Fakten zählen nicht

Die Diskussion um die "Sperren gegen Kinderpornographie" wird weiterhin mit unbewiesenen und wenig wahrscheinlichen Behauptungen geführt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es ist eigentlich keine Neuigkeit, dass die Apologeten der "Netzsperren gegen Kinderpornographie" weder durch übertriebene Sachkenntnis noch durch vehementes Klammern an die Realität glänzen. Ob die Bundesfamilienministerin Indien als Land ohne Regelungen zur Kinderpornographie bezeichnet oder die erhöhten Ermittlungszahlen als Anstieg der Straffälle weiter über die offiziellen FAQs zu den Websperren kolportiert - sie zeigt (wie so manch anderer Politiker) damit schlichtweg, dass Fakten in der politischen Auseinandersetzung nicht zählen.

Der Iran ist schuld

Hierbei sprang ihr der auch sonst nicht um einfache Begründungen verlegene BKA-Chef Jörg Ziercke zur Seite. Für ihn sind es nicht Indien oder Kasachstan, sondern nunmehr der Iran und China, die als Vorzeige-Pro-Kinderporno-Länder dienen müssen. Auch hier sind die Fakten (Im Iran steht auf Pornographie unter Umständen die Todesstrafe) unbedeutend, wenn doch emotionales Störfeuer reicht, um die Sympathien auf die eigene Seite zu ziehen.

Es wäre zur Bewertung des Themengebietes Iran und Kinderpornographie durchaus essentiell, zu erfahren, wie viele der vom BKA beanstandeten Seiten denn im Iran gehostet werden und wie viele Versuche seitens der Behörde, die Seiten löschen zu lassen, nicht erfolgreich waren. Aber auch hinsichtlich der anderen von den Netzsperrenbefürwortern ins Feld geführten Ländern und Behauptungen stellen sich solche Fragen. Wie viele der angeblich 30 bis 40 Staaten haben z.B. allgemeine Regelungen gegen Pornographie, so dass es keine expliziten gegen Kinderpornographie geben muss? Und wie viele der betreffenden Seiten werden von diesen Ländern aus ins Netz gestellt? Antworten auf diese Fragen wären auch angesichts der Tatsache bedeutsam, dass auf den bisher veröffentlichten Sperrlisten vor allem in den USA und Europa gehostete Sites auftauchten und Vorwürfe gegen als "Kinderporno-Schurkenstaaten" diffamierte Länder wie Indien schnell zurückgenommen werden mussten.

Offen blieb bisher auch eine Antwort auf die Frage, wie der BKA-Chef dazu steht, dass in anderen Ländern Webseiten, die sich kritisch mit der Thematik auseinandersetzen und beispielsweise die "Schwarzen Listen" veröffentlichen, ebenfalls gesperrt werden. Indem Ziercke Kinderpornographie ganz anders als im Strafgesetzbuch definiert, nämlich als Dokumentation sexueller Gewalt an Kindern, reduziert er die Diskussion um Aspekte, die in dieser Diskussion jedoch gerade auch hinsichtlich der Freiheit der Kunst und der Meinung wichtig sind. Er stellt die Opfer in den Vordergrund, ohne jedoch darauf einzugehen, dass Kinderpornographie im Sinne des StGB durchaus eine opferlose Straftat sein kann. Ziercke nutzt diesen rhetorischen Kniff, um dann nahtlos zur Verhältnismäßigkeit der ergriffenen Maßnahmen überzugehen. So wird die Frage der Verhältnismäßigkeit, die der BKA-Chef vermeintlich berücksichtigt, zur Finte, um von der tatsächlichen Verhältnismäßigkeit abzulenken.

Wir dürfen nicht telefonieren

Ziercke zufolge hat das BKA keine Befugnis, bei ausländischen Providern anzurufen und eine Löschung der Seiten zu verlangen, bei denen es um Kinderpornographie geht. "Ich kann nicht in Togo, Sierra Leone, China oder Iran einfach anrufen lassen und ein Löschen beantragen", so der BKA-Chef während einer Veranstaltung zum Thema Netzsperren. Ein bloßes Melden eines Straftatbestandes ist jedoch keine exekutive Handlung, sie kann von jedermann vorgenommen werden. Und gibt es tatsächlich eine Dienstanweisung, die es dem BKA unmöglich macht, sich an ausländische Provider mit der Bitte um Löschung einer Webseite zu wenden, so stellt sich die Frage, warum sie nicht geändert werden kann, sondern stattdessen ein Stoppschild-Gesetz auf den Weg gebracht werden muss.