Das "Internet of Things"

Der kurze Weg zur kollektiven Zwangsentmündigung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Kürzlich hat die Europäische Kommission eine Mitteilung veröffentlicht, die "Internet der Dinge - ein Aktionsplan für Europa" (doc-Datei) heißt und einen visionären Rahmenplan für die Zukunft der Menschen und insbesondere der EU darzustellen scheint.

Der nächste Schritt im Zusammenhang mit dem Internet soll nach Ansicht der EU-Kommission „der Wandel von einem Computernetz zu einem Netz untereinander verbundener Gegenstände, von Büchern und Autos über Elektrogeräte bis hin zu Lebensmitteln“ sein:

Diese gegenseitige Verknüpfung von Gegenständen dürfte... zu einem echten Paradigmenwechsel führen.

Ein solches Internet of Things (IoT) soll die Lebensqualität der Bürger verbessern, beispielsweise mit Gesundheitsüberwachungssystemen den Alten helfen, „dem Stromversorger die Fernüberwachung elektrischer Geräte ermöglichen“, den Verbraucher informieren, wenn bei einem Tiefkühlprodukt die Kühlkette unterbrochen wurde, das Auto sicherer und besser recyclierbar machen und sogar der Natur helfen, indem Bäume vernetzt werden, um etwa ihre Abholzung zu vermelden. Das ist nun im Vergleich zu den Konzepten eines smart home wirklich neu, denn Auto, Natur, ja praktisch die gesamte Außenwelt sind nun einbezogen.

Das klingt alles sehr allgemein, viele Menschen hätten das gerne konkreter beschrieben. Wie hübsch die Schöne Neue Welt werden wird, ist an einem konkreten Beispiel schon 2005 in einer Studie der ITU ersichtlich. Die ITU (International Telecommunication Union) ist übrigens eine Teilorganisation der UNO, Mitglieder sind die für Telekommunikation zuständigen Ministerien und Regulierungsbehörden aus 119 Ländern dieser Welt und rund 700 Telekom-Unternehmen. Diese Herrschaften sehen das, in aller Kürze nacherzählt, so:

Die 23jährige spanische Studentin Rosa hat sich eines Tages im Jahr 2020 mit ihrem Freund gestritten. Als Ausgleich für diese Frustration (kompensatorischer Konsum), beschließt sie, übers Wochenende mit ihrem smarten Toyota in die französischen Alpen zum Schifahren zu brausen. Das Auto sagt ihr auf dem Weg dahin, dass sie die Reifen tauschen muss, da einer schadhaft zu werden droht. Sie fährt also ganz vertrauensvoll in ihre Lieblingswerkstätte und sogleich wissen die dortigen Roboter, was mit ihrem geliebten Auto zu tun ist. Währenddessen hat die Getränkemaschine schon für Rosa Eiskaffee, das ist nämlich ihr Lieblingsgetränk, vorbereitet und von ihrem Konto abgebucht.

Plötzlich fällt ihr ein, für das Wintersportwochenende noch einen Anorak mit eingebauten Media Player und selbstadjustierenden Wettereigenschaften kaufen zu wollen, also auf zur nächsten Mall. Natürlich gibt’s an der spanisch-französischen Grenze keinen Stop mehr, da Führerschein- und Reisepassdaten automatisch an die Grenzkontrolleinrichtungen übertragen werden.

Um allein zu sein, hat Rosa vorher alle Verbindungen auf „privat“ gestellt, das heißt, ihr Freund kann keine Geoinformationen über sie abfragen. Auf einmal erhält sie einen Videoanruf von ihrem Freund. Da er sich bei ihr entschuldigt, kommt bei Rosa Freude auf, sie hebt auch die Geoinformationensperre auf, damit ihr Freund, der mit seinem Auto von Spanien in die Alpen nachkommen will, Rosa - automatisiert geführt - finden kann und dann beide ein schönes Schiwochenende genießen können.

2020: A Day in the Life

Der Leser kann jetzt erahnen, wie sich UNO und all die Regierungen unser Leben in zehn Jahren vorstellen. Eine reiche, wunderschöne Konsumgüterwelt, in der es natürlich keine armen Studenten mehr gibt und wo dank der ubiquitären Maschinen-zu-Maschinen-Konnektivität, trotz eines Streits zwischen zwei Liebenden, deren Glück und Harmonie gesichert wird. Auch die Menschen in den Entwicklungsländern wird dies freuen, da ihre Telekommunikationsminister ja ein Teil dieser UNO-Agentur sind und diese Vorausschau mitgetragen haben.

Die Technik

Die Technik ist nicht neu, wir kennen sie zur Genüge von Zutrittskarten, Diebstahlsicherungen und den als fälschungssicher bezeichneten biometrischen Reisepässen. Sensorbestückte RFID-Chips in nicht mehr mit dem freien Auge sichtbarer, mikroskopischer Form, die mit passenden Lese- und Schreibgeräten (Tag Reader) auch aus einer Distanz von 100 Metern - so die ITU - noch kommunizieren können.

Bekannt schon seit dem Zweiten Weltkrieg, massiv beforscht vom Auto-ID Center, eine sogenannte Nonprofit-Einrichtung am MIT, gefördert von 103 Konzernen, etwa Procter&Gamble, Coca-Cola, Gillette, Home Depot, Johnson & Johnson, Kraft, Lowes, PepsiCo, Pfizer, Sara Lee, Target, Unilever, UPS, Wal-Mart und Partneruniversitäten in Australien, China, Japan, der Schweiz; Sun war an führender Stelle mit dabei (Sun Developer Network: Toward a Global "Internet of Things" (2003).

Kurzer Einschub: Dies ist nun auch im zeitlichen Ablauf interessant: Das Auto-ID Center wurde 1999 gegründet, 2003 erschien das vorhin erwähnte Papier bei Sun, 2005 setzt sich die ITU dahinter und 2009 die EU-Kommission, Überschrift bei allen: Internet of Things. Bei Reisepässen, die gehören in Hinkunft ja auch zum Internet of Things, ging es sogar noch schneller, die waren sozusagen ein Türöffner. Einen zweiten Türöffner, nämlich in die Haushalte hinein, haben wir mittlerweile auch schon: das ist das „Smart Metering“, also der fernauslesbare, fernsteuerbare Elektrozähler (Vertragspiraten).

Manche Dinge sollen übrigens auch IP-Adressen bekommen, natürlich neue IPv6-Adressen, näheres sagt uns die EU aber noch nicht. Vermutlich sind hier Elektrohaushaltsgeräte gemeint, die sich - mit entsprechendem Chip versehen - dann über die Stromleitung (power-line, wird es ja wahrscheinlich zu den smarten Elektrozähler dazu geben) bequem steuern lassen. Von einer solchen Fernüberwachung spricht der EU-Aktionsplan dezidiert.

Das dahinterliegende Interesse

Hinter politischen Aktivitäten wirken immer bestimmte Interessen. Natürlich auch beim Internet of Things. Und, das steht bereits in der ITU-Studie: Die Märkte sollen wachsen, es wird ein enormes Potential für die Hersteller geben und: „Changing business strategies is the name of the game“. Aber es braucht auch, stellt die ITU fest, „key lead users“, die diese Innovation voran stoßen. Denn die vielen industrieangetriebenen Versuche, diese alles umspannende Technik einzuführen, scheiterten mangels Nachfrage und Nutzen bislang, etwa beim smarten Heim (vgl. Gefangen in der eigenen Haut).

Die Rolle der „key lead users“ möchte nun die EU-Kommission einnehmen. Ihr geht es darum, „neue Geschäfts- und Wachstumsaussichten zu eröffnen und damit die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu verbessern“. Getreu der Lissabon-Strategie: Europa soll die wirtschaftlich stärkste Region der Welt werden.

Die Gefahren

Natürlich sieht die EU-Kommission auch Gefahren im Internet of Things, klar: „Welcher ethische und rechtliche Rahmen gilt...?“, fragt sie sich. Nun, man muss schon irgendwie mit der Wahrung der Privatsphäre und dem Datenschutz zurechtkommen, denn sonst könnte die Akzeptanz bei den Verbrauchern leiden, deren Begeisterung nicht so groß sein und das wiederum würde das weitflächige Ausrollen dieses Internet of Things behindern können.

„Andererseits wird sich mit dem Aufkommen des Internet der Dinge sicherlich auch unsere Vorstellung von der Privatsphäre ändern“, heißt es in dem Papier, und es verweist dazu sofort auf die Nutzung der Mobiltelefone und der sozialen Netzwerke durch die jüngeren Generationen. Also, wir werden offensichtlich etwas weniger problematisierend, weitaus vertrauensvoller mit der großen Maschine IoT (HAL 9000 hieß sie in Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum) umgehen können (dürfen, sollen, müssen).

Die Auswirkungen

Bei der Einführung der Mobiltelefonie wurde gerne auf die Gewährleistung des Datenschutzes verwiesen, etwa die Verschlüsselung auf der Funkstrecke. Heute leben wir mit der Rufdatenerfassung und mit der Vorratsdatenspeicherung, mit einer kommerziellen und staatlichen Datensammelwut in nie gesehenem Ausmaß, einer maßlose Sammelgier, die längst schon pathologische Züge aufweist.

Trotzdem, die meisten Bürger haben offenbar keine großen Probleme mit ihrem „Daten-Exhibitionismus“, wie der hessische Datenschutzbeauftrage Ronellenfitsch den großzügigen Umgang der Bürger mit ihren sensiblen Daten nannte. Unternehmen und Sicherheitsbehörden haben damit schon gar keine Probleme. Wo immer Daten sind, werden sie über kurz oder lang gesammelt und schließlich genutzt, und: der Sammler bestimmt stets die Nutzung. Bei einer Maschine-zu-Maschine-Fernüberwachung im eigenen trauten Heim wird es noch problematischer werden. Wenn Dritte in den Wohnungen der Bürger sammeln und herumschalten können, vielleicht durchaus in wohlgemeinter Absicht, läuft das nämlich auf eine kollektive Zwangsentmündigung hinaus.

Wenn das Internet of Things auch nur annähernd so kommt, wie es sich seine Befürworter vorstellen, wird es viel Geld kosten - auch wenn die Chips immer billiger werden -, und diese Kosten zahlt stets der Verbraucher, wer sonst? Der Nutzen wird gering sein. Einige wenige Dinge, die an sich tatsächlich interessant wären, etwa die Anzeige der Unterbrechung der Kühlkette bei Tiefkühlwaren, könnte man schon seit Jahrzehnten durch Farbumschlag-Indikatoren lösen. Das würden die Verbraucher dann auf einen Blick sehen, das will aber weder Industrie noch Handel.

Der Nachsatz

Im EU-Papier wurde erwähnt, dass das Internet of Things der Natur helfen könne, indem Bäume vernetzt werden, um ihre Abholzung zu verhindern. Die Bäume in fast ganz Südamerika und halb Afrika usw. mit Chips versehen, Tag Reader in jeweils 200 Meter Abstand...? Wenn man an eine solche Technisierung der Tropenwälder zu denken versucht, hat man unversehens den Eindruck, dass bei all jenen, die das Papier geschrieben und abgesegnet haben, vor lauter Technikbegeisterung kollektiv der Verstand ausgesetzt haben muss.