"Geistige Eigentumsrechte" auf 500 Jahre alte Bilder

Weil es mit dem Verkauf von Bildrechten nicht recht klappt, bedroht ein Londoner Museum jetzt einen Wikipedia-Nutzer

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Mit einem Trick versucht die britische National Portrait Gallery (NPG) "geistige Eigentumsrechte" auf 500 Jahre alte Bilder gewährt zu bekommen: Sie verbietet Besuchern, gemeinfreie Werke zu fotografieren und macht ein Copyright auf die eigenen Abbildungen davon geltend.

In der NPG am Londoner St. Martin's Place lagern mehr als 100.000 Portraits. Neben Gemälden und Zeichnungen befinden sich in der Sammlung auch Drucke und Fotografien. Die ältesten der Portraits, die nach der Bedeutung der dargestellten Persönlichkeiten und nicht nach ihrem künstlerischen Wert gesammelt werden, stammen aus dem 16. Jahrhundert - einer Zeit, als es noch kein Urheberrecht gab. Aber selbst nach den heute geltenden Vorschriften wären die Schutzrechte an solchen Bildern 70 Jahre nach dem Tod des Malers abgelaufen. Weshalb fotografische oder digitale Kopien in Collagen, Illustrationen oder auch in der Wikipedia honorarfrei verwendet werden können.

Viele Museen akzeptieren diese Tatsache und arbeiten mit der Online-Enzyklopädie zusammen, um möglichst viele ihrer Inhalte dort unterzubringen. Nicht so die NPG. Sie verbietet Besuchern seit Jahren das Fotografieren (was, wie Cory Doctorow amüsiert feststellte, sogar für die Fotografieverbotsschilder gelten soll). Das Museum ließ seine Bilder nicht über Wettbewerbe wie Wikipedia Loves Art kostenlos digitalisieren, sondern gab etwa eine Million Pfund an Steuergeldern dafür aus. Ein finanzieller Aufwand, den man den Ergebnissen nicht unbedingt ansieht.

Mit den professionell digitalisierten Bildern wollte das Museum Geld machen. Allerdings ging das Geschäftsmodell nicht auf, was möglicherweise auch an unrealistischen Preisvorstellungen lag: Für die Integration eines gemeinfreien Gemäldes auf einer Website wollte man bis zu 400 Pfund und selbst Privatpersonen sollten noch 100 Pfund pro Bild zahlen. Da verwundert es wenig, dass die NPG in den letzten fünf Jahren nur zwischen 10.000 und 19.000 Pfund einnahm.

Im März dieses Jahres kopierte der Amerikaner Derrick Coetzee gut 3000 gemeinfreie Bilder aus dem Webauftritt des Museums in die Wikimedia Commons. Am 10. Juli erreichte ihn eine Nachricht der teuren Anwaltskanzlei Farrer & Co, in der er dazu aufgefordert wurde, bis spätestens 20. Juli nicht nur alle Kopien der Bilder auf Wikimedia Commons und auf seinen Rechnern und Speichermedien "dauerhaft" zu löschen, sondern auch überall im Web, wo sie von dort aus hinkopiert worden waren. Ein freilich unmögliches Unterfangen, was Coetzee die Entscheidung, wie er reagieren sollte, erleichterte. Mittlerweile wird er ob der grundsätzlichen Bedeutung seines Falls kostenlos vom EFF-Juristen Fred vom Lohmann vertreten und erwartet eine Klage vor einem britischen Gericht, in dem die NPG Schadensersatzansprüche geltend machen will.

Monopolrechtsfreundlicheres Europa

Eigentlich schien die Frage, um die es geht, bereits vor 10 Jahren entschieden: Im Fall Bridgeman v. Corel hatte die Bridgeman Art Library die kanadische Corel Corporation verklagt, weil diese von ihr digitialisierte Bildwerke gemeinfreier Gemälde genutzt hatte. Der United States District Court for the Southern District of New York prüfte den Fall darauf hin sowohl nach amerikanischem als auch nach britischem Recht und stellte fest, dass den Bildern weder nach dem einen noch nach dem anderen ein Copyright zukommt. Nach Ansicht des Gerichts war es unter anderem das handwerklich perfekte Abfotografieren, das ein eigenes Schutzrecht für die Fotografie eines Bildes ausschloss. Obwohl das Urteil formell keinen Präzedenzwert über den Bezirk hinaus hatte, entfaltete es in der Praxis einen solchen durch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass auch andere Gerichte bei sorgfältiger Prüfung zu keiner anderen Argumentation kommen würden.

Rechteverwerter wetterten zwar immer wieder öffentlich gegen die Entscheidung, wagten aber bis jetzt keinen zweiten Anlauf vor Gericht. Dass sich dies nun ändern könnte, hängt möglicherweise mit der Tatsache zusammen, dass mit Coetzee eine einzige Person über 3.000 Bilder von der Museumswebsite in Wikimedia Commons übertrug. Die Kanzlei macht deshalb neben dem eigentlichen Copyright-Vorwurf noch drei weitere angebliche Rechtsverletzungen geltend.

Einer der drei zusätzlichen Vorwürfe gründet sich darauf, dass die NPG zur Präsentation ihrer Bilder die Software Zoomify nutzte. Durch das Kopieren der damit dargebotenen Bilder soll Coetzee gegen das Verbot der Umgehung von Kopierschutztechnologie verstoßen haben. Allerdings zeigt Zoomify Bilder zwar so an, dass sie sich nicht mit dem üblichen Browserbefehl speichern lassen, verhindert aber keineswegs das Kopieren, sondern macht es bloß ein wenig umständlicher. Wörtlich heißt es dazu in den FAQs des Anbieters: "For this reason, we provide Zoomify as a viewing solution and not an image security system".

Selbst wenn man in Zoomify eine Kopierschutztechnologie nach Section 296ZA(1) des Copyright, Designs and Patents Act (CDPA) sehen will, wäre ihre Umgehung aber nur dann verboten, wenn das Gericht auch das Vorliegen eines Copyrights für die digitalen Abbildungen bejaht: Das britische Urheberrecht schützt solche technischen Maßnahmen (ebenso wie das deutsche) nämlich nur dann, wenn hinter ihnen etwas urheberrechtlich Geschütztes steckt. Sind die Bilder gemeinfrei, greift das Umgehungsverbot dagegen nicht.

Als Coetzee die Bilder von der NPG-Website nach Wikimedia Commons übertrug, verstieß er der Auffassung der Anwälte nach aber nicht nur gegen das Verbot der Umgehung von Kopierschutztechnologie, sondern auch gegen die Nutzungsbedingungen des Internet-Auftritts, wodurch er sich einer "Vertragsverletzung" schuldig machte. Ein solcher Verstoß gegen Nutzungsbedingungen wird jedoch auch der Rechtsanwaltskanzlei vorgeworfen: Die sandte nämlich ihre Drohung an Coetzee über einen mittlerweile blockierten Wikipedia-Account namens "Amisquitta".

Der vierte Vorwurf ist der interessanteste: Er stützt sich auf eine Besonderheit, die es in den USA nicht gibt: Die Europäische Datenbankrichtlinie, die unter anderem Telefonbücher schützen sollte. Sie gilt als relativ unklar formuliert und hat für Rechteverwerter den Vorteil, dass es hier auf so etwas wie Schöpfungshöhe überhaupt nicht ankommt. Über das Bestimmtheitsanforderungen nur bedingt standhaltende Regelwerk ist viel geschrieben und viel hineininterpretiert worden. Teilweise leiteten Juristen aus ihm sogar jenes Leistungsschutzrecht für Printverlage ab, dessen explizite Einführung gerade mittels einer Kampagne vorbereitet wird.

Unter US-Juristen gilt der Ausgang des Falles auch aus einem anderen Grund als noch nicht ausgemacht: Britische Gerichte haben dort den Ruf einer gewissen Unberechenbarkeit, was etwa in der Cartoonserie South Park zum Ausdruck kommt, wenn in der Scientology-Folge "I'll sue you in England" als Steigerungsform von "I'll sue you" eingesetzt wird. Tatsächlich gibt es in der Rechtsgeschichte des Landes einige bizarre Entscheidungen, wie etwa Walter v. Lane, wo sich ein Gericht der Auffassung zeigte, dass einem wortgenauen Protokoll, das ein Reporter von der Rede eines Politikers anfertigte, ein eigenes Copyright zukommen solle.

In Deutschland ist man in der Rechtswissenschaft in Übereinstimmung mit dem Bibelreproduktions-Urteil des BGH mehrheitlich der Auffassung, dass digitalen Varianten gemeinfreier Werke nur in Ausnahmefällen ein Urheberrechtsschutz zukommen kann. Nämlich dann, wenn sich durch eine Kolorierung oder andere Formen der Bearbeitung "kreative Entscheidungsspielräume" öffnen und diese auch "in kreativer Weise genutzt werden", was bei möglichst originalgetreu abzubildenden Gemälden gerade nicht gewünscht wird. Aus diesem Grunde besteht für solche Fotografien auch kein Leistungsschutzrecht nach § 72 des deutschen Urheberrechtsgesetzes.