Der Mohr kann geh'n

Nach der Demission von Wendelin Wiedeking strebt der Porsche-Clan nun die Macht bei VW an

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Die Enkel von Hitlers Lieblingsingenieur können sich die Hände reiben. Allen Familienzwistigkeiten zum Trotz, wird der Porsche-Piëch-Clan künftig über die Hälfte der Anteile an der Volkswagen AG besitzen und damit zu einer der reichsten und mächtigsten Familiendynastien der Welt aufsteigen. Der Mann, der im Auftrag des Clans die Repatriierung von Volkswagen vollziehen sollte, ist Wendelin Wiedeking. Gleich einem modernen Ikarus kam der Spitzenmanager jedoch der Sonne zu nah und merkte zu spät, dass seine Flügel nur von Wachs zusammengehalten wurden. Der ehemalige Staatskonzern Volkswagen ist der größte Automobilkonzern Europas und hat beste Chancen, noch in diesem Jahr Toyota von der Weltspitze zu verdrängen. Doch der Clan wollte mehr - letztendlich unterschätzte er jedoch den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, die eigentliche Schlüsselperson im Kampf zwischen Porsche und Volkswagen.

Auferstanden aus Ruinen

Als die britische Militärregierung im Jahre 1949 die Wolfsburger Volkswagenwerke dem Land Niedersachsen übergab, lautete die Auflage, gemeinsam mit dem Bund die Eigentümerrechte auszuüben und den Gewerkschaften weitreichende Einflussmöglichkeiten zuzugestehen. Ferdinand Porsche und sein Schwiegersohn Anton Piëch hatten während des Zweiten Weltkriegs aus dem Automobilproduzenten eine der bedeutendsten Rüstungsschmieden des Dritten Reiches gemacht und sich damit selbst um den moralischen Anspruch auf Eigentumsrechte am Wolfsburger Konzern gebracht. Die Familien Porsche und Piëch besaßen jedoch wichtige Patente, Volkswagen zahlte dafür Lizenzgebühren und räumte dem Clan die exklusiven Vertriebsrechte für Österreich ein. Mit diesen Einnahmen im Rücken konnte der Familienclan in Stuttgart-Zuffenhausen die heute weltberühmte Sportwagenschmiede in Betrieb nehmen, die bis heute im Alleinbesitz der Familien Porsche und Piëch ist.

Volkswagen wurde 1960 privatisiert. 60% der stimmberechtigten Aktien wurden damals als Volksaktie an die Mitarbeiter und Privatpersonen veräußert, während der Bund und das Land Niedersachsen noch jeweils 20% hielten. 1986 trennte sich dann der Bund von seinem Aktienpaket, das Land Niedersachsen verblieb somit als einziger Großaktionär. Um eine feindliche Übernahme aus dem Ausland zu verhindern, erdachte sich der Gesetzgeber das Volkswagen-Gesetz, das keinem Aktionär mehr als 20% der Stimmrechte zugesteht und somit dem Staat in allen wichtigen Fragen eine Sperrminorität sichert. Im Schutze dieses Gesetzes wuchs in Wolfsburg eine Unternehmenskultur, die nirgendwo sonst ihresgleichen findet. In keinem anderen nichtstaatlichen Konzern haben Staat und Gewerkschaften soviel Mitspracherechte.

Alphamännchen Nummer Eins

Ferdinand Piëch gilt als hervorragender Ingenieur, gnadenloser Konzernlenker und herrischer Autokrat. Seine Sporen erwarb er sich im familieneigenen Porsche-Konzern, den er 1972 als technischer Geschäftsführer nach einem Familienstreit verließ. Piëch heuerte daraufhin bei der VW-Tochter Audi an und brachte es dort bis zum Vorstandsvorsitzenden. 1993 machte ihn der damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder zum Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG. Piëch war als VW-Chef ein Angestellter des Unternehmens. Sein Vermögen steckte jedoch im Stuttgarter Sportwagenbauer Porsche. Im gleichen Jahr, in dem Ferdinand Piëch VW-Chef wurde, machten die Familien Porsche und Piëch einen jungen und damals noch gänzlich unbekannten Ingenieur zum neuen Vorstandsvorsitzenden der damals kriselnden Porsche AG - Wendelin Wiedeking.

Alphamännchen Nummer Zwei

Wiedeking machte seine Sache vorbildlich - aus der Sportwagenklitsche mit einem Wert von 350 Millionen Euro machte er ein hochprofitables Unternehmen, das heute auf 17 Milliarden Euro taxiert wird. Doch dies geschah nicht ohne Hilfe aus Wolfsburg. In der Ära Piëch forcierten die beiden Unternehmen ihre Zusammenarbeit, was vor allem Porsche nutzte. Natürlich liegt ein Interessenskonflikt vor, wenn Ferdinand Piëch in seiner Funktion als VW-Chef einem Unternehmen unter die Arme greift, an dem er maßgeblich beteiligt ist. Der Patriarch konnte sich in Wolfsburg allerdings auf das System VW verlassen - während er sich bei heiklen Abstimmung enthielt, stimmten die Arbeitnehmervertreter und die Vertreter des Landes Niedersachsen zu. Im großen VW-Reich gibt es schließlich genügend Gelegenheiten, solche Gefälligkeiten zurückzuzahlen.

Wie erfolgreich Wiedeking sein würde, ahnten wahrscheinlich noch nicht einmal die Porsches und die Piëchs. Für den Verzicht auf einen Teil seiner fixen Bezüge wurde Wiedeking damals eine Gewinnbeteiligung in Höhe von 0,9% garantiert - damals ahnte natürlich niemand, dass Porsche einmal über acht Milliarden Euro Gewinn machen und Wiedeking mit über 80 Millionen Euro Jahressalär zum bestbezahlten Manager Deutschlands aufsteigen würde. Die Milliardengewinne, die Porsche seit Beginn dieses Jahrzehnts einfuhr, legten die Stuttgarter in VW-Aktien an. Bis zum Jahre 2005 konnte Porsche seine Beteiligung auf 20,1% steigern und wurde damit größter Einzelaktionär des Wolfsburger Konzerns. Die Enkel des Käfer-Konstrukteurs Ferdinand Porsche saßen in Wolfsburg wieder mit am großen Tisch.

Porsche im Größenwahn

Man hätte es dabei belassen können, schließlich begrenzt das VW-Gesetz den Einfluss von Großaktionären. Die Familien Porsche und Piëch setzten jedoch alles auf eine Karte und gaben ihrem Angestellten Wiedeking, der sich damals bereits mit Ferdinand Piëch überworfen hatte, die Prokura, am großen Rad zu drehen. Gemeinsam mit dem Porsche-Finanzvorstand Holger Härter entwarf Wiedeking den Masterplan zur VW-Übernahme. Die Ameise wollte den Elefanten vergewaltigen, wie sich ein Brancheninsider ausdrückte. Wiedeking, der stets gegen Finanzheuschrecken wetterte, machte aus Porsche einen Hedge-Fonds mit angeschlossener Sportwagenproduktion. Finanzvorstand Härter sorgte für Kredite in Milliardenhöhe und schloss mit Banken komplexe Termingeschäfte auf VW-Aktien ab. Das Endziel sollte eine 75% Beteiligung an VW sein, die Porsche einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ermöglichen würde und somit den Zugriff auf die Barreserven der Wolfsburger, die rund zehn Milliarden Euro betragen. Dies entspricht der Summe der Kredite, womit sich Porsche die VW-Übernahme vom Opfer selbst finanzieren lassen wollte - eine berühmt-berüchtigte Vorgehensweise von Private-Equity-Fonds und Hedge-Fonds. Aus Porsche und VW sollte dann ein neuer Konzern werden, in dem das Land Niedersachen nicht mehr viel zu sagen gehabt hätte.

Porsche und Wiedeking haben jedoch zwei potentielle Gefahrenquellen unterschätzt - die Finanzkrise und den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. Zwischen Porsche und der Barreserve von VW steht nämlich immer noch das VW-Gesetz, und somit das Land Niedersachsen. Als man in Stuttgart den Masterplan entwarf, ging man davon aus, dass die EU-Kommission das VW-Gesetz kippt und somit Porsche den Weg freimacht. Als politische Protektion holten die Stuttgarter ihren Landesherrn und Wulff-Freund Günther Oettinger ins Boot, der mit seinem starken Landesverband im Rücken Porsches Interessen in Berlin und Brüssel verteidigen wollte. Sowohl Porsche, als auch VW sind nicht nur wichtige regionale Arbeitgeber, die Gewinne von Porsche besserten im letzten Jahr auch den Haushalt Baden-Württembergs mit stolzen 600 Millionen Euro auf. Wenn die Gewinne aus Wolfsburg künftig ebenfalls im Süden versteuert würden, so wären dies signifikante Gewinne für Baden-Württemberg und signifikante Verluste für Niedersachen.

Der Wulff zeigt die Zähne

In Berlin konnte sich jedoch nicht etwa Oettinger durchsetzen, sondern Wulff, der in einem Vier-Augen-Gespräch die Kanzlerin überzeugen konnte. 280.000 Volkswagen-Beschäftigte samt Angehörigen sind in einem Superwahljahr eine Klientel, mit der man es sich nicht verscherzen sollte. Das neue VW-Gesetz, das vor einem Jahr verabschiedet wurde, sieht weiterhin eine 20% Sperrminorität für das Land Niedersachsen vor, und sogar Oettingers verlängerter Arm in Berlin, der aus den einflussreichen CDU-Politikern Kauder, Schäuble und Schavan besteht, konnte nur noch gute Miene zum bösen Spiel machen. Brüssel hielt ebenfalls die Füße still - Kommissionspräsident Barroso ist für seine Wiederwahl auf die Stimmen Deutschlands angewiesen, und Volkswagen kann auch in Brüssel auf eine starke Lobby zählen, schließlich ist der Gesamtkonzern über seine Töchter in fast allen EU-Staaten als wichtiger Arbeitgeber präsent. Hinter Wulff steht Merkel, hinter Oettinger nur die Wand. Den Machtkampf der ehemaligen Mitglieder des Anden-Pakts konnte Wulff mit Pauken und Trompeten gewinnen.

Der Todesstoß

Ohne die VW-Milliarden hat Porsche allerdings mitten in der Finanzkrise keine Chance, die zuvor georderten Aktienoptionen zu bezahlen. Neue Kreditzusagen, die Finanzvorstand Härtel eilends sammeln konnte, belasten den Konzern, anstatt ihn zu entlasten. Allein für die Zinsen muss Porsche pro Jahr geschätzte 600 Millionen Euro aufbringen, mitten in der Krise, in der auch die Dividenden aus Wolfsburg kärglich ausfallen dürften, ist dies eine bedrohliche Schieflage. Den Todesstoß versetzte Porsche aber schließlich Christian Wulff, der dem Emirat Katar, das Porsche als "weißer Ritter" in letzter Minute retten sollte, signalisierte, dass das Land Niedersachsen keine Beteiligung der Araber an Porsche wünsche. Stattdessen sollte sich das Emirat am Volkswagenkonzern beteiligen, dem Porsche als weitere Marke hinzugefügt werden sollte. Wulffs Plan ging auf, Volkswagen übernimmt nun Porsche und das Emirat Katar wird mit 17% neuer Großaktionär der Volkswagen-AG. Die Aktien der Araber stammen aus den Optionen, mit denen Porsche einen 75% Anteil erwerben wollte, und die die Schwaben nun nicht mehr finanzieren können.

Die Familien Porsche und Piëch sind - allen Differenzen zum Trotz - Gewinner der Übernahmeschlacht. Gehörten ihnen früher 100% eines kleinen schwäbischen Sportwagenherstellers, sind sie nun mit 51% am größten europäischen Automobilkonzern beteiligt, zu dem künftig auch Porsche gehört. Zwistigkeiten zwischen den Familienzweigen Porsche und Piëch lenken nur davon ab, dass beide Parteien in einem Boot sitzen. Ferdinand Piëch ist zwar Aufsichtsratsvorsitzender von VW, ihm und seiner Familie gehört allerdings nicht VW, sondern Porsche.

Wendelin Wiedeking hat seine Aufgabe mehr als erfüllt. Ohne ihn wäre der Porsche-Clan nie in die Position gekommen, 51% des Volkswagen-Konzerns in seinen Besitz zu bekommen. Die Demission Wiedekings war jedoch mehr als überfällig - im neuen "Volksporsche"-Konzern hat ein Mann mit einem derart ausgeprägten Ego keine Zukunft. Ferdinand Piëch, der neue Pate von Wolfsburg, duldet nämlich keinen Gott neben ihm. Mit einer Abfindung in Höhe von 50 Millionen Euro, von denen er die Hälfte in eine gemeinnützige Stiftung einbringt, wird Wiedeking jedoch sicherlich kein Fall von Altersarmut. Die Presse wird an dieser Abfindung wohl nicht viel auszusetzen haben, schließlich spendete Wiedeking gestern auch 1,5 Millionen Euro an notleidende Journalisten.