Neue Handelswege für Drogenschmuggel nach Europa

Von Westafrika werden die Drogen mit Schnellbooten, Lkws oder Flugzeugen in den Norden Marokkos und dort aus nach Europa transportiert

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Auf der Suche nach neuen Transport- und Distributionsrouten sind südamerikanische Drogenkartelle in Afrika fündig geworden. Auf dem Weg über Westafrika und Marokko gelangen Kokain und andere Drogen nach Europa. Mangelnde Staatskontrolle und Korruption machen es möglich, dass die Kartelle beinahe ungehindert an der Westküste Afrikas arbeiten können.

In der marokkanischen Hafenstadt Tanger findet man im Vergleich zu früher kaum mehr Immigranten aus Schwarzafrika. Boote, die sie über die Meerenge von Gibraltar ins nur 14 Kilometer entfernte Spanien bringen, gibt es so gut wie keine mehr. Die marokkanischen Behörden bringen sie meist auf, bevor sie noch auslaufen. Aber die verbliebenen Menschen aus Nigeria, Sierra Leone oder Liberia wollen nicht in ihre Heimatländer zurück. Sie hoffen weiter auf eine Chance hinüber ins Goldene Europa zu kommen, obwohl sie darauf schon seit Jahren vergeblich warten.

Einer von ihnen ist Winfred aus Nigeria, der vor vier Jahren auf LKWs und Bussen über Mali und Algerien nach Marokko kam. Normalerweise steht der 26-Jährige vor Supermärkten oder Moscheen in Tanger und bettelt um ein paar Dirham. „Das ist nun endlich vorbei“, sagt der junge Mann stolz, der sich ganz offensichtlich erst kürzlich neu eingekleidet hat und wesentlich zufriedener wirkt. Jetzt habe er einen lukrativeren Job, der ihm das nötige Geld einbringe, um die Leute zu bezahlen, die ihn nach Europa schmuggeln können.

„Ich verkaufe Kokain“, fügt er lapidar hinzu, als sei ein Dealerjob die normalste Sache der Welt. Nach einem kurz Blick rechts und links, um sicher zu gehen, dass ihm keiner zuhört, sagt er schmunzelnd: „In 500 Grammbeuteln liegt das bei mir zuhause rum“. Die Geschäfte gingen nicht schlecht, aber er bräuchte mehr Kunden, um alles schneller loszuwerden und wieder neu einkaufen zu können. Sein Problem sei die Konkurrenz, denn neuerdings würden auch immer mehr andere Immigranten aus Schwarzafrika damit Geschäfte machen. „Das ganze Business ist fest in schwarzer Hand“, versichert Winfred. „Der Stoff kommt aus Guinea Bissau und wird hier in größeren Mengen nur von Schwarzen an Schwarzen weitervertrieben“, fügt er mit einem aufklärenden Unterton an, als ob er ein Geheimnis preisgeben würde.

Guninea Bissau, ein perfekter Ort für die Drogenkartelle

Dabei ist sein Hinweis auf Guinea Bissau, das rund 3000 Kilometer Luftlinie von Tanger entfernt an der Küste Westafrikas liegt, keine Überraschung. Das mit knapp 40.000 Quadratkilometer und 1,5 Millionen Einwohnern eines der kleinsten wie ärmsten Ländern des Kontinents gilt als internationaler Drogenumschlagplatz. „Dort lässt sich mit Korruption alles regeln“, erklärt Amin, ein im Nachbarland Sierra Leone aufgewachsener Libanese, der als Diamantenhändler seit vielen Jahren in Westafrika Geschäfte macht und es wie seine Westentasche kennt. „Die Polizei ist schlecht ausgerüstet, kaum präsent und notfalls kann man sie eben kaufen.“

Ein perfekter Ort für die Kokainkartelle aus Kolumbien, Peru oder Bolivien, die im Stile internationaler Großunternehmen immer auf der Suche nach neuen Distributionswegen sind. In den letzten fünf Jahren haben sie Guinea Bissau und die Region Westafrika zur Drehscheibe des transatlantischen Kokainhandels gemacht. Nach Schätzungen des UN-Büros für Drogen und Kriminalität machen dort jährlich rund 50 Tonnen Zwischenstation, bevor sie nach Europa weitergeliefert werden. Das Kokain aus Westafrika deckt 27 Prozent des europäischen Gesamtbedarfs und hat einen Marktwert von zwei Milliarden Euro. Oft mehr als das Bruttosozialprodukt einiger Länder Westafrikas. Guinea Bissau kam 2008 gerade Mal auf 857 Millionen Dollar, Gambia auf 600 Millionen und Sierra Leone auf 1,7 Milliarden Dollar.

In Containerschiffen oder Yachten versteckt, aber auch in Kleinflugzeugen, mit eingebautem Zusatztank, wird meist Kokainpaste über Venezuela an die afrikanische Westküste transportiert, wo sie dann zu Kokainpulver oder zu Crack raffiniert wird. Mittlerweile stellen afrikanische Chemiker in ihren Labors auch Heroin aus Opium und synthetisch Ecstasy her. UN-Experten fanden erst im Juli dieses Jahres auf verschiedenen Anwesen der guineischen Hauptstadt Conakry „Quantitäten von Chemikalien“, „die dem normalen Bedarf des Landes zur Medikamentenherstellung bei weitem übersteigen“. Bisher sind jedoch Opiate und synthetische Drogen noch verhältnismäßig kleine Geschäftszweige. Die Behörden konfiszieren Heroin nur in Kilo-Bereichen. Bei Kokain waren es dagegen insgesamt 11 Tonnen, die westafrikanische Polizisten und Militärs zwischen 2005 bis 2007 beschlagnahmten. „Aber das landet fast alles wieder auf der Straße“ meint der Diamantenhändler Amin, der mit einem hochrangigen Polizisten aus Guinea Bissau befreundet ist. „Für die Medien wird ein Spektakel gemacht, mit einem großen Feuer, in dem auch einige Kokainpakete landen, aber der Rest ist einfaches Mehl.“

Transitstation Ceuta

Von Westafrika wird der Stoff mit Schnellbooten, Lkws oder Flugzeugen möglichst in den Norden Marokkos transportiert. Über die Meerenge von Gibraltar sind es nur 14 Kilometer nach Spanien, das neben Großbritannien den höchsten Kokainkonsum in Europa aufweist. Ein wichtiges Nadelöhr für den Schmuggel auf die iberische Halbinsel ist Ceuta, neben Melilla, die zweite spanische Enklave auf marokkanischem Territorium.

Auf den ersten Blick wirkt Ceuta, das keine Autostunde von Tanger entfernt liegt, wie eine verschlafene Kleinstadt in der Provinz: Fußgängerzone im Zentrum, Strandpromenade und von den knapp 78.000 Einwohnern geht abends, sobald die Geschäfte schließen, kaum mehr einer auf die Straße. Aber in Wirklichkeit ist die Enklave Transitstation für Haschisch aus Marokko und neuerdings auch Kokain aus Westafrika. Die südamerikanischen Drogenkartelle benützen die bewährten Transportrouten der Haschischmafia. Erst im Juli dieses Jahres konnte die spanische Polizei 14 Personen eines Netzwerks verhaften, die über Ceuta Haschisch und Kokain nach Spanien schmuggelten.

„Haschisch in Ceuta, das in Marokko angebaut wird, ist logisch“, meint Cleopatra R’Kaina, vom Drogenbüro der Stadt. „Aber von der Präsenz von Kokain sind wir überrascht." In der Enklave wird davon doppelt soviel wie auf dem Festland konsumiert. „Koks ist hier sehr leicht und billig zu haben“, behauptet Yussef, der als Kurier täglich zwischen Tanger und der Steueroase Ceuta hin und her pendelt.

Der Marokkaner gibt für seine Landsleute dort Toto- oder Lottoscheine ab, nimmt Elektrogeräte oder Parfüms mit. Zum Service gehören auch Drogen, wobei Kokain ganz oben auf Wunschliste seiner Kunden steht. Probleme an der Grenze habe er keine. „Da kennt man mich und mit ein bisschen Bakschisch ist alles geregelt“, erklärt der 32-jährige Familienvater, der früher als Elektriker in einer Firma arbeitete und mit seinem neuen Job wesentlich mehr Geld verdient. Der Stoff käme per Schiff, aber auch in Autos versteckt über den Grenzübergang mit Marokko. „Wenn man Immigranten und Haschisch nach Ceuta einschmuggeln kann, dann geht das auch mit Kokain“, meint er lapidar.

Für Winfred, den nigerianischen Immigranten in Tanger, wäre Yussef ein idealer Geschäftspartner. Mit ihm würde er wahrscheinlich sehr schnell einen 500-Grammbeutel nach dem anderen verkaufen, die bei ihm zuhause angeblich herumliegen. Aber Yussef macht mit Schwarzafrikanern grundsätzlich keine derartigen Geschäfte. „Das Risiko ist zu hoch“, erklärt der Vater zweier Kinder. „Bei denen weiß man nie, ob sie nicht mit der Polizei zusammenarbeiten, ob freiwillig oder gezwungenermaßen.“

Außerdem würde er ihrem Koks nicht trauen. Seine Leute, die schon jahrelang Haschisch verkauften, bekämen den Stoff direkt von den Südamerikanern. „Die Immigranten dagegen“, sagt Yussef mit abwertender Geste, „bekommen es von den Schwarzen da unten.“ Genauer gesagt von kriminellen Banden aus Nigeria oder Ghana, wie es im UN-Drogenbericht von 2008 heißt, die für die Kartelle aus Lateinamerika bei der Löschung der Ladung, Lagerung und Weiterverarbeitung in Labors organisieren.

„Die Westafrikaner werden für ihre Dienste mit Drogen bezahlt, die sie über eigene Netzwerke nach Europa bringen.“ Netzwerke, die dafür die illegalen Immigrationsrouten nutzen, auf denen auch Winfred und all die anderen Schwarzafrikaner kamen, die sich an diesem Samstagvormittag auf dem Flohmarkt im Hof der St. Andres Kirche in Tanger getroffen haben.