Fremde Feinde

Sie werfen Migranten vor, sich nicht integrieren zu wollen - und wollen sich doch selbst nicht in die Gesellschaft integrieren. Rechtsextreme Russlanddeutsche und NPD rücken zusammen

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Es ist der 1. Juli 2009. In Dresden hat ein Mann während einer Berufungsverhandlung eine im dritten Monat schwangere, 31-jährige Ägypterin mit mindestens 18 Messerstichen getötet. Ein Jahr zuvor soll der spätere Mörder die Frau auf einem Spielplatz in Dresden als „Terroristin“, „Islamistin“ und „Schlampe“ beleidigt haben. In erster Instanz war er zu einer Geldstrafe von 780 Euro verurteilt worden. Im zweiten Prozess nun stürzt er sich auf die Schwangere und ersticht sie – vor den Augen ihres dreijährigen Sohnes und ihres Mannes, der selbst verletzt wird.

Die Tat erregt in Deutschland zwar Aufsehen, doch Hintergründe werden nur langsam beleuchtet. Auf der einen Seite das Opfer: eine Ägypterin mit Kopftuch, akademisch gebildet und als Apothekerin berufstätig; ihr Mann arbeitet laut Medienberichten am angesehenen Max-Planck-Institut. Auf der anderen Seite ein 28-jähriger „Deutscher russischer Herkunft“, 2003 eingewandert und Bezieher von Arbeitslosengeld II.

Später heißt es dann, der Mann sei Russlanddeutscher. Und es wird klar, schon der Auslöser des Rechtsstreits war Fremdenfeindlichkeit. Das Magazin „Focus“ wird den Täter am 11. Juli in seiner Onlineausgabe einen „offensichtlich[en] Rassist[en]“ nennen. Im Prozess habe er erklärt, dass „nichteuropäische Rassen“ kein Recht hätten, in Deutschland zu leben. Daraus habe er sein Recht ableiten wollen, die Ägypterin beleidigen zu dürfen. Fremdenfeindlichkeit unter Fremden?

Am 8. Juli 2009 schon hat die Online-Ausgabe des Berliner „Tagespiegel“ getitelt: Dresdner Mörder äußerte vor Attacke Sympathie für NPD. Es ist 15.33 Uhr und das Blatt tickert vorab und exklusiv, was es in der Printausgabe am 9. Juli berichten wird:

Kurz vor dem Messerangriff auf die Ägypterin [...] hat der Täter [...] Sympathien für die NPD geäußert. Zunächst fragte [er] die Ägypterin im Saal, "haben Sie überhaupt ein Recht, in Deutschland zu sein?" Dann setzte er nach, "Sie haben hier nichts zu suchen". Der Russlanddeutsche wurde lauter und drohte, "wenn die NPD an die Macht kommt, ist damit Schluss. Ich habe NPD gewählt." Gleich danach stürzte er sich mit dem Messer auf [das Opfer]. Nach bisherigen Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden war [der Täter] jedoch kein Mitglied der NPD oder einer ihrer Unterorganisationen.

Tagesspiegel

Die NPD versucht seit 2008 u.a. in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern verstärkt, Russlanddeutsche anzusprechen. Markus Pohl, NPD-Landesvize in NRW, sagte Mitte 2008 dem WDR, man habe „die Hoffnung, Ansprechpartner [unter ihnen] zu finden, die dann natürlich zwangsläufig dafür sorgen, dass wir eine neue Wählerschicht gewinnen – und vielleicht auch neue Mitglieder.“ In manchen Regionen Deutschlands fand seinerzeit eine Kooperation schon statt. Zudem fanden bislang zwei Kundgebungen von rechtsextremen Russlanddeutschen vor dem Düsseldorfer Landtag statt, unterstützt von der NPD.

"Endlich als Deutsche mit Deutschen leben!"

Einen „Deutsch-russischen Friedensmarsch“ von rechtsextremen Russlanddeutschen, Neonazis und der NPD-nahen „Deutsch-Russischen Friedensbewegung“, der am 9. Mai 2009 in Friedland stattfinden sollte, verboten die Behörden. Im bayerischen Schwandorf kam es am 27. Juni 2009 zu einem Aufmarsch von Neonazis und rechtsextremen Russlanddeutschen.

Zuvor hatten in Schwandorf junge, alkoholisierte und gewaltbereite Russlanddeutsche für Schlagzeilen gesorgt. Die Neonazis kritisierten dies nicht, wohl aber, dass in Medienberichten die „Desintegration von deutschen Jugendlichen aus Russland [...] gezielt verschwiegen“ werde. Ein Neonazi-Redner sagte bei dem Aufmarsch: „Die Deutschen aus Russland sind unsere Brüder und Schwestern und keine Ausländer!“ Ein anderer Redner wies darauf hin, dass „Deutscher ist – wer Deutsche Eltern hat“. Zudem: „Was ich nicht verstehe, wie unsere freie Demokratie lieber türkische und hebräische Einrichtungen und Vereine großzügig fördert anstatt Deutsche? Warum gibt es Integration für artfremde Völker und nicht für unsere Landsleute aus Russland?“

Die organisierte Nähe zwischen NPD und rechtsextremen Russlanddeutschen begann im Februar 2008, als ein „Arbeitskreis der Russlanddeutschen in der NPD“ gegründet wurde. Doch schon am 1. Mai 2007 traten deren Vordenker bei einem Neonazi-Aufmarsch in Dortmund mit einem Transparent mit der Aufschrift „Russlanddeutsche in der NPD“ in Erscheinung. Zwei Vertreter jener Russlanddeutschen durften im Mai 2008 auf dem NPD-Bundesparteitag in Bamberg Grußworte sprechen. „Liebe deutsche Brüder und Schwester[n],“ sagte Johann Thießen zu den Delegierten des NPD-Parteitags. Der in Hürtgenwald (Kreis Düren) lebende Russlanddeutsche erläuterte: „Die meisten von uns kamen nach Deutschland mit Begeisterung: Endlich als Deutsche mit Deutschen leben! Diese Begeisterung hat jedoch nicht lange angehalten.“ Es finde eine „volksfeindliche Politik“ statt, so Thießen zu den „Kameraden“.

Thießen war auch Anmelder einer Kundgebung am 23. August 2008 in Düsseldorf. Er ist auch NRW-Ansprechpartner der bundesweit aktiven „Russlanddeutschen Konservativen“, in einem Wust aus Tarn- und Vorfeldorganisationen (u.a. die „Russlanddeutschen Mütter“) auch „Freundeskreis der Russlanddeutschen Konservativen“ genannt. Zudem ist er Vorsitzender der „Schutzgemeinschaft 'Deutsche Heimat' der Deutschen aus Rußland“. Als Zeichen dient dem Verein ein Wappen in den Reichsfarben mit dem Symbol des „Wodansknoten“, drei ineinander verschlungenen Dreiecke. Anlass für die geschichtsrevisionistische, antisemitische bzw. anti-"zionistisch-bolschewistische" Kundgebung war, dass ein Schulbuchverlag die „Lüge“ verbreitet habe, auch Russlanddeutsche hätten im Zweiten Weltkrieg in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten den Massenmord an den Juden unterstützt.

Verschwörungstheorien über Medien, Juden, „Multi-Kulti“, den USA und der Globalisierung

Anwesend war in Düsseldorf auch der Vorsitzende des NPD-„Arbeitskreises“, Andrej Triller (Hattingen). Triller ist wie Thießen Führungskader der „Russlanddeutschen Konservativen“. Triller publiziert zudem das Internetportal Volksdeutsche Stimme. Zugleich zeichnet Triller verantwortlich für die Zeitung „Die Russlanddeutschen Konservativen“. Ein weiteres Medium jener Kreise ist die Zeitung Ost-West-Panorama. Gemein ist den Publikationen, dass in deutscher und russischer Sprache immer wieder auch Verschwörungstheorien über Medien, Juden, „Multi-Kulti“, den USA und der Globalisierung verbreitet sowie NPD-Texte nachpubliziert werden. Die „Landsmannschaft der Deutschen aus Russland“ spricht von „dubiose[n] Organisationen [...], die am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums angesiedelt sind und mit Demokratie [...] nichts zu tun haben".

Doch gerade unter Russlanddeutschen, die sich benachteiligt fühlen und skeptisch den deutschen Medien und der Politik gegenüber stehen, könnten Rechtsextreme ein leichtes Spiel haben. Sowohl in den Medien jener rechtsextremen Russlanddeutschen, als auch auf der Kundgebung in Düsseldorf 2008 wurde wiederholt gegen Migranten gewettert, die keine Deutschen seien. Anatoli Ganzhorn aus Bayern, neben Thießen ebenso Redner auf dem NPD-Parteitag, beschimpfte in Düsseldorf die Bundesregierung als „Multi-Kulti-Schwuchtelregierung“. Thießen selbst sagte, man wolle und werde sich nicht in die „multikulturelle Gesellschaft“ integrieren, denn „wir sind schon deutsch.“ Der nordrhein-westfälische NPD-Landeschef Claus Cremer überbrachte in seiner Rede den „russlanddeutschen Volksgenossen [...] beste Grüße und Wünsche der NPD.“

Noch deutlicher wurden die Kontakte besagter rechtsextremer Russlanddeutscher zu Antisemiten, Neonationalsozialisten und Holocaust-Leugnern bei einer zweiten Kundgebung im April 2009 in Düsseldorf. Als Rednerin trat auch die wegen Volksverhetzung verurteilte Ursula Haverbeck-Wetzel in Erscheinung. Thießen pries „Frau Haverbeck“ als „Vorbild für unsere Jugend“ an. Haverbeck-Wetzel war Mitbegründerin und stellvertretende Leiterin des „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“ sowie Vorsitzende der braunen Denkfabrik „Collegium Humanum“ in Vlotho – beide Organisationen waren Mitte 2008 vom Bundesinnenministerium verboten worden.

Es war die aus Deutschland stammende Katharina II., die ab 1764 deutsche Bauern in Russland ansiedelte, um das brachliegende Land nutzbar machen zu können. Die Zarin war es auch, die Russland zur Hegemonialmacht wandelte. Nachkommen jener Aus- respektive Einwanderer galten bis zur Einführung neuer Gesetze rund um die Jahrtausendwende in Deutschland weiterhin als Deutsche, ihnen wurde umgehend die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen. Seit wenigen Jahren indes wurden die Kriterien verschärft und jene „Volksdeutschen“ (NPD) müssen zwecks Einbürgerung etwa auch Sprachkenntnisse vorweisen. Doch was denken sie über die Demokratie?

Ein ehrenamtlich mit Russlanddeutschen arbeitender Mann erklärte unlängst im Gespräch mit dem Autor dieser Zeilen, dass die Vorfahren und Nachkommen jener Bevölkerungsgruppe meist nur das Zarentum, die Wirren des russischen Revolution, den Zweiten Weltkrieg, Stalinismus und Kommunismus kennen gelernt hätten. Infolge des Zweiten Weltkrieges seien sie zudem von Stalin verfolgt und unterdrückt worden. Diese Erfahrungen sowie ihr von den Vorfahren überliefertes, antiquiertes „Deutschtum“ passten weder zu einer Demokratie, noch zum Liberalismus. Und während der Täter aus Dresden, anders als dessen Opfer, vom optischen her integriert schien, könnten das Opfer und dessen Familie auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft gedanklich der Bundesrepublik viel näher gewesen sein.