"In Honduras hat eindeutig ein Putsch stattgefunden"

Nach dem Staatsstreich gegen Präsident Zelaya sehen sich die Verantwortlichen im Recht. Zu Unrecht, wie Jari Dixon Herrera meint, der seit zwölf Jahren als Staatsanwalt in Honduras arbeitet.

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Links im Bild der Staatsanwalt Jari Dixon Herrera (im Anzug), rechts (mit roter Mütze) der Kongressabgeordnete Marvin Ponce von der Partei Unificación Democrática (Demokratische Vereinigung). Foto: H. Neuber

Herr Staatsanwalt, vor eineinhalb Monaten wurde der Präsident Ihres Landes, Manuel Zelaya, gestürzt. Während die internationale Gemeinschaft den Putsch einhellig verurteilt, sprechen die derzeitigen Machthaber von einer „verfassungsgemäßen Ablösung“. Können Sie für Klarheit sorgen?

Jari Dixon Herrera: Mir ist durchaus bewusst, dass diese Frage auch in der europäischen Presse diskutiert wird. Betrachten wir also erst einmal die Fakten: Am 28. Juni um 5:25 Uhr morgens hat ein Kommando der Armee die Residenz des Präsidenten gestürmt. Präsident Zelaya wurde aus dem Bett gezogen und fand sich wenig später halbnackt auf dem Rollfeld eines Militärflughafens wieder. Das war eindeutig eine Entführung, eindeutig illegal.

Ihre Kontrahenten würden schon an dieser Stelle widersprechen.

Jari Dixon Herrera: Zwei Argumente aus juristischer Sicht: Erstens ist die Armee in Honduras nicht zu Festnahmen befugt. Nach geltendem Recht ist dies eine originäre Aufgabe der Polizei. Was würden Sie sagen, wenn in Deutschland Bürger durch Soldaten inhaftiert würden? Zweitens, und das wiegt schwerer, hat zum Zeitpunkt von Entführung und Putsch gar kein Haftbefehl gegen den Präsidenten bestanden. In Honduras hat also eindeutig ein Putsch stattgefunden. Es war keine Ablösung. Und es war schon gar nicht verfassungskonform.

Einen Moment! Der Oberste Gerichtshof hat nach Medienberichten doch den Befehl zur Festnahme des Staatschefs gegeben.

Jari Dixon Herrera: Ja, aber erst zwei Tage nach dem Putsch! Offenbar hatten die Hintermänner dieses Staatsstreichs nicht mit einer derart negativen Reaktion von internationaler Ebene gerechnet. Von einem Festnahmebefehl war erstmals am 30. Juni am Nachmittag die Rede – also gut zwei Tage nach dem Putsch. Offenbar hatten die Zelaya-kritischen Mitglieder des Obersten Gerichtshofes und Mitglieder der Staatsanwaltschaft einen juristischen Ausweg aus dem Dilemma gesucht.

Ein schwerwiegender Vorwurf. Haben Sie Beweise?

Jari Dixon Herrera: Die Manipulation lässt sich eindeutig nachweisen. Im Sekretariat des Obersten Gerichtshofes wird jede eingehende Anklage handschriftlich in einem Buch festgehalten. Angeblich sollte gegen Präsident Zelaya schon am 25. Juni ein Haftbefehl erlassen worden sein. Allerdings tauchte dieser in der Liste nicht auf. Weil nach diesem Datum schon weitere Fälle vermerkt wurden, konnte er auch nicht nachgetragen werden. Also wurde kurzerhand ein neues Buch angelegt. Einziger Eintrag: Der Fall Zelaya.

Vor einer Mauer des Schweigens: Eine altere Demonstrantin vor Polizisten, die das Gebäude der Staatsanwaltschaft abschirmen. Foto: H. Neuber

Nach Angaben der neuen Machthaber hat der Präsident zudem ein Rücktrittsgesuch unterzeichnet.

Jari Dixon Herrera: Dieses Dokument war eine Fälschung. Es wurde wenige Stunden nach dem Putsch während einer Sondersitzung im Nationalkongress vorgestellt. Als Präsident Zelaya davon erfuhr, widersprach er, dieses Gesuch je unterzeichnet zu haben. Das war während der Pressekonferenz, bei der er an der Seite seines costaricanischen Amtskollegen Oscar Arias in San José auftrat. Als Präsident Zelayas Dementi großes mediales Echo fand, änderten die Putschisten ihre Argumentation umgehend. Plötzlich führten sie den Artikel 205 der geltenden Verfassung von Honduras an und erklärten, der Nationalkongress habe mit Roberto Micheletti einen „neuen Präsidenten“ gewählt.

Klingt doch einleuchtend.

Jari Dixon Herrera: Aber nur, wenn man die Verfassung nicht kennt. In keinem der 45 Absätze des Artikels 205 der honduranischen Verfassung von 1982 wird der Nationalkongress ermächtigt, einen Präsidenten abzusetzen oder neu zu wählen. Dem Nationalkongress steht einzig und alleine zu, die Amtsführung des Staatschefs positiv oder negativ zu beurteilen. Ein negatives Urteil kann eventuell ein erster Schritt zu einer Amtsenthebung sein. Aber auch dafür gibt es ein klar definiertes Procedere.

Sie stellen eine solche Verfehlung zwar in Abrede. Aber was hätte aus Ihrer Sicht geschehen müssen, wenn der Präsident gegen das Gesetz verstoßen hätte?

Jari Dixon Herrera: Für diesen Fall gibt es zwei Möglichkeiten, die nicht nur für den Präsidenten, sondern auch für andere hohe staatliche Funktionäre gelten. Erstens kann die Justiz Anklage gegen den Präsidenten erheben. Erst wenn einem Verfahren stattgegeben wird, erfolgt eine Amtsenthebung. Das höchste Staatsamt wird dann – und zwar in dieser Reihenfolge – von dem Vizepräsidenten, dem Parlamentspräsidenten oder dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofes übernommen. Das ist eines der Scheinargumente der Putschisten: Nach ihrer Darstellung war die Machtergreifung von Herrn Micheletti am 28. Juni „verfassungskonform“, weil der Vizepräsident Elvin Santos wenige Wochen zuvor zurückgetreten war und Micheletti in der Hierarchie folgte. Das Problem dabei ist, dass die Amtsenthebung von vornherein illegal war. Damit entbehren auch alle weiteren Schritte der Legalität.

Die zweite Möglichkeit hätte darin bestanden, den Staatschef von der Polizei festnehmen und zur Vernehmung verbringen zu lassen. Die Abschiebung ist aber nicht nur widersinnig gewesen, sie stellt auch einen klaren Verstoß gegen die Artikel 81 und 102 der Verfassung dar. Darin wird eine gewaltsame Verschleppung oder Ausweisung von Bürgern der Republik verboten. Dass es den Putschiste n nicht um die Wahrung des Rechts ging, beweist auch die Verschleppung der Außenministerin Patricia Rodas wenige Tage später. Sie wurde nach Mexiko ausgeflogen. Wenn sich der Präsident angeblich einen Gesetzverstoß zuschulden kommen gelassen hat – weshalb wird dann seine Außenministerin abgeschoben?

Szene auf der Plaza Mayor, dem zentralen Platz vor der Kathedrale von Tegucigalpa: Jedes Wochenende trifft sich hier die Demokratiebewegung zu Großkundgebungen.Foto: H. Neuber

Seit dem 28. Juni existiert in Honduras keine legale staatliche Ordnung mehr

Sie sagen, dass die Verantwortlichen für den Staatsstreich von der internationalen Verurteilung überrascht worden seien. Hätten sie nicht ein Verfahren eröffnen können, um ihrem Handeln zumindest den Anschein von Legalität zu geben?

Jari Dixon Herrera: Der Putsch hat doch eigentlich schon am 25. Juni stattgefunden. An diesem Tag weigerte sich der Oberkommandierende der Streitkräfte, General Romeo Vásquez Velásquez, die für den 28. Juni geplante Meinungsumfrage bezüglich eines Plebiszits über eine verfassunggebende Versammlung logistisch zu unterstützen. Sie müssen wissen: Überwachung und Verteilung des Wahlmaterials ist in Honduras Aufgabe der Armee. Präsident Zelaya setzte Vásquez Velásquez daraufhin ab.

Der Oberste Gerichtshof erklärte diese Entscheidung für nichtig – obwohl er das de jure gar nicht darf. In diesem Moment, am 26. Juni, hatte der gewählte Präsident de facto keine Macht mehr. Er sah sich einem „technischen Staatsstreich“ gegenüber. Seine Verschleppung zwei Tage später hatte nur noch symbolischen Wert. Von dem Geschehen an diesem Tag ging eine eindeutige Nachricht der mächtigen Oberschicht unseres Landes aus: „Wir setzen hier die Präsidenten ein“, lautete diese Nachricht, „und wir setzen sie auch wieder ab.“

Vertreter des Protestbündnisses „Nationale Widerstandsfront gegen den Staatsstreich“ sprechen sich nun nachdrücklich für die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung aus. Dies sei die Konsequenz aus dem Putsch. Halten Sie diese Argumentation für nachvollziehbar?

Jari Dixon Herrera: Staatsrechtlich ist das nachvollziehbar, ja. Mit dem Putsch ist eine der Gewalten, die Exekutive, zerstört worden. Damit ist die staatliche Ordnung außer Kraft gesetzt. Seit dem 28. Juni existiert in Honduras keine legale staatliche Ordnung mehr. Die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung könnte diese Situation überwinden – oder die Rückkehr des gewählten Präsidenten in sein Amt.

Aber dem Präsidenten wird „Vaterlandsverrat“ vorgeworfen, weil er die Verfassung novellieren lassen wollte.

Jari Dixon Herrera: Dieser Vorwurf bezieht sich vor allem auf die Annahme, dass er das Verbot der Wiederwahl umgehen wollte. Aber wenn diese Bestimmung im Rahmen einer verfassunggebenden Versammlung aufgehoben worden wäre, dann hätte dies erst lange nach der Amtszeit von Präsident Zelaya gegriffen. Er hätte davon also gar nicht mehr profitieren können.

Eines der spannendsten Details dabei ist, dass der langjährige Politiker und derzeitige Präsidentschaftskandidat der Nationalen Partei Honduras, Porfirio Lobo Sosa, selbst eine verfassunggebende Versammlung vorgeschlagen hat. Ist das skandalisiert worden? Nein, ist es nicht. Das ist zumindest ein Indiz dafür, dass es um die politischen Inhalte geht. Die von Präsident Zelaya lancierte Initiative wurde von zahlreichen sozialen Bewegungen unterstützt. Sie hätte wirtschaftliche Interessen der Oberschicht tangiert.

Wenn wir jetzt schon auf der politischen Eben sind, beantworten Sie mir bitte eine letzte Frage zu einem der immer wiederkehrenden Vorwürfe: Manuela Zelaya habe sich an Hugo Chávez´ politisches Projekt angenähert. Der Putsch sei deswegen das geringere Übel gewesen.

Jari Dixon Herrera: Diese Darstellung wird in der Tat in den Privatmedien meines Landes ständig wiedergekäut. Die einzige Annäherung, die wir an Venezuela vollzogen haben ist aber der Beitritt zur „Bolivarischen Alternative für Amerika“, einem Staatenbündnis, das auf Initiative von Venezuela und Kuba gegründet wurde. Zudem war Präsident Zelaya dem von Venezuela geschaffenen energiepolitischen Bündnis „Petrocaribe“ beigetreten. In beiden Fällen hatte der Nationalkongress zugestimmt. Sind das deswegen alles „Chavisten“?

Harald Neuber hält sich gegenwärtig in Tegucigalpa, der Hauptstadt von Honduras, auf.