Geringes Rückfallrisiko bei Kinderporno-Konsumenten

Eine Verurteilung wegen des Konsums von Kinderpornografie ist kein Indiz dafür, dass ein Mensch zu sexueller Gewalt neigt. Eine Schweizer Studie attestiert Kinderporno-Straftätern zudem ein niedriges Rückfallrisiko

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Was treibt einen Menschen dazu, sich an Darstellungen von Sex mit Minderjährigen zu ergötzen? Offenbar sind die Motive zwischen Machtmissbrauch und Abhängigkeit so vielfältig wie der Hintergrund der für diese Straftat Verurteilten. Gemeinsam ist den Straftätern nur wenig – etwa, dass es sich zu 100 Prozent um Männer handelt. Nach dem Stand der Forschung gibt es tatsächlich keine weiblichen Konsumenten von Kinderpornografie. Zwischen dieser indirekten Form von Kindesmissbrauch und physischer sexueller Gewaltausübung liegen aber anscheinend dennoch Grenzen, die nicht so schnell überschritten werden.

In der Mai-Ausgabe der Fachzeitschrift Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie zeichnen Marc Graf und Volker Dittmann dieses Bild:

Konsumenten von Kinderpornographie umfassen wie Kindsmissbraucher mittlerweile die gesamte Altersspanne und stammen aus allen sozialen Schichten. Beide Gruppen zeigen Ähnlichkeiten in abhängigem, vermeidendem und teilweise schizoidem Sozialverhalten sowie erhöhter Ängstlichkeit. Kindsmissbraucher zeigen in der Regel aber tiefgreifendere Störungen der Persönlichkeitsorganisation bis hin zur Persönlichkeitsstörung, insbesondere mit emotional instabilen und dissozialen Zügen und in der Regel wird eine Pädophilie diagnostiziert. Konsumenten von illegaler Pornographie weisen weniger Vorstrafen auf, halten sich besser an Auflagen, werden deutlich seltener rückfällig und erfüllen oft nicht die diagnostischen Kriterien für eine Pädophilie.

Die Einschätzung bestätigt jetzt ein überwiegend schweizerisches Forscherteam mit einem Artikel in dem frei zugänglichen Fachmagazin BMC Psychiatry. Die Psychologen haben darin den Werdegang von 231 Männern untersucht, denen die Schweizer Polizei im Jahre 2002 im Rahmen der Operation Genesis den Konsum von Kinderpornografie nachweisen konnte. Von diesen 231 Verdächtigen war nur etwa die Hälfte tatsächlich verurteilt worden, allerdings hatten alle 231 mit ihrer Kreditkarte für kinderpornografisches Material gezahlt und dies auch zugegeben.

Aber zu einer Verurteilung nach Schweizer Recht im Jahre 2002 reichte es noch nicht aus, entsprechendes Material nur im Browser-Cache zu finden (das ist heute anders). Die Annahme, dass es sich also um Kinderpornografie-Konsumenten handelt, scheint den Forschern gerechtfertigt. Knapp fünf Prozent der 231 Personen war auch vor 2002 schon straffällig geworden. Die Männer waren damals im Mittel 36 Jahre alt, ein Drittel war verheiratet, ein Viertel hatte selbst Kinder. Fast die Hälfte der Verdächtigen hatte einen Universitätsabschluss.

Sechs Jahre später indes zeigten sich keine auffälligen Rückfallquoten. Nur zwei Personen waren physisch sexuell straffällig geworden. Insgesamt 18 Männer waren in irgendeiner Form rückfällig geworden – dabei verwendeten die Forscher allerdings bewusst eine breite Definition von Rückfall, die auch schon Ermittlungen irgendeiner Form einschließt. Interessantes Detail: Die zwei Männer, die tatsächlich später sexuelle Gewalt anwendeten, gehörten zu der Gruppe, die 2002 aus Mangel an Beweisen nicht verurteilt worden war. Andererseits wurde kein Mitglied der nicht verurteilten Gruppe mit einer nicht-physischen sexuellen Straftat rückfällig, also etwa dem erneuten Konsum von Kinderpornografie.

Die Studie, das geben die Autoren zu, betrachtet einen bestimmten Einflussfaktor nicht: Das sozioökonomische Milieu, in dem Kinderpornografie genutzt wird, dürfte sich seit 2002 geändert haben. Das Internet ist längst in der Mitte und am Rand der Gesellschaft angekommen. Waren die 2002 Verurteilten noch in eher höheren Einkommens- und Bildungsschichten angesiedelt, könnte das Spektrum heute der Bandbreite der Internetnutzer generell entsprechen. Es gebe aber trotzdem zwei auch unter dieser Bedingung robuste Ergebnisse: Für Kinderpornografie-Konsumenten ohne frühere Verurteilung ist das Risiko gering, dass es später zu sexueller Gewalt kommt. Zudem ist offenbar die Rückfallrate gering.