Gebärboykott der deutschen Frauen?

Vor allem die Frauen mit guter Ausbildung in den alten Bundesländern verzichten zunehmend auf Kinder und das beschworene "Glück der Elternschaft"

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Die Deutschen wollen immer weniger Mütter oder Väter sein. Die biologische Reproduktion scheint in vielen fortgeschrittenen Gesellschaften und in den "höheren" sozialen Schichten an ihr Ende zu gelangen. Das vollzieht sich langsam, Schritt für Schritt, wird oft maskiert von der höheren Geburtenrate bei Zuwanderern, die sich noch an die Kultur der Hightech-Länder assimiliert haben oder sich in sie integrieren konnten.

Erfassen lässt sich allerdings "objektiv" nur, wie viele Frauen Kinder bekommen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben im Jahr 2008 21% der 40- bis 44-jährigen Frauen keine Kinder zur Welt gebracht. Bei den zehn Jahre älteren Frauen (Jahrgänge 1954 bis 1958) waren nur 16% und bei den Jahrgängen 1944 bis 1948) nur 12% kinderlos. Von den Frauen zwischen 35 und 39 Jahren hatten 2008 26% noch keine Kinder. Das kann sich hier noch leicht verändern, der Trend aber ist deutlich und geht relativ rasant vor sich.

Noch gibt es zwischen den Bundesländern im Osten und Westen erhebliche Unterschiede. Die Frauen im Osten haben noch deutlich öfter Kinder. So haben auch bei den jüngeren Frauen (Jahrgänge 1969 bis 1973) in den alten Ländern 28% noch keine Kinder, in den neuen Ländern sind 16% kinderlos. Interessant wird es werden, wie viele Generationen vergehen werden, bis sich die Frauen angleichen, sich also eine Kultur durchsetzt, die vermutlich die (bislang) siegreiche des Westens sein wird. Dass sie es ist, alleine schon wirtschaftlich, lässt sich auch am Massenexodus aus den östlichen Bundesländern und den schrumpfenden Städten erkennen.

Zu der im Westen dominierenden Kultur gehört auch, dass im mit steigendem Bildungsgrad die Kinderlosigkeit der Frauen häufiger wird. 26 Prozent der Frauen mit hoher Bildung über 40 Jahre haben keine Kinder (bei Akademikerinnen sind es 28 Prozent), mit mittlerer Bildung sind es 16 Prozent und mit niedriger Bildung nur 11 Prozent.

Bildung alleine, ist aber wohl nicht der Hauptgrund, da es in Ostdeutschland diesen Zusammenhang (noch) nicht gibt. Das könnte daran liegen, dass die DDR-Gesellschaft weniger Druck auf die Frauen ausübte, sich etwa zwischen Beruf und Mutter entscheiden zu müssen, es könnte aber auch sein, dass das autoritäre DDR-System trotz aller hier erfolgten Frauenemanzipation stärker in Kontinuität mit der überkommenen Kultur stand, während die Frauen im Westen mit der Kinderlosigkeit mit dem Verfolgen von Karriere und individueller Freiheit die Last der Verantwortung für Kinder und den Zwang familiärer Bindungen hinter sich lassen.

Natürlich werden jetzt wieder die Gespenster der aussterbenden Deutschen oder der demografischen Katastrophe beschworen und nach Wegen gesucht, wie man den Deutschen wieder die Lust zur Reproduktion einimpfen könnte, die die Immigranten noch nicht verloren haben. "Weg vom Kulturkampf zwischen Hausfrau und Karrieristin, hin zum Glück der Elternschaft", heißt es etwa in der üblichen Tonlage in der Welt. Die Deutschen vergreisen, die sozialen Sicherungssysteme kippen, die Wirtschaft bricht zusammen, wenn die Geburtenrate nicht wieder steigt. Muss man also den Frauen und Männern, die es weiterhin wagen wollen, Kinder zu bekommen, die in unserer Gesellschaft immer teurer werden, weil die staatlichen Leistungen sinken, mehr Geld angeboten werden?

Fragt sich nur, ob ein bisschen Elternurlaub nach der Geburt und eine Förderung, die bald wieder eingestellt wird, trotz weiter laufendem Kindergeld und abzusetzender Pauschale die Lust hebt, sich in das Abenteuer des "Glücks der Elternschaft" zu stürzen. Dabei geht es nicht nur um den Hedonismus, Egoismus oder auch der Scheu vor einer unabsehbaren Verpflichtung der Kinderverweigerer. Tatsächlich muss man sich ernsthaft fragen, ob man in dieser Zeit in diese Gesellschaft, die zudem immer stärker von den Alten politisch regiert wird und keine wirklichen positiven Erwartungshorizont mehr hat, noch Kinder setzen will und für deren Leben letztlich Verantwortung übernehmen kann? Wer von unten kommt, sieht noch eine Zukunft durch Angleichung. Wer bereits "oben" ist, kann zwar immer mehr wollen, gleichzeitig steigt die Angst vor dem Verlust und schwindet die Aussicht auf ein qualitativ anderes und besseres Leben.