Fehlinvestition Konjunkturprognose?

Eine kritische Leistungsschau der Arbeit der großen Wirtschaftsinstitute

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

2008 förderten Bund und Länder die Arbeit der sechs großen Wirtschaftsforschungsinstitute (DIW, IfW, ifo, IWH, RWI und ZEW) mit 21,2 Millionen Euro. Doch die Wirtschaftskrise wurde von keinem der Institute vorausgesehen.

Bereits Anfang 2006 forderte das DIW eine bessere Bankenaufsicht, der Präsident der ifo, Hans-Werner Sinn, sogar schon 2001. Doch war mit Basel II eine scheinbar stärkere Regulierung des EU-Finanzmarktes bereits auf dem Weg, und die USA würden in absehbarer Zeit wahrscheinlich nachziehen. Aber sie taten es nicht, und selbst Basel II wird von Hans-Werner Sinn inzwischen als unzureichend angesehen.

Den deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten fehlte aber der Überblick über die weltweiten Finanzgeschäfte, um die Risiken der unzureichenden Bankenregulierung in den USA auch für die deutsche Wirtschaft deutlich erkennen und rechtzeitig davor warnen zu können.

Zwar hat die „Arbeitsgemeinschaft der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute“, in der die sechs öffentlichen geförderten Institute zusammen arbeiten, in ihrem Gutachten von Herbst 2006 vermutet, dass ein Platzen der Immobilienblase in den USA auch einen Konjunktureinbruch in Deutschland zur Folge haben könnte:

Der Immobilienmarkt könnte allerdings dann zum Risiko für die Konjunktur werden, wenn es zu einem starken Anstieg der Ausfälle von Hypothekenkrediten käme. Eine solche Entwicklung ist möglich, weil bei der Finanzierung von Investitionen in Immobilien in den vergangenen Jahren auf immer riskantere Formen zurückgegriffen wurde. So hat trotz niedrigem Zinsniveau der Anteil der Hypothekenkredite mit variablen Zinssätzen beziehungsweise nur einer geringen Zinsbindung oder mit einer verzögerten Tilgungsphase deutlich zugenommen.

Gutachten 2006

Doch wurde daraufhin die Forschung nicht etwa auf die entdeckten Konjunkturrisiken konzentriert, sondern weiter gearbeitet wie zuvor. Im darauf folgenden Bericht für das Frühjahr 2007 steht daher sogar:

Insgesamt bewerten die Institute die aktuelle Situation im Immobiliensektor als Korrektur von Übersteigerungen, die sich nicht zu einer schweren Krise verschärfen wird.

Gutachten 2007

Die Wissenschaftler stützten sich auf Mutmaßungen anstatt auf sicheres Wissen. Die Folge waren unzutreffende Prognosen aller sechs Institute.

Das IWH ließ seine eigenen Prognosen untersuchen, die es während und kurz vor der Krise veröffentlichte. Die Weltfinanzkrise im Spiegel der Konjunkturprognosen des IWH zeigt, wie erst allmählich die Erkenntnisse darüber, wie brisant die Finanzprodukte in den USA waren, in die Prognosen einfließen. Zu lange war die Verbindung zwischen riskanten Immobilienkrediten und hypothekengestützten Wertpapieren nicht erkannt worden. Wie auch, wenn sie selbst vielen Banken nicht bekannt war? Fazit der Untersuchung ist, dass die Unwägbarkeiten von Prognosen stärker berücksichtigt und verdeutlicht werden müssen.

Das hat das RWI allerdings bereits versucht. Dennoch behauptet es nach einigen Wahrscheinlichkeitsberechnungen in seinem Konjunkturbericht zur Jahreswende 2007/08:

Aus diesem Grund erwarten wir für die USA in den kommenden Monaten eine weiterhin schwache gesamtwirtschaftliche Entwicklung aber keinen deutlichen Einbruch der Produktion.

RWI-Konjunkturbericht 2007/08

Und in der darauf folgenden Ausgabe für die Jahresmitte 2008 heißt es unter der Überschrift „Konjunktur in den USA hat die Talsohle wohl erreicht“:

Für das kommende Jahr erwarten wir eine allmähliche Belebung. So dürfte der Rückgang der Wohnungsbauinvestitionen auslaufen und die übrigen Investitionen wieder stärker ausgeweitet werden.

RWI-Konjunkturbericht 2008

Der Präsident des RWI Christoph Schmidt räumte später in Interviews mit der FAZ und dem Spiegel ein, die Lage falsch eingeschätzt und die Risiken nicht genügend ins Blickfeld gerückt zu haben.

Aber auch das DWI erklärte noch im Oktober 2008 die Auswirkungen der Finanzkrise für beherrschbar. Das ifo hingegen reagierte zwar frühzeitig auf die Unsicherheitsfaktoren, brachte sie aber in ihren Prognosen nicht ausreichend zur Geltung. Ihr Präsident Hans-Werner Sinn hatte bereits im März 2008 erklärt: „Die Party ist vorbei.“ Weiteren zwangsläufig spekulativen Prognosen erteilte er mit dem Satz „Die ganze Wahrheit wird sich jedoch erst im Frühjahr 2009 zeigen, wenn die Jahresabschlüsse für das Jahr 2008 veröffentlicht werden.“ Im Grunde eine deutliche Absage. Dennoch stellte das ifo im Juni 2008 nur fest, dass sich „die anhaltende Unsicherheit auf den Finanzmärkten ... zunehmend bremsend“ auswirken wird. Dass diese Unsicherheit auch die eigene Prognose unsicher macht, war nicht der Rede wert.

Diese Ergebnisse scheinen zu bestätigen, dass sich sichere Prognosen nur auf Grundlage ausreichender Informationen erstellen lassen. Aber selbst ein Forschungsinstitut wie das ZEW, das intensive Kontakte zum Finanzmarkt pflegt und monatlich die Finanzexperten der Banken und Versicherungen befragt, erhält widersprüchliche Angaben. So äußerten die Experten sich für den Mai 2007 noch besorgt über die Konjunkturentwicklung in den USA, erwarteten aber bereits eine Erholung im Juni. Das mag daran liegen, dass nur Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt wurden.

Das IfW hingegen überraschte sich mit seiner eigenen Prognose selbst: Es ist in seinem Konjunkturbericht für den Herbst 2007 erstmals ausführlich auf eine mögliche Krise eingegangen und hat drei Szenarien vorgestellt, denen es „nur eine relativ niedrige Eintrittswahrscheinlichkeit“ voraussagte, die aber später alle eintrafen:

  1. Einbruch der Immobilienpreise in den USA
  2. Einbruch der Aktienkurse
  3. Erhöhte Risikoprämien

Wirtschaftsforschungsinstitute sind gut in der Prognose dessen, was gerade passiert ist

Wer nun aber denkt, private Forschungsinstitute hätten zutreffendere Prognosen abgegeben, liegt falsch. Das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI), dass durch Berenberg Bank, Bucerius Law School Hamburg, Hamburger Sparkasse, Handelskammer Hamburg, Hamburg School of Business Administration und HSH Nordbank finanziert wird, sagte in seiner Herbstprognose 2008 eine Konsolidierung der Banken noch im selben Jahr voraus. Die Probleme von Depfa und HRE waren zu dem Zeitpunkt aber schon bekannt.

Statt mit innovativen Konzepten oder zutreffenden Prognosen zu überzeugen, verwirrt der Direktor des HWWI, Thomas Straubhaar, eher durch unglückliche Vergleiche. Während die öffentlich geförderten Wirtschaftsforschungsinstitute (z. B. ZEW) eine strengere Regulierung des internationalen Finanzmarktes fordern, um das Vertrauen in die Banken wiederherzustellen, lehnte er diese mit Hinweis auf die Stasi ab. Regulierung sei nicht etwa die Voraussetzung des Vertrauens, sondern ihr Ersatz. Dass Vertrauen allein die Wirtschaftskrise offensichtlich nicht verhindern konnte, ficht ihn scheinbar nicht an.

Dieses Ergebnis verwundert nicht: Das HWWI ist aus dem Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv HWWA hervorgegangen, das wegen unzureichender Forschungsleistung keine Fördergelder mehr erhielt und Ende 2006 aufgelöst wurde. Präsident war damals ebenfalls Thomas Straubhaar.

Den Zusammenbruch wirklich vorausgesehen hat nur ein Dozent der Fachhochschule Worms, der mit seiner eigenen Firma auch Vermögensberatungen durchführt: Max Otte, Autor des 2006 erschienenen Buches „Der Crash kommt“, wurde als Prophet des Untergangs gefeiert, als seine Prognosen zwei Jahre später eintrafen. Er lieferte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk eine einfache Erklärung für die Fehlleistungen der Wirtschaftsforschungsinstitute:

Das ist auch ganz normal und natürlich so, denn diese Institute hängen ja an Staatsgeldern und letztlich will man natürlich nicht seinem Auftraggeber vors Bein treten und eine schlechte Wirtschaftslage prognostizieren.

Außerdem hätten ihre Prognosen keine wirkliche Grundlage. Sie würden darin nur übernehmen, was bereits bekannt ist, mehr reagieren als forschen: „Wirtschaftsforschungsinstitute sind meistens sehr gut darin, Ihnen zu prognostizieren, was gerade passiert ist.“

Von allen Wirtschaftsforschungsinstituten zog lediglich das DIW Konsequenzen. Bereits im Dezember schlug der Chef des DIW, Klaus Zimmermann, vor, vorübergehend auf Prognosen zu verzichten. Dafür wurde er heftig kritisiert – auch von den Präsidenten der Wirtschaftsinstitute, die selbst keine besseren Prognosen abliefern konnten. Dennoch kündigte er im April an, dass das DIW vorerst keine Voraussagen für das Jahr 2010 mehr machen werde.

Die WirtschaftsWoche fragte kritisch, ob Deutschland überhaupt so viele Forschungsinstitute brauche. Allerdings hat die staatliche Förderung mehrerer Institute den Vorteil, den Wettbewerb unter ihnen zu verschärfen und sie zugleich unabhängiger zu machen. Vielmehr sind ihre Prognosen kritischer zu bewerten. Gerade im Finanzsektor waren die Informationen nicht ausreichend, um zuverlässige Prognosen zu erstellen. Darüber war man sich an den Instituten jedoch offenbar nicht im Klaren, so dass man keine entsprechenden Forschungsschwerpunkte setzte. Um so wichtiger ist es, ihren Forderungen nach einer stärkeren Bankenregulierung und kompetenteren Aufsichtsräten nachzukommen. Denn Prognosen können nur zuverlässig sein, wenn sich Unabwägbarkeiten ausschließen lassen.