Daumenschrauben bringen keine Jobs

Zwangsarbeit als Abschreckung - das Elend der Workfare-Konzepte

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In Meyers Konversationslexikon von 1890 ist unter dem Stichwort Arbeitshäuser zu lesen: „Die Einrichtung des englischen Werkhauses stützt sich vorzüglich auf die Abschreckungs-theorie. Sie ist darauf berechnet, von der Inanspruchnahme öffentlicher Hilfe möglichst abzuschrecken und durch eignen Erwerb die Aufnahme in A. zu vermeiden.“ Fast 120 Jahre später lesen wir in einem Papier des Bundeswirtschaftsministeriums von Arbeitsangeboten, bei denen eine produktive Tätigkeit nur von „nachrangiger Bedeutung“ ist, ansonsten „aber der 'abschreckende' Effekt im Vordergrund steht“.1 Dabei handelt es sich um das Konzept von „Workfare“, quasi einer Umschreibung von Zwangsarbeit. Das Papier liegt bereit in den Schubladen des Wirtschaftsministeriums und diese Zwangsarbeit soll die Zukunft der Arbeitslosen sein. So jedenfalls sehen es die jüngsten Ergebnisse der Zukunftskommissionen in Nordrhein-Westfalen und Bayern vor.

Der entstehende Anreiz, anstelle einer staatlicherseits angebotenen gemeinnützigen Ganztagstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt auch solche Angebote anzunehmen, die gegenwärtig in rationaler Entscheidung zumeist kaum in Betracht gezogen werden, kann ein erhebliches Beschäftigungspotenzial bei einer gleichzeitigen massiven Haushaltsentlastung mobilisieren.

So heißt es im Zukunftsbericht aus dem Hause von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) vom April diesen Jahres.2 Und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) präsentierte Mitte Juli den Abschlussbericht seiner Zukunftskommission, in dem eine „intensivere Einforderung von Gegenleistung“ für staatliche Transferzahlungen gefordert wird. 3

Im Klartext: Künftig sollen Arbeitslose als Abschreckung für eine Entlohnung auf Sozialhilfeniveau mindestens 30 Stunden pro Woche arbeiten. Diese „Zukunftsvisionen“ sind wenig überraschend, sieht man sich die Mitglieder der Kommissionen an: Hans-Werner Sinn vom IFO-Institut in München hat mit Klaus F. Zimmermann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin gemeinsam, dass beide ideologische Rückendeckung für die Arbeitgeberseite liefern.

Die „Zukunftsvisionen“ werden längst in verschiedenen Modellprojekten ausprobiert, in Bayern unter dem Namen „Job-Perspektive Plus“, in Thüringen und Sachsen-Anhalt als „Bürgerarbeit“. Am längsten läuft ein derartiges Projekt in dem Städtchen Bad Schmiedeberg bei Wittenberg. Diese „Bürgerarbeit“ deckt sich noch nicht völlig mit „Workfare“, weißt aber eine „hohe Affinität“ dazu auf.4 Sie basiert zunächst auf einer vierstufigen Selektion der Arbeitslosen. Zunächst werden diejenigen mit guten Chancen am ersten Arbeitsmarkt herausgefiltert. Gefolgt von Jenen, denen die Behörde noch Chancen durch eine Weiterqualifikation zuschreibt. Am Ende des Ausleseprozesses finden sich jene wieder, die „auf absehbare Zeit keine Chance haben, eine Tätigkeit am ersten Arbeitsmarkt aufzunehmen“.5 Sie sollen zusätzlich geschaffene Arbeitsplätze bei Vereinen, Kirchen und Kommunen annehmen, um etwa eine Vereinschronik zu schreiben oder Unkraut zu jäten. Der durchschnittliche Bruttolohn für diese Tätigkeiten (30-Stunden-Woche) liegt bei rund 810 Euro, abzüglich Sozialversicherung und Steuern. In die Arbeitslosenversicherung wird nicht eingezahlt, da sonst Ansprüche entstünden. Finanziert werden die Jobs durch die Arbeitsagenturen.

Die ersten Erfolgsmeldungen nach Einführung der Bürgerarbeit im September 2006 klangen fantastisch: Innerhalb von drei Monaten war die Arbeitslosenquote in Bad Schmiedeberg von knapp 15,6 Prozent auf 6,3 Prozent zurückgegangen. Freilich handelt es sich hier vor allem um statistische Kosmetik. „Die Abgänge aus Arbeitslosigkeit gingen weit überwiegend in öffentlich geförderte Beschäftigung, während die Abgangsraten in Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt und in Nichterwerbstätigkeit kaum positiv beeinflusst wurden“, so das Urteil des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).6 Wer Bürgerarbeit leisten muss, wird nicht mehr als arbeitslos gezählt.

Bürgerarbeit hat anders als Workfare noch die soziale Komponente, Arbeitslosen ohne Chance eine noch irgendwie sinnvolle Beschäftigung anzubieten. Subjektiv wurden diese Tätigkeiten von den Betroffenen nicht als negativ empfunden – fast alles ist besser, als nur zu Hause herumzusitzen. Bei den Workfare-Hardlinern hingegen geht es vor allem um die Abschreckung – die Zwangsarbeit soll die Arbeitslosen aus dem Bezug von Arbeitslosengeld hinaustreiben. „Das Prinzip des Workfare zielt darauf ab … möglichst viele Transferbezieher dazu zu bringen, eine unsubventionierte Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt anzunehmen“, so die Studie des Wirtschaftministeriums.7

Qualifizierung spielt dabei keine Rolle, die Leute sollen nur dazu gebracht werden, auch für Löhne nur knapp über Hartz IV zu arbeiten: „Die Androhung von Workfare-Jobs führt … dazu, dass die Akzeptanz von gering entlohnten Jobs im regulären Arbeitsmarkt steigt.“8 Um diesen Zweck zu erreichen, bedarf es auch gar nicht der Vorhaltung von Millionen derartiger Jobs, was ohnehin schwierig wäre, es genüge „dass allen Arbeitslosen signalisiert wird, dass sie in letzter Konsequenz mit Workfare zu rechnen haben“9 – die modernisierte Form des Arbeitshauses aus dem 19. Jahrhundert.

Die Grundlagen, auf denen derartige Studien basieren, sind höchst fragwürdig. Workfare - also der radikale Arbeitszwang für Bedürftige - stammt aus den USA und wird seit den 1990er Jahren von konservativer Politik als Blaupause für eine Verschärfung der Sozialgesetzgebung benutzt. Die Politikwissenschaftlerin Britta Grell hat nun thematisiert, wie die Armut in den USA durch die dortige Politik weiter verschärft wurde.10 Auch das basale Postulat der Workfare-Vertreter, das quasi nur Daumschrauben die Arbeitslosen zum Arbeiten brächten ist ebenso zynisch wie haltlos. So kommt das IAB zum Schluss, dass wenn es in Bad Schmiedeberg trotz intensiver Betreuung der „Kunden“ kaum zu Vermittlungserfolgen kam, die „mangelnde Aktivierung der Arbeitslosen nicht der Hauptgrund für die lang andauernde Arbeitslosigkeit ist“.11