"Und dann wird's besser!"

Aaron Koenig

Am geschichtsträchtigen 13. August eröffnet die Piratenpartei in Berlin ihren Bundestagswahlkampf

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Ahmadinedschad würde die CDU wählen und Kim Jong-Il würde die Linke wählen ... Mit derbem Sarkasmus und dem Willen sich jenseits der politischen Geografie von links und rechts zu positionieren, startet die Piraten-Partei in den Bundestagswahlkampf. Dass sie jetzt schon die 5-%-Hürde überwinden wird, daran glauben die wenigsten, sehen aber eine wachsende Schar von Anhängern hinter sich.

Zuschauer, Parteimitglieder, Sympathisanten und Pressevertreter drängen sich dicht in der kleinen zum Presselager umfunktionierten "Bar 25" in Berlin-Mitte, direkt an der Spree. Draußen schippert ein Segelboot unter der Piraten-Flagge vorbei, drin beginnt der Berliner Pressesprecher Aaron Koenig eine Rede zum Wahlkampfauftakt der Piratenpartei zu halten. Er orientiert sich am Datum des 13. Augustes, an welchem 1961 die Berliner Mauer gebaut wurde. Ulbricht habe damals zuvor versprochen: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." Und ähnliches sei vor kurzem auch vom stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Bosbach zu hören gewesen: "Niemand hat die Absicht, einen Überwachungsstaat zu errichten."

Tausende virtuelle Wähler

Mit ihren zentralen Themen Informationsfreiheit, transparenter Staat und konsequenter Datenschutz hatte die Partei bereits zur Europawahl erstaunliche 7,1 % der Wählerstimmen gewonnen - in Deutschland 0,9 %. Die Piraten finden ihre Anhänger dort, wo die anderen Parteien sie nicht - oder erst seit kurzem und wesentlich erfolgloser - suchen: im Internet. Der Berliner Bundestags-Kandidat Florian Bischof zählt auf, wie weit die Piraten in der Gunst der StudiVZ-Nutzer vor der CDU liegen, wie viele Abonnenten das Piraten-Tweet mehr hat als das der Grünen, welche Proteststürme auf XING zur Aufnahme der Partei in das "Wahlbarometer" geführt haben und kommt etwas melodramatisch zu der Einsicht, dass es diese Menschen sind, die die Piratenpartei so erfolgreich machen.

Florian Bischof

Und da hat er wohl nicht Unrecht, denn diejenigen, die das Internet und die Informationstechnologien täglich und selbstverständlich nutzen, sind auch diejenigen, die sich durch die jüngsten medienpolitischen Vorstöße von CDU und SPD in Sachen Netzfilter oder "Killerspiele"-Verbot am stärksten bedroht fühlen. Ihre Ängste spricht die Piraten-Partei auf den Wahlplakaten und in TV-Spots zuvorderst an. Und - das ist eine Besonderheit der Partei - sie sind auch aufgerufen, das Wirken der Piraten mitzubestimmen.

Liquid Democracy

Unter dem Schlagwort der "Liquid Democracy" versucht die Piraten-Partei Hierarchien zu durchbrechen oder zumindest zu hinterfragen und fängt dabei bei sich selbst an. Die zentralen Wahl-Werbemittel wurden per Ausschreibung im Internet erstellt. Einen Filmwettbewerb hat es gegeben, bei dem rege Teilnahme herrschte. Drei Spots werden auf der Pressekonferenz vorgestellt: Im Gewinn-Beitrag wird per Zeichentrick verdeutlicht, wie die etablierten Parteien die Bürgerrechte mehr und mehr aushöhlen und die Verwertungsinteressen der Medienindustrien den Zugang zu Informationen zusehends erschweren.

"Politik zum Mitmachen"

Der Spot "Freie Lizenzen und Überwachung" selbst sei das beste Beispiel gewesen, denn die darin verwendete Musik hatte Befürchtungen um Urheberrechtsstreitigkeiten ausgelöst und wurde kurzerhand durch lizenzfreie Musik getauscht. In "Du bist Terrorist" wird der Mediennutzer noch direkter angesprochen und ihm ein Szenario vor Augen geführt, das sich hinter dem von Orwells "1984" nicht mehr verstecken muss. Am Ende gibt es überall Kameras, Bundes-Trojaner und Nackt-Scanner.

Um aber nicht nur die medienaffinen Menschen diesseits des 40. Lebensjahrs anzusprechen, hat man nachträglich noch einen dritten Spot ins Rennen geschickt, der etwas mehr an der außermedialen Wirklichkeit orientiert ist und auch in dieser spielt. Darin kommt auch das erste nicht mehr ausschließlich auf die Medienpolitik abzielende Thema zur Ansprache: Gen-Ethik - wenn auch hier wieder informationstheoretisch verpackt: Die Gene von Pflanzen und Tieren müssen Allgemeingut werden/bleiben und dürfen nicht patentiert werden, damit sie freier Forschung zur Verfügung stehen. Allein darin dürften die Partei Umweltschützern und Gen-Technik-Gegnern wohl noch längst nicht weit genug gehen.

"Jeder kann die Piraten wählen"

Die Plakate, die ebenfalls online erstellt und gewählt wurden, werden nach den TV-Spots vorgestellt: In vier Monaten sind 147 Entwürfe eingegangen, von denen unter 60.000 Votes fünf Motive ausgewählt wurden. Jedes der Plakate widmet sich einem der politischen Punkte der Partei - und das sind noch nicht viele. Eines hat in der Mitte deshalb eine weiße Fläche, die von den Anwesenden mit weiteren politischen Themen beschriftet werden darf (Stichwort: Liquid Democracy) und sich in kurzer Zeit mit neuen Vorschlägen füllt: Kinder- und Jugendpolitik, Bedingungsloses Grundeinkommen und Lobby-Transparanz.

Plakate

Die in Deutschland seit 2006 bestehende Piraten-Partei hat bislang vor allem Informatiker und Medien-Menschen angelockt und damit deren Themen ausgebaut, ist aber nun bemüht, Fachleute für all die Themen zu gewinnen, die das politische Tagesgeschäft darstellen. Was dem auf der Pressekonferenz herum gereichten Flyer an Sozial-, Umwelt- oder Sicherheitspolitik zu entnehmen ist ... nun, das passt noch auf einen Din-A4-Leporello, auf dem dann auch noch Platz für ein "Bescheidenheits"-Versprechen der Piraten ist: "Ein Pirat ist kein Angeber und preist sich nicht selbst an."

Da Bundespolitik derzeit aber vor allem von Leuten, die sich selbst anpreisen, gemacht wird, ist abzuwarten, ob dieser entpersonalisierte Wahlkampf der Piraten-Partei fruchtet. Derweil sich die Grünen darüber echauffieren, dass die Piraten "ihre" Themen Bürgerrechte und Informationsfreiheit an sich gerissen haben, herrscht in der Piraten-Partei noch kein politischer Neid. Immerhin hat man sich für Berlin gegen einen Direkt-Kandidaten entschieden - wohl auch, um Hans-Christian Ströbele von den Grünen keine Wähler abspenstig zu machen. Ohne politische Couleur gibt sich die Partei sowieso offen: "Jeder kann die Piraten wählen. Und dann wird's besser", sagt der Sprecher auf dem Podium und im Programm-Flyer steht noch unter Bescheidenheit: Der Pirat "zollt auch dem politischen Gegner Respekt, wenn dieser gute Arbeit macht".

Fremdschäm-Attacken werden mit einem ordentlichen Schluck Rum runtergespült

Die CDU und die Linke scheinen - schaut man sich die Ahmadinedschad- und Jong-Il-Plakate an - demnach keine gute Arbeit gemacht zu haben. Aber so richtig ernst ist das ja alles nicht gemeint und ein bisschen Galgenhumor sollten sich die Piraten zwischen ihren Tauss- und Theisen-Debakeln vielleicht auch noch bewahren. Der offizielle Teil der Veranstaltung endet mit der Videoclip-Präsentation eines Wahlkampf-Songs, bei dem die Sängerin im Refrain in piratisches "Arrr" in ein Wireless-Singstar-Mikro grölt. Der Clip wird als "Rausschmeißer" angekündigt und löst bei nicht wenigen Anwesenden Fremdscham-Attacken aus. Die werden dann mit einem ordentlichen Schluck Rum (was sonst?) für alle runtergespült.