Township

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Mit "District 9" startet ein überaus populärer Science-Fiction-Film in Deutschland, der seine Erzählung als Fabel über Integration und ethnische Konflikte kodiert

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Ein riesiges Raumschiff schwebt über dem südafrikanischen Johannisburg – und das schon seit 20 Jahren. Mit ihm sind Außerirdische auf die Erde gekommen – oder besser: auf ihr gestrandet – die von den Menschen zunächst mit Neugier begrüßt, dann jedoch wegen ihres abstoßenden Aussehens und Verhaltens aus der Gesellschaft ausgegrenzt, in einen eigenen Stadtteil von Johannisburg verfrachtet und verächtlich „Prawns“, also „Garnelen“ genannt wurden. Sie hausen nun in einer Millionen-Population in einem Township aus Bretterbuden – über ihnen am Himmel ihr Mutterschiff, in das sie nicht zurückkehren können, weil ihnen jegliche Benutzung von Technologie verboten ist.

Weil sich die Einwohner von Johannisburg zusehends von den Außerirdischen bedroht fühlen, in deren Gebiet sich zudem eine schwer bewaffnete menschliche Mafia-Clique angesiedelt hat um das bei Aliens unglaublich beliebte Katzenfutter gegen deren Technologien zu tauschen, entschließt die Organisation MNU (Multi National United) die Umsiedlung der Aliens in ein weiter entfernt gelegenes Zeltlager. Als Leiter der Umsiedlung wird der MNU-Mitarbeiter Wikus van de Merwe gewählt – ein etwas trottelig, aber gutmütig wirkender Mann, der sich mit der Sprache und den Gewohnheiten der „Prawns“ gut auskennt.

Beim Verteilen der Räumungsbescheide an die Außerirdischen kommt es jedoch zu einem Vorfall: Wikus wird mit einer Flüssigkeit bespritzt, die die Aliens über Jahre hinweg aus dem Schrott ihrer Technologien zusammengesammelt hatten und mit deren Hilfe sie ihre Situation verbessern wollten. Der Stoff verwandelt Wikus nach und nach in eines der Aliens, was ihn für verschiedene Parteien sehr begehrt macht. Denn nur die Aliens können ihre mit genetischem Fingerabdruck geschützten Waffen benutzen, die denen der Menschen weit überlegen sind. Zudem steht Wikus nun auch den neuen Reiseplänen der Außerirdischen im Weg und wird so zum „most valual business artifact on earth“.

Von Soweto nach Palästina in die Diaspora

Allein schon die Wahl des Handlungsortes von „District 9“ lässt keine Zweifel über die mögliche politisch-kritische Lesart des Films. Johannisburg, dessen Townships aufgrund der Apartheidsgesetze im vergangenen Jahrhundert so stark angewachsen waren, dass sie – wie SoWeTo – zu eigenen Städten wurden, als Handlungsschauplatz zu wählen und dort ein abgeriegeltes Slum für die Aliens einzurichten, spricht Bände. Damit dieses Setting nicht nur historisch, sondern auch aktuell gelesen werden kann, baut Soundtrack-Komponist Neill Blomkamp vorsichtshalber orientalisch anmutende Gesänge in seinen ansonsten stark rhythmisierten Soundtrack ein. Der kritische Blick geht also auch und vor allem nach Osten und scheint die Situation der Palästinenser in Israel in den Fokus zu nehmen.

Die Siedlungspolitik, das immer wieder beschworene Bedrohungspotenzial des Terrorismus (in „District 9“ geht man bei jedem Vorfall, der von der Routine abweicht, gleich von „Terroranschlägen“ aus) und die misstrauische Behandlung der Aliens als Lebewesen zweiter Klasse, prolongieren den Konflikt im Nahen Osten in eine mögliche Zukunft, in der „zero tollerance“ herrscht. Dass Wikus gegenüber einem der Aliens, als er auf dessen Hilfe angewiesen ist, die Karten auf den Tisch legt und die neue Siedlung als „Concentration Camp“ bezeichnet sowie die spätere Entdeckung eines Labors, in dem mit den Außerirdischen medizinische Experimente angestellt werden, machen dies überdeutlich. Fraglich ist, warum man die Außerirdischen nicht abziehen lässt, nachdem sie schon nicht (mehr) willkommen sind. Ist es – wie man im Trailer des Films erfährt – das Interesse an ihrer Waffen-Technologie? Sind sie deshalb Geiseln? Es ist nicht die einzige narrative Lücke im Film.

Hollywood-Politik mit dem Medien-Hammer

Besonders subtil sind diese Erkenntnisse nicht und sie aus dem Film „heraus zu interpretieren“ kommt schon beinahe einer Rekapitulation der Story gleich. Auf die mögliche Faktizität des Gezeigten soll in „District 9“ überdies die Inszenierung hinweisen. Der Film beginnt mit einem Zusammenschnitt von „historischem“ Archivmaterial, das die Ankunft des Alien-Mutterschiffs zeigt, verschiedenen Nachrichtensendungen und Reportagen sowie Interviews mit Soziologen, Verhaltensforschern und dem neuen Umsiedlungskoordinator Wikus van de Merwe. Als dieser Prolog vorüber ist, verzichtet der Film auch nicht auf den Einsatz von Handkamera und anderen authentisierenden Stilistiken, wie Untertiteleinblendungen und Newsflash-Einsprengseln.

Und dennoch kippt das ästhetische Konzept von „District 9“ in dem Maße, wie der Film seinen Plot vorantreiben will. Es gelingt ihm nicht, die Authentizitätssuggestion mit seiner Story zu verbinden – wie es etwa die als Vorlage anzusehenden Filme „Cloverfield“ oder „Rec“ noch problemlos beherrschten. Die Tatsache, dass vom spanischen Horrorfilm „Rec“ kurze Zeit später ein Hollywood-Remake erschienen ist, spricht nicht nur für den unbedingten Willen Hollywoods, fremde Stoffe einer eigen-kulturellen Lesart zu unterziehen, sondern auch dafür, dass dessen Ästhetik „gebändigt“ werden musste. An „District 9“ kann man sehen, wie dieser Prozess weiter verläuft: Die „normale“ Spielfilm-Optik drängt sich in die eher kritische Medien-Polemik und bricht damit auch deren politischen Stachel. Wenn „District 9“ an seinem Finale angekommen, ist er zu einem banalen Hollywood-Science-Fiction-Film geworden.

Business Artifact

Das Ende von „District 9“ kann man als „happy“ sehen – oder als Ausblick auf einen zweiten Teil. Auch das ist ein Ergebnis des ästhetischen Wechsels, der innerhalb des Films stattfindet und die Marketing-Kampagne der Peter-Jackson-Produktion deutet schon darauf hin, dass der Film ein enormes Business-Vehikel ist. Die Rechnung ist aufgegangen enthält bei genauerem Hinsehen jedoch buchhalterische Lücken: Die zahlreichen Plot-Holes, die angerissenen aber nicht ausgeführten Motive und Handlungswidersprüche, die für einen authentisierten Science Fiction noch fruchtbar waren (weil in Wirklichkeit nichts zu Ende erklärt wird), stehen dem Hollywood-Vehikel, zu dem „District 9“ wird im Wege. Also noch einmal: Warum lassen die Menschen die Aliens, derer sie überdrüssig geworden sind, nicht abziehen? Was hat es mit der seltsamen Flüssigkeit auf sich, die 20 Jahre lang gesammelt werden musste, aber offenbar auf jedem Schotthaufen zu finden ist? Wieso endet der Film derartig offen und – gemäß seiner eigenen „Wir wollen nach Hause“-Prämisse – inkonsequent? Diese und andere Fragen soll dann sicherlich die Fortsetzung klären ...