Nuklearwaffen gegen DDR-Städte

Hat die Bundesregierung noch 1986 an der Planung von Atombombeneinsätzen gegen Dresden und andere ostdeutsche Städte mitgewirkt?

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Diese Frage stellt sich spätestens nach den jüngsten Darstellungen des CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer während der Tagung „Frieden durch Recht?“ in der Berliner Humboldt-Universität am 26./27. Juni 2009. Veranstaltet hatten die Konferenz die Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen (IALANA) und weitere Organisationen.

„Ich bin wahrscheinlich der Einzige hier im Saal, der Atomkriegs-Erfahrungen hat“, sagte der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Wimmer berichtete, so gibt eine Pressemitteilung von IALANA die Rede wieder, von seiner Teilnahme als „Verteidigungsminister Üb“ an der NATO-Übung WINTEX/FALLEX im Jahre 1986 im damaligen Atombunker („Dienststelle Marienthal“) der Bundesregierung (Der Wahnwitz atomarer Kriegsspiele, Ausweichen und Eingraben). Im Verlaufe dieser NATO-Übung habe das NATO-Hauptquartier in Brüssel um Zustimmung der zuständigen deutschen Stellen zu einem Einsatz von Nuklearwaffen gegen Ziele in der damaligen DDR ersucht, erklärte Wimmer weiter, u.a. gegen Dresden und eine weitere ostdeutsche Großstädte.

Wimmer, der angibt, von dieser Anforderung völlig überrascht worden zu sein, habe es entsetzt abgelehnt, auch an einer Übung zur Planung eines Atomwaffeneinsatzes auf Ziele in Ostdeutschland und damit gegen die Bevölkerung der DDR mitzuwirken. Er habe dann Kontakt mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl aufgenommen, der entschieden habe, dass sich die Vertreter der Bundesregierung nicht an diesen nuklearen Planspielen gegen DDR-Städte beteiligen sollten. Deutschland habe die Mitwirkung an dieser NATO-Übung beendet, ohne deutsche Beteiligung fortgesetzt worden sei. Nichts davon sei je in die Öffentlichkeit gedrungen. Es gab im Regierungsbunker noch weitere WINTEX/FALLEX-Manöver der NATO. Erst 1990 habe man sie endgültig beendet.

IALANA begrüßt die Enthüllungen des CDU-Politikers.

Solche Offenbarungen von Insidern sind in der Militär- und Sicherheitspolitik von besonderer Bedeutung. Dadurch wird die Bevölkerung in die Lage versetzt, skandalöse Vorgänge dieser Art kritisch zu diskutieren, auch um daraus Schlussfolgerungen für ihre Wahlentscheidungen zu ziehen-. Im Bereich der NATO-Nuklearpolitik ist dies besonders wichtig, weil die deutsche Bundesregierung – trotz des von Deutschland in Art. II des Atomwaffensperrvertrages und im sogenannten Zwei-Plus-Vier-Vertrag völkerrechtlich verbindlich erklärten Verzichts auf jede unmittelbare und mittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen – weiterhin auf seiner „nuklearen Teilhabe“ im Rahmen der NATO beharrt.

IALANA

Zur „nuklearen Teilhabe“ gehört, dass Deutschland nach wie vor in der „Nuklearen Planungsgruppe“ der NATO mitwirkt (Nuklearer Teilhaber Deutschland). Zudem werden in geheimgehaltenen Bunkern in Deutschland immer noch eine unbekannte Anzahl Atomwaffen mit einer vielfachen Zerstörungskraft der in Hiroshima und Nagasaki eingesetzten Nuklearwaffen gelagert. Diese können im Spannungs- oder Kriegsfall von den US-Streitkräften auch deutschen Einsatzkräften der Bundeswehr für den Abwurf auf feindliche Ziele entgegen den Regelungen des Atomwaffensperrvertrages zur Verfügung gestellt werden. Die Bundeswehr hält ferner nach wie vor Atomwaffenträger in Gestalt der Tornado-Flugzeuge bereit und übt regelmäßig mit einem im rheinland-pfälzischen Büchel stationierten Luftwaffenverband Atomwaffeneinsätze.

Am 8. Juli 1996 hatte der Internationalen Gerichtshofs entschieden, dass der Einsatz und die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen grundsätzlich völkerrechtswidrig sind und alle Mitgliedsstaaten des Atomwaffensperrvertrages nach dessen Art. VI daher verpflichtet seien, unverzüglich Verhandlungen über eine vollständige nukleare Abrüstung aufzunehmen und zu einem positiven Abschluss zu bringen.1

Die „nukleare Teilhabe“ verstößt nach der Entscheidung auch gegen den Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrags:

Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemanden unmittelbar oder mittelbar anzunehmen.

Artikel II

Die auf dem Fliegerhorst Büchel praktizierte nukleare Teilhabe stellt eine „mittelbare Verfügungsgewalt über Kernsprengkörper“ dar und ist damit völkerrechtswidrig, da die Bundesrepublik zu den im Vertrag genannten „Nichtkernwaffenstaaten“ gehört. Die Bundesrepublik ist ihrer Verpflichtung aus dem Atomwaffensperrvertrag seit rund 35 Jahren nicht nachgekommen. Sie ist demnach, wie auch alle Atomwaffenstaaten, permanent vertragsbrüchig.

Auch angesichts der Ankündigung von US-Präsident Obama, eine atomwaffenfreie Welt erreichen zu wollen (Barack Obamas Prager Frühling), fordert die Juristenorganisation die Bundesregierung deshalb auf,

endlich gegenüber der US-Regierung und den zuständigen NATO-Stellen darauf hinzuwirken, dass alle Atomwaffen aus Deutschland und den anderen Nicht-Atomwaffenstaaten abgezogen und dass alle Bundeswehrübungen von Atomwaffeneinsätzen, etwa mit den Tornados der Bundesluftwaffe, sofort eingestellt werden. Ferner muss die NATO-Nuklearstrategie grundlegend verändert werden, um den völkerrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 8. Juli 1996 ergeben.

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