Woodstock

40 Jahre ohnegleichen

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"3 Days of Peace & Music". Vom 15. bis zum 17. August 1969. Angekündigt auf einem orangerot grundierten Handmade-Poster von Arnold Skolnick. "Woodstock Music and Art Fair presents an Aquarian Exposition in White Lake, N. Y." Eine weiße Taube? Nein, eine psychedelisch aufgehellte Drossel teilt sich das babyblaue Griffbrett einer Gitarre mit einer mal weißen, mal braunen Hand.

Kaum einer weiß heute, dass dieses Logo bereits Teil einer coolen Pop-Werbevariante und legendären Markenbildung war. Sie sollte die esoterische Aquarius-Botschaft wieder auf den Boden der Gegenwart holen, die zuvor in einem düster verschnörkelten Jugendstil-Plakat mit nackter Quellnymphe nach Ingres entwickelt wurde. "Woodstock" war als künstlerischer, aber auch kommerzieller Groß-Event geplant, ein Festival mit vielen Auftritten zeitgenössischer Bands, berühmter und noch unbekannter1.

Eine abgefahrene Firma

Die Firma "Woodstock Ventures" hatte vier Köpfe: Die Kreativ-Manager, Michael Lang (Konzerte) und Artie Kornfeld (Mercury und Capitol Records), die beiden Finanziers, John P. Roberts und Joel Rosenman. Letzterer befürwortete die Idee des dreitägigen Konzertzyklus und schob die von Lang und Kornfeld zunächst vorgebrachte Vision eines kreativen High-Tech-Tonstudios für prominente Künstler auf dem Lande vorerst zur Seite. Die Kurzformel "Woodstock, Peace and Music" ließ die anfängliche Extravaganz nur noch anklingen, und zielte auf die Mobilisierung einer breiten Subkultur, die sich drogenunterstützt mit politischem Protest und musikalischem Fingerspitzengefühl aufgeladen hatte. Die abgeflachte und aufgelockerte Bewusstseins-Botschaft mit kommerziellem Massenkalkül zu verbinden beförderte das Projekt an die Schwelle heutiger Großkonzerte und Erlebnisparks. Fun and Music and Peace and Love and Understandig waren marktfähig geworden. Die konkrete Finanzierung, Organisation und Umsetzung des Festivals glich einem gigantischen Happening. Jeder Schritt schien wie ein Zufall und Geschenk in die richtige Richtung. Der Kommerz sabotierte sich beinahe selbst, in einer neuen Mega-Dimension. Unterstützt vom Musikmarathon und Massenandrang wurde der allgemeine Eindruck von Spontaneität, Spiritualität und Liebe vor Ort und in den Medien erweckt.

I came upon a child of god
He was walking along the road
And I asked him, where are you going
And this he told me
Im going on down to yasgurs farm
Im going to join in a rock n roll band
Im going to camp out on the land
Im going to try an get my soul free
We are stardust
We are golden
And weve got to get ourselves
Back to the garden

Joni Mitchell, Woodstock

Aus New York fährt man über die Interstate 87 nach Woodstock, dem vom Arts and Crafts Movement um 1900 geprägten Künstlerstädtchen in Ulster County. Um 2000 hatte Woodstock über 6.000 Einwohner. Vielleicht trifft man dort einige Prominente oder deren Spuren an, Musiker und Komponisten zwischen Klassik, Avantgarde, Jazz und Pop, David Bowie, Jack DeJohnette, Van Morrison, Pat Metheney, Carlos Santana, Theolonius Monk, John Cage, oder Bob Dylan im nachbarschaftlichen Bearsville; Schauspieler, wie Jennifer Connelly, Uma Thurman oder Ethan Hawke; Beat-Autoren wie Ed Sanders, den Erfinder der sprechenden Krawatte, Philosophen von Range eines John Dewey, bildende Künstler, wie Philip Guston und den Designer Milton Glaser, und Photographen auf der Grenze zwischen Musik und Bild, Kunst und Politik, Inszenierung und Dokumentation - wie Elliot Landy.

Woodstock ist nicht Woodstock - lauter Widersprüche, Lücken und Listen

Aber wenn man zum Ort des gleichnamigen Festivals will, hat man sich schon verfahren, wenn man in Woodstock ankommt. Die beschauliche Künstlerkolonie Woodstock mit ihrem kreativen Zentrum in der Person Bob Dylans, der nach seinem Unfall 1966 zurückgezogen lebte und längere Zeit nicht auftrat, lieh dem geplanten Festival nur Namen und Nimbus. Aber wo genau sollte das neue, von vielen Stimmen getragene Ereignis von noch ungekannter Dimension stattfinden? "Woodstock", ein großes Musik-Festival, das verschiedene Stile und Szenen einer sich immer weiter ausbreitenden medialen Jugendkultur in friedlichem Austausch und zivilem Protest zusammenbringen wollte, mit zeitgemäßem Hippie-Touch, diesmal an der Ostküste, dass war eine zeitgemäße Idee, die von vielen Gurus in San Francisco, dem Ursprung der Bewegung an der West Coast, nur belächelt wurde. Flog da einer über das Kuckucksnest? Viele konservative Anwohner in der Region um Woodstock, NY, wollten kein lautstarkes mehrtägiges Ereignis in ihrer Nähe dulden.

Später arrangierten sie sich mit dem Chaos und nachher mit dem Mythos. Schlangen von buntbemalten Bussen und Pkws; offener Drogenkonsum; endlose Ströme von Joints rauchenden, Trips werfenden und gelassen betrunkenen Jugendlichen; zugedröhnte und begnadete Musiker, die live sangen und spielten, was ihnen spontan in den Sinn kam; Band- und Songlisten, LP-, CD- und Filmversionen (Director's cut: USA: 228 min; Germany: 216 min), die bis heute voneinander abweichen2; eine hochkreative Kameracrew im Aufnahme- und Schnittdelirium, unter der Leitung von Michael Wadleigh, Thelma Schoonmaker und Martin Scorsese; Folk, Rock, Soul und Blues von luftigen Lautsprechertürmen; eine vielfarbige tolerante Jugend, die ihren eigenen Idealen frönte, sich gegen das Establishment von Karriere, Krieg, Rassenhass und Kapital stellte und auf einem friedlich-alternativen Leben bestand, auf experimentellen Erfahrungen und psychedelischen Erleuchtungen, auf einem Zurück-zur-Natur, auf dem Glück eines liebevollen Zusammenlebens, einer befreiten Körperlichkeit und nichtrepressiven Sexualität mit Touch, Hingabe und Gefühl. Es war diese friedlich-militante Kombination von Askese und Hedonismus und ihre verschobene Frontstellung von individuellen und sozialen, spirituellen und leiblichen Werten gegen die materialistisch degenerierte WASP-Ideologie (White Anglo-Saxon Protestants), die den brodelnden Wandel der Gesellschaft der USA in den 1960er Jahren begleitete.

Max Yasgur spricht in Woodstock 1969

Wer zum historischen Gelände des Festivals im August 1969 will, muss auf der State Route 17 in westlicher Richtung nach Monticello fahren, dann über die 17B, durch eine hügelige Wiesen- und Seenlandschaft, um White Lake zu passieren und endlich Bethel, Sullivan County, zu erreichen. Rechts ab geht es in die Hurd Road, und einige hundert Meter weiter, vorbei an Mischwald, Wiesen und Feldern zur Südseite eines lang gestreckten Sees, dem Filippinis Pond. Dort liegt das ehemalige Farmgelände von Max Yasgur, eines wohlhabenden, studierten, alternativen Milchbauern. Er sollte eine clevere und bewegende Rede ans Publikum halten, in der er die beeindruckende Friedfertigkeit auf diesem Festival lobte.

Etwa zur Zeit der ersten Mondlandung, Mitte Juli 1969 sollte das geplante "Woodstock Festival" endlich seinen definitiven Ort erhalten. Die Drossel war gelandet. Die Verhandlungen mit den größeren (heute rund 20.000 Einwohner umfassenden) Kleinstädten, Saugerties, Ulster County, und vor allem Wallkill, Orange County, wurden abgebrochen. Michael Lang missfiel das vorgesehene Industriegelände in Wallkill. Vorurteile, Einmischungen, Schikanen und anonyme Androhungen von Gewalt gegen Hippies wie in "Easy Rider" (1969) kündigten sich an. Ideologie und Ökonomie wollten nicht recht zueinander passen. Etwa 43 Meilen südwestlich von Woodstock lag das 243 Hektar große Farmgelände Max Yasgurs bei Bethel (heute ein 4.500 Seelen-Dorf). Die Farm war mehr als nur ein Privat- und Notasyl, sie war so etwas wie eine strategische und ökologische Ideallösung.

Crosby Stills Nash: A Long Time Gone Woodstock

Die Miete wurde auf 50.000 Dollar ausgehandelt. Für die Nachbarn fielen Nutzungsgebühren von 25.000 Dollar ab. Offiziell rechneten die Veranstalter vor Ort bei den Verhandlungen mit 50.000 Besuchern. Dies schien eine "fischige" Untertreibung zu sein, wie die erst misstrauischen und dann enttäuschten Partner in Wallkill noch heute im Netz bemerken. Die Veranstalter gaben später selbst zu, dass es sich um Beschwichtigungsmanöver handelte. Die wirklichen Erwartungen lagen bei weit über 100.000 Besuchern. 186.000 Tickets im Vorverkauf, zunächst noch für Wallkill, weckten eine Gesamterwartung von mindestens 200.000 Festivalbesuchern - bei einem opulent angewachsenen Programm von 32 Bands bzw. Solisten, darunter Stars und Newcomer.

Die Medien verursachten wahre Kaskaden. Ausgelöst wurde eine popkulturelle Invasion zu einer New-Frontier, zur Bildung einer Hippie-Nation (der gegenkulturell gemeinte Ausdruck "Woodstock-Nation" stammt von Yippie-Aktivist Abbie Hoffman). Was man am Ende wirklich brauchte, war eine ungestörte territoriale Domäne, auf der man möglichst frei im eigenen Interesse schalten und walten konnte. Das Security-Personal der aus Kalifornien stammenden Hog-Farmer zeichnete sich durch seine "non-intrusive" Taktik einer "Please Force" aus. Und so sollte es im Ganzen laufen: ohne nennenswerte Konflikte, ohne Schikanen von Verwaltung und Polizei, ohne die später zeitweilig befürchtete Intervention der Nationalgarde. Die Erklärung zum potentiellen Krisengebiet hätte die Versorgung und Direktion der aufgelaufenen Massen sichtlich erleichtert. Aber sie hätte auch massive Kontrolle und Intervention bedeutet und damit den Tod dieses psychedelischen Peace-Love-Music-Projektes.

Kent-State-University-Massaker (Screenshot "Neil Young: Ohio")

Der Konflikt zwischen Staat und liberaler Jugend führte ein Jahr später, 1970, zum Kent-State-University-Massaker. Die Nationalgarde schoss auf Studenten während einer Anti-Vietnamkriegs-Demo und tötete vier junge Menschen 3. Die Manson-Family hatte, noch unerkannt, eine Woche vor dem Festival an der West Coast blutig zugeschlagen. Manson suchte sich für seine reaktionäre Verwirrungs-Rassen-Kriegs-Massaker-Strategie einen Motto-Song aus dem weißen Album der Beatles (Ende 1968) aus: Helter Skelter. "Woodstock" brauchte in einer aufgewühlten Epoche ein utopisches Territorium mit utopistischen Leuten, ein Auffangbecken für den zarten Riesenerfolg, ein idyllisches Niemandsland, in dem die kommerziellen Rechnungen ebenso aufgingen wie die nicht ganz illusionäre Sehnsucht nach einer gewaltfrei auffliegenden Friedens-Musik-Taube. Man war dabei, die humane Ausgabe für den Erlebnis- und Freizeitpark für berauschte Rockfans mit bereits sich abzeichnenden divergenten Strömungen zu erfinden.

Happening, Desaster und Triumph

War "Woodstock" wirklich für die Veranstalter ein finanzielles Desaster, wie Artie Kornfeld auch im Film neben Michael Lang erklärte? Er bezog sich, mit einer Blume in der Hand, auf die Relation zwischen den Einnahmen durch 200.000 Karten im Vorverkauf und den Kosten, die die Massenveranstaltung in der Folge verursachte. Am Ende trafen ungefähr 450.000, nach stolzen lokalen Schätzungen sogar 700.000 bis 850.000 Besucher ein, die jede Logistik vor Ort sprengten. Musiker, die früh in nahen Motels untergebracht waren, kamen plötzlich mit ihrer Ausrüstung und ihren Transportern nicht mehr bis zur Festivalbühne durch. Zufahrtsstraßen verwandelten sich in Park- und Zeltplätze. Richie Havens wurde als erster auf die Bühne gescheucht, weil er als Folksänger mit einer Gitarre auskam (Strawberry Fields Forever).

Artie Kornfeld bei Woodstock

Die Technik von Canned Heat benötigte 13 statt drei Stunden Anfahrt. Aus Kalifornien hatte sich die Hippiegruppe "The Merry Pranksters" in Ken Keseys berühmt-berüchtigtem Acid-Test-Bus auf den Weg gemacht, um das Publikum mit Trips zu beglücken. Berittene Polizei und Motorradrocker sorgten einträchtig und großzügig für Ordnung, während Art Vassmer, der einzige lokale Händler, Geld und Schecks in einem Boot über den White Lake zur Bank brachte und mit Proviant zurückkam. Neben zivil gecharterten Hubschraubern verwirrten angeforderte Army-Helikopter mit ihrem Vietnam-Betriebsgeräusch in der Landing-Zone das Publikum, um neben Managern, Musikern, Kameraleuten und Ausrüstung die medizinischen Notfälle zu transportieren. Das war ein Vorgeschmack auf "Apocalypse Now" (1979) und die Hubschrauber-Dschungel-Show-Einlage.

Es war ein Wunder und auch wieder keines, dass es in "Woodstock" bei drei Totem blieb. Unter ihnen war der junge Raymond Mizak, der gegen Ende im Schlafsack von einem Traktor überfahren wurde. Sein Vater hatte ihm den Ausflug nach "Woodstock" verboten. Zwei Personen starben durch eine Überdosis an Rauschmitteln, gemeldet wurden 797 Fälle von Drogenmissbrauch, 5162 medizinische Behandlungen durch freiwillig tätige Ärzte, es gab drei Geburten und mehrere Frühgeburten.

Screenshots "Arlo Guthrie: Coming Into Los Angeles")

So wuchs "Woodstock" zu einem Riesenfestival heran, das die Lebensenergie der Besucher umkrempelte und die Verkehrsadern im Staate New York verstopfte. Die Utopie einer aufgeblähten Idylle, die an einer Katastrophe vorbeischlitterte. Die Kassenhäuschen wurden erst spät aufgestellt. Zäune wurden niedergetrampelt, angeblich vor allem durch die anarchistische Street Gang Up Against the Wall Motherfuckers (UAW/MF), einer situationistischen Aktionsgruppe aus New York. Das Festival wurde zum freien Konzert erklärt und so entgingen beträchtliche Einnahmen. Für die Bands und Musiker stand ein Gesamtetat von 200.000 Dollar zur Verfügung, allen voran erhielt Jimi Hendrix 32.000 Dollar. Einige eingeladene Größen wollten oder konnten nicht anwesend sein, Bob Dylan scheute, wie andere auch, die dreitägige Massenveranstaltung, hatte aber noch ganz andere Sorgen, er kämpfte, bei aller poetischen Song-Qualität mit seinem Publikum zwischen dem alten Folk- und dem neueren Rock-Image und brachte 1969 seine erfolgreichste Platte Nashville Skyline in Country-Stil heraus. Die Doors zogen Clubauftritte (aber John Densmore drummte in Woodstock für Joe Cocker), Joni Mitchell musste laut Manager einer TV-Einladung folgen, als Ausgleich schrieb sie die Woodstock-Hymne, eine Art zivilreligiöse Bedienungsanleitung für den Festival-Spirit.

Für die weitere Logistik wurde der Kredit stündlich aufgestockt. Manager und Künstler verlangten Cash und verzögerten ihre Auftritte. Sie wurden dann immer weiter in die Nacht oder den Morgen hinein verschoben und großzügig verlängert, um das Publikum musikalisch bei Laune zu halten. Sonne, Hitze, Sturm und Gewitterregen verwandelten das von den Massen zertrampelte Weideland in eine einzige Schlammwüste. Greatful Dead vermeldeten heftige Stromstöße aus den eingeregneten E-Gitarren, während die schwarz-weiß gemischte Funk-Band Sly & The Family Stone (eine Anregung für Miles Davis und das große Vorbild von Prince) im Morgenregen ihren Erfolg feierte4. Trotz des starken Niederschlags blieben die Hauptstromleitung und die Bühnentechnik einigermaßen intakt. Die illegale Verbrennung des Mülls nach dem Konzert auf dem Farmgelände kostete die Veranstalter zusätzliche Strafgebühren.

Sly & The Family Stone: I want to take you higher

Die lebendige Atmosphäre des Ortes, die absolute Live-Mischung aus Improvisation und Programm, verstärkter Akustik und elektrischer Musik, einer weiteren dezentralen Bühne und in der Landschaft verstreuten Meeting-Points zogen die Zuhörer in den Bann. Dabei lässt sich aus heutiger Sicht eine beeindruckende Spannbreite und zugleich deutliche Homogenität im Auftreten bemerken: Die Basis des Festivals war die politisch-humanitäre Botschaft der akustischen Folk- und Bluesgitarre, deren Ausdrucksmöglichkeiten durch Rock, Funk und Rhythm and Blues im elektronischen Pop-Mainstream vielseitig angereichert und weiter getrieben wurden.

Joan Baez: We Shall Overcome

Am Anfang stand der politische Folk, stark und kraftvoll rhythmisiert von Richie Havens, dessen Freedom nur ein weiteres Vorspiel vor den Hauptbands sein sollte, aber zum Hit wurde. Die schwangere Joan Baez trug mit We Shall Overcome Hymne und Protestlied der US-Bürgerrechtsbewegung vor. Der Song entwickelte sich aus einem schwarzen Streiklied von afroamerikanischen Tabak-Plantagen-Arbeiterinnen. Es war auch dieses Flair von musikalischem Allgemeingut, politischem Common Sense und solidarischer Einzelleistung, die das Festival weitgehend zu einem entspannten Ereignis machte. Politisches Engagement und kommerzieller Erfolg fielen zusammen: Joan Baez nahm das Stück 1963 auf und verwendete es für internationale Einmischungen immer wieder, so zuletzt bei den Aufständen in Teheran 2009.

Klänge gegen Routinen

Die Sitar-Klänge von Ravi Shankar, dem Lehrer von George Harrison, waren nicht nur die Boten einer weltmusikalischen Haltung, wie sie sich auch in späteren Kooperationen, so mit Yehudi Menuhin und Philip Glass manifestierten. Ravi Shankar war Hippie-kritisch eingestellt. Ihn störte die Supermarkt-Bedienungs-Mentalität, sich einfach aus verschiedenen Kulturen bequem ein Alternativ-Menu zwischen Pot und Tantra zusammenzustellen, ohne daran stringent zu arbeiten. Seine beiden Töchter sind den letzteren Weg je auf ihre Weise gegangen: Norah Jones, die internationale Soul- und Jazz-Sängerin und Anoushka Shankar, indische Sitar-Solistin.

Worum es im Kontext der (multikulturellen) Entwicklung geht, ist die Suche nach neuen Soundreserven, die durch alternative Instrumente angezapft und wiederum für die eigene Spielkultur und allgemein elektronisch verfügbar gemacht werden: Karsh Kale reizt heute die Electric Tabla im Kontext von Jazz (Tabla Beat Science), Hip Hop und Drum & Bass aus . Auch John McLaughlins 1971 gegründetes Mahavishnu Orchestra wäre kaum ohne diese Idee, die in Woodstock für viele hörbar wurde, möglich gewesen. Es ging darum, sich aus den festen nicht nur klassischen, nicht nur weißen Schemata der Musik zu lösen, zum Beispiel aus der Song-Klammer von eindeutiger Selbstdarstellung, Melodie, Refrain, Begleitung zu entkommen. Mitten im Folk-Geklampfe, Rock-Gedröhne und Blues-Gejaule galt es Distanz zu nehmen, um in der instrumentalen Inter-Aktion des Live-Spiels neue virtuose Klänge und Formen auszuhorchen (multilaterale-Hinhör-Musik!) und auszuprobieren, die das Publikum miteinbezogen und in andere Richtungen mitrissen. Blues, Jazz und Elektronik waren das Besteck, mit dem die Operation Groove im progressiven Pop-Bereich durchgeführt wurde.

Jimi Hendrix, live in Woodstock

Es ging darum, aus der verheißungsvollen Aquarius-Introduction der 5th Dimension nicht zu schnell zur gefälligen Hair-Musical-Medley-Folklore zu wechseln, sondern Neues innovativ auszubrüten. Kein geringerer als Miles Davis nahm zwei spektakuläre Alben vor und nach Woodstock auf, langgezogene und doch für viele undefinierbare Werke, Klanglandschaften mit filmischen Schnitten, verstärkter Elektronik und kollaborativer Improvisation mit Miles Davis als solistischem Zentrum: In a Silent Way (Anfang 1969) und Bitches Brew (1969/70), denen der große Auftritt folgte auf dem Isle of Wight Festival (1970), dem großen britischen Nachfolge-Event von "Woodstock" (Call it anything).

Rüpeleien und Hingabe

In "Woodstock" wusste die britische Rockband The Who ihren Auftritt mit dem Marketing ihrer Rockoper "Tommy" zu verknüpfen. Von Publikum, Politik und Parteinahme wollte sie allerdings weniger Notiz nehmen. Plötzlich unterbrach sie US-Yippie-Partisan Abbie Hoffman und Autor des Buches "Steal me", mit einer politischen Ansprache gegen die Festnahme des multikulturellen-anarcho-Pro-Mariuhana-Poeten John Sinclair, bis Who-Gitarrist Pete Townshend ihn mit seinem Instrument von der Bühne knockte. 1971 führten John Lennon und Yoko Ono eine erfolgreiche Demonstration zu Freilassung von John Sinclair an, bei sie folgende Zeilen sangen:

It ain't fair, John Sinclair
In the stir for breathing air
Won't you care for John Sinclair?

Woodstock schmiedete ein breites Soundspektrum für die nächsten Jahrzehnte: Die damals für viele neuartige Schlagkraft der Jazzrock-Band Blood, Sweat & Tears, der surreal flottierende Rock von Jefferson Airplane, der imposant ins Instrumentale übersteigerte Brit-Blues eines Joe Cocker, die perkussive Rhythmik eines Michael Shrieve und die rauchige Melodik des erst gerade bekannt werdenden Carlos Santana, die nächtlichen Schreie einer heiseren Janis Joplin mit ihrer neuen Formation The Kozmic Blues Band. Längst hatte sie einen Porsche gekauft und ließ ihn wild mit Farbmustern besprühen. Er sah aus wie eine Schildkröte. Am Ende, im Morgenlicht des 18. August kamen die alles zerfetzenden E-Gitarren-Schübe von Jimi Hendrix, der den Blues kongenial in delirierende Elektronik übertragen und erneuert hatte.

Woodstock - zwischen Idee, Vermarktung und Museum

Heute ist das Konzert-Areal ein ökologisch gepflegtes Kulturland, 1996 aufgekauft vom Medien-Kabel-Magnaten Alan Gerry, mit einem Zentrum für Kunst und Musik, dem Bethel Woods Center of the Arts. Die überdachte Konzert-Bühne hat Platz für 15.000 Zuhörer, bietet einen Komfort, von dem die Musik-Fans damals nicht zu träumen gewagt hätten. Ein Multi-Media-Museum zeigt die explosive und zukunftsweisende Geschichte der 60er Jahre zwischen Mondlandung, Black Power, Vietnamkrieg, Studentenprotesten, Jugendbewegung und dem immer dominanter werdenden Electronic Rock.

Drossel, Hand und Griffbrett auf rotem Grund findet man wieder auf der Plakette des wuchtigen Gedenksteins zum15jährigen Jubiläums für das "Woodstock Festival". Ein einmaliges, chaotisches, großartiges und so nicht mehr wiederholbares Ereignis, das zum unerreichten Vorbild wurde. Von zynischem Kommerz, medial-hysterischer Prominenz, infantiler Performance und kraftprotzender Gewalt waren die großen Nachfolgekonzerte überschattet: 1994 (Green Day) und 1999 (Limp Bizkit ; Red Hot Chili Peppers).

Geblieben ist der Blick auf eine sanft geschwungene Landschaft, mit einem Hauch von Heldenfriedhof für die aufgewühlten Zeiten im Zeichen des Wassermannes, als die Hippiekultur zu einer Musik-gesteuerten Mainstream-Mode anschwoll und damit ihr Ende gerade in der Ausbreitung ihrer sanften, aber intensiven Ideen in der gesamten Gesellschaft fand. Man kann nur wünschen, dass Woodstock überall eine kulturschaffende spirituelle Kraft bleibt.