime der Velayat-e Faqih (Herrschaft des Rechtsgelehrten) auch diese Krise überstanden (siehe Mullahs, die Überlebenskünstler)?

Für die meisten Iraner war dies ohne jeden Zweifel die dreisteste Wahlfälschung der iranischen Geschichte. Die Manager der Inszenierung der Wahlen um Ahmadinedschads Innenministerium und den Wächterrat unter den Fittichen des Religionsführers Ayatollah Seyed Ali Khamenei geben zwar vor, getreu das Wahlgesetz befolgt und die „saubersten Wahlen der Geschichte der Islamischen Republik“ organisiert zu haben. Sie sind sich jedoch bewusst, dass die „Wiederwahl“ des amtierenden Präsidenten nur durch Manipulierung der Wahlen zustande gekommen ist. Die „Macher“ der Wahlen haben keinerlei Gewissensprobleme, denn alles, was ihrem Handeln und Verhalten zugrunde liegt, lässt sich mit dem Prinzip der „absoluten Herrschaft des Rechtsgelehrten“ (Velayat-e Motlaqeh-e Faqih) erklären.

Der Wahlbetrug lässt sich sowohl aus der Warte der Logik und Glaubwürdigkeit beweisen wie auch aus wissenschaftlichen Wahlanalysen: Der weltweit renommierte Professor Dr. Walter R. Mebane (University of Michigan) hat auf 28 Seiten die iranischen Präsidentschaftswahlen auf der Basis der Daten des iranischen Innenministeriums analysiert und kommt zum Ergebnis: „Es gibt wenig Grund zu glauben, dass die offiziell verkündeten Ergebnisse bei dieser Wahl genau die Absichten der Wähler wiedergeben, die zur Wahlurne gegangen sind“1.

Außer den Ergebnissen für den Reformkandidaten Mehdi Karubi sind einige weitere Daten des Wahlergebnisses an Kuriosität nicht zu überbieten. Karubi ist Lore. Die ethnische Solidarität unter den Loren ist sehr stark. In seiner eigenen Heimatstadt Aligudarz bekam er nur 3% der Stimmen, etwa 44.000, Ahamadinedschad erhielt 678.000, 15mal mehr als Karubi. Interessant ist, dass Karubi 2005 in seiner Heimatstadt 6mal mehr Stimmen hatte als Ahmadinedschad.

Mir-Hossein Moussavi stammt aus Khameneh in Ost-Azerbaijan. Auch unter den Azeri herrscht eine starke ethnische Solidarität. Moussavi erhält in dieser Stadt 837. 858 Stimmen, Ahmadinedschad 1.131.000. Noch interessanter ist ein Vergleich zwischen den Voten für Mohsen Rezai und Ahmadinedschad. In seiner Geburtsstadt Masjed Soleyman in der Provinz Khusistan bekommt Rezai 139.000 Stimmen, Ahmadinedschad 1.500.000. Das alles ist durchaus möglich, wenn man Josef Stalin („es ist nicht so wichtig, wie das Volk wählt. Wichtig ist, wer zählt“) oder dem System der „absoluten Herrschaft des Rechtsgelehrten“ folgt.

Am liebsten ein „schiitisches Khalifat“

„Wer den Befehl des Valiy-e Faqih überhört, der hat den Befehl des unfehlbaren Imam (Mahdi) mit Füßen getreten. Dem Befehl des unfehlbaren Imam zu widersprechen, bedeutet Gott zu widersprechen. Die gesetzeswidrigen Demonstrationen sind gegen das Gesetz und weil der Agha (Khamenei) es auch verboten hat, ist das gegen religiöse Verpflichtungen“, so Ahmad Khatami, der provisorische Freitagsprediger Teherans. Seit Jahren thematisiert ein radikal konservativer Kreis unter Führung von Ayatollah Mohammad Taghi Mesbah-Yazdi die totale Islamisierung des Iran. Die totale Islamisierung bedeutet, dass der Souverän im Staat nicht das Volk, sondern der Religionsführer ist.

Das Volk darf wählen, aber wenn sein Votum vom Religionsführer als mit dem Islam inkompatibel, besser gesagt, den Interessen des Regimes der Velayat-e Fagih (Nezam) zuwiderlaufend, eingeschätzt wird, kann das Votum des Volkes annulliert werden, so die Lehre Mesbahs, der Ahmadinedschads geistlicher Mentor ist. Das Budget seines islamistischen Forschungsinstituts ist seit Ahmadinedschads Amtsantritt (2005) um das zwanzigfache gestiegen. Die Geringschätzung des Votums des Volkes hat allerdings eine lange Tradition in der Ära der Islamischen Republik.

Im Juni 1981 und in der Hitze der internen Machtkämpfe zwischen dem liberal-religiösen Präsidenten Abol-Hassan Bani-Sadr und den radikalen Mullahs hatte der erste Präsident der iranischen Geschichte ein Referendum gefordert, damit das Volk zwischen seiner Politik und der der radikalen Mullahs entscheiden könne. Ayatollah Khomeini, der stark unter dem Einfluss der damals mächtigen Geistlichen Ayatollah Mohammad Hosseini Beheschti, Hodschatoleslam Ali Akbar Haschemi Rafsandschani und Hodschatoleslam Seyed Ali Khamenei stand, sagte: „Wenn 35 Millionen (damalige Einwohnerzahl Irans, Red.) ‚Ja’ sagen würden, sage ich ,Nein’.“

Mesbah würde am liebsten die republikanischen Elemente der Verfassung, die Wahl des Parlaments und des Präsidenten durch das Volk gänzlich abschaffen und ein „schiitisches Khalifat“ einrichten. Für ihn ist das republikanische Prinzip ein Anathema für den islamischen Staat. Dieser nun zugespitzte Dissens um die Bewahrung des republikanischen Charakters des Staates bildet den Hauptstreit zwischen dem reform-pragmatischen Lager und den Widersachern des Republikanismus aus dem Lager der Verfechter der Velayat-e Faqih.

Der Vorhang fällt: der parteiische Religionsführer

Der Religionsführer Ayatollah Khamenei hatte zwar nie ein Hehl daraus gemacht, dass sein Herz eher für die prinzipientreuen Konservativen schlägt, ein gewisses Maß an Überparteilichkeit hat er jedoch immer zu bewahren versucht. 1997 hat er den Wahlsieg des Reformers Khatami akzeptiert und duldete ebenfalls das reformistisch dominierte Parlament. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen verhielt sich Khamenei doppeldeutig.

Stets betonte er, sich neutral zu halten, hier und da ließ er jedoch durchblicken, wen er gewählt sehen wollte. Die Reformer wissen nun, dass sie solche Äußerungen Khameneis wie die vom August 2008 bei einem Empfang des Kabinetts Ahmadinedschads sehr ernst nehmen müssen:

Ich betone, denken Sie nicht daran, das dieses Jahr das letzte Ihrer Regierung ist. Nein, arbeiten Sie so, als ob Sie weitere fünf Jahre im Amt sein werden. Denken Sie daher so, dass Sie zusätzlich zu diesem Jahr weitere vier im Amt sein werden. Arbeiten und planen Sie mit dieser Sicht

Was sich Ayatollah Khamenei nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses geleistet hat (siehe Der Putsch: Khameneis verspätete Rache?), wird selbst von einer Reihe pragmatisch-konservativer Getreuer des Systems, hochrangige Kleriker eingeschlossen, als Verhöhnung der bis dato gewahrten, verfassungsmäßig verankerten, Überparteilichkeit des Obersten Religionsführers angesehen. Es ist so, als ob der Schiedsrichter das Trikot einer der beiden Mannschaften anzieht und auf dem Feld spielt. Die Islamische Republik wird daher nicht mehr das sein, was sie vor dem 12. Juni war. Der Prozess der Abschaffung des republikanischen Systems, das mit der Wahl Ahmadinedschads 2005 begann, wurde nun 2009 unverhüllt komplettiert. Ein Prozess, der nun insbesondere bei Khamenei und Co. (Ahmadinedschad, radikaler Klerus, Revolutionswächter und Basidsch) ein Ethos des Kampfes bis zum Ende hervorgerufen hat.

Das System der Velayat-e Faqih ist nicht nur innenpolitisch total delegitimiert

Ahmadinedschads vierjährige Präsidentschaft hat finanziell den Verbund der konservativen Geistlichen, die auf Kosten des Staates unproduktive religiös-ideologische Institutionen unterhalten, immens unterstützt. Die Revolutionswächter (Sepah-e Pasdaran) sind zu einem Oktopus, dessen Arme überallhin reichen, mutiert. Sie sind zusätzlich zum militärischen und ökonomischen auch im Bildungs- und Kultursektor, im Gesundheits-, Film- und Kunstwesen, in den Medien sowie in der Justiz (durch Ausbildung der Studenten an Sepah-Universitäten) stark eingebunden. Vor diesem Hintergrund kann das Ethos des Kampfes bis zum Ende begriffen werden.

Der Religionsführer Khamenei und Ahmadinedschad samt Anhang haben sich nun direkt gegen das Volk gestellt. Wenn Mousavi und Karubi Ruhe geben würden und nicht weiterhin den Widerstand, auch im legalen Rahmen, fortsetzten, würde ihnen nichts geschehen. Ansonsten sind Verhaftungen oder sogar Schlimmeres möglich. das System der Velayat.e Faqih hat oft genug demonstriert, dass es mit ihm nicht zu spaßen ist. Allerdings müssten hierbei die Ultraextremisten unter den Konservativen die Oberhand gewinnen, denn Mousavi und Karubi sind nicht irgendwer (siehe Der Putsch: Khameneis verspätete Rache?). Das System der Velayat-e Faqih ist nicht nur innenpolitisch total delegitimiert. Ahmadinedschad mutiert immer mehr zu einer unfreiwilligen Witzfigur. „Das war die sauberste und freieste Wahl der Welt“, sagte er letzte Woche.

Die Provokation des Auslands gerade in diesen schweren Stunden nimmt kein Ende. Seine Forderung nach internationaler Bestrafung Deutschlands wegen der Ermordung einer ägyptischen Zeugin in einem Dresdener Gerichtssaal (siehe Ahmadinedschad fordert Sanktionen gegen Deutschland) haben ihm internationalen Spott eingetragen. Die Hardliner haben in Teheran für die erstochene Ägypterin in Deutschland eine Trauerfeier mit einem symbolischen Sarg durchgeführt, der Familie der bei der Demonstration getöteten Iranerin Neda Soltani wurde jegliche Trauerfeier verboten, sonst hätte sie ihre Leiche nicht bekommen. Sie wurde in absoluter Stille beerdigt. Der bei sauberen Wahlen höchstwahrscheinlich abgewählte Präsident ergreift anscheinend die Flucht nach vorne. Doch sind ihm und dem System der Velayat-e Faqih bereits harte Zeiten angekündigt.

Barack Obama hat den Zeitpunkt, bis zu dem Iran im Atomstreit einlenken soll, um drei Monate verkürzt. Am Rande des G-8-Gipfels im italienischen L’Aquila drohte der US-Präsident am 10. Juli mit weiteren Schritten, falls Teheran nicht bis zum Treffen der G-20 im September die Forderung nach Einstellung aller Arbeiten an der Uran-Anreicherung akzeptiert hat:

Wir haben nicht vor, endlos lange zu warten und die Entwicklung nuklearer Waffen und den Bruch internationaler Verträge zuzulassen, um dann eines Tages zu erwachen, uns in einer viel schlimmeren Situation wiederzufinden und nicht mehr handlungsfähig zu sein.

Dreißig Jahre sind zu lang für ein Regime, das eigentlich keinen Platz im modernen Zeitalter haben dürfte. Innenpolitisch hat die iranische Zivilgesellschaft ihren Weg nun deutlicher denn je gefunden. Sie wird nun von den Prominenten der alten Generation der Revolutionäre, die jetzt selbst die erbarmungslose Härte des Systems der Velayat-e Faqih spürt, wie auch von vielen angesehenen Geistlichen unterstützt. Außenpolitisch haben die Iraner sogar Grund, um die Existenz ihres Landes besorgt zu sein. Ein israelischer Militärangriff gegen die Nuklearanlagen eines Regimes, das sein eigenes Volk nachweislich schikaniert und die Aussenwelt gehässig herausfordert, wird kaum entscheidende Gegenstimmen auf den Plan rufen. Das Duo Khamenei und Ahmadinedschad ist eine gemeingefährliche Bedrohung für die Existenz des alten Kulturlandes Iran.