Stolpern durch Ruinen

Wirtschaftsminister Guttenberg ist das ideologische Hinterland abhanden gekommen

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Es war der heißeste August-Tag des Jahres, als unter den Klängen des bayerischen Defiliermarsches Karl-Theodor zu Guttenberg, seines Zeichens Bundeswirtschaftsminister, von gut 2000 Anwesenden beklatscht jüngst in den großen Saal des Löwenbräukellers am Münchner Stiglmaierplatz einzog. „Er orderte kühles Bier, krempelte die Ärmel hoch und predigte Optimismus“, schrieb die SZ. Der adelige CSU-Politiker, der den bürgerlichen Michael Glos (Beruf: Müllermeister) als Minister beerbt hatte, glänzte bislang vor allem durch seine Medienpräsenz, der „Stern“ etwa widmete ihm („frisches Gesicht mit dem markanten Kinn“) eine ganze Farbstrecke.

Doch so mancher Neugierige zeigte sich nach der eineinhalbstündigen Rede des „Shooting Stars“ enttäuscht, vermisste konkrete Rezepte zur Meisterung der Krise, das Verbreiten von Optimismus alleine schien zu wenig. Das „Konkrete“ aber ist genau das Problem des Wirtschaftsministers. Denn der mediale Hype um den Adelspross verdeckt eines: Jetzt, wo die neoliberale Wirtschaftsideologie auf Grund gelaufen ist, steht die Union in dieser Hinsicht nackt dar, propagierte sie doch seit mehr als 20 Jahren das Hohelied von Staatsabbau und Deregulierung.

Wer zum Beispiel soziologische Feldforschung in einem neoliberal geprägten Milieu mit ausgeprägter Tendenz zur Vertretung der eigenen Interessen betreiben wollte, konnte dies 2008 beim Mittelstandstag der bayerischen Staatsregierung tun. Derartige Veranstaltungen liefen bis zur Krise im weißblauen Freistaat nach einem tief verinnerlichten Grundmuster ab, das durch die ständige Wiederholung an das Beten eines Rosenkranzes erinnerte. Erst trat der bayerische Ministerpräsident auf und sagte, Bayern ist die Nummer Eins. Dann kam eine Moderatorin des Bayerischen Rundfunks und war fröhlich. Dann trat die bayerische Wirtschaftsministerin an das Rednerpult und sagte, Bayern ist die Nummer Eins. Wieder die fröhliche Moderatorin. Anschließend sprach ein Mensch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln und sagte, Bayern ist die Nummer Eins. Dann sagte die Moderatorin, wie schwer es doch der Mittelstand hat und der anwesende Mittelstand klatschte. Danach gab es das Mittagsbuffet.

Was man auf solchen Veranstaltungen studieren konnte, war die Verschmelzung von Wirtschaft, Politik und Medienmacht. Es war eine ideologisch geschlossene Gesellschaft, und wenn man nach Gründen für die Hegemonie des Neoliberalismus suchte, fand man sie hier in Form von Netzwerken. Wenn der damalige Ministerpräsident Günther Beckstein vor den Mittelständlern sprach, merkte man zunächst, hier war er zuhause. Mittelstand und CSU, das war Fleisch vom Fleische eines gemeinsamen wirtschaftlichen Glaubensbekenntnisses. Darin war die Erbschaftssteuer ebenso böse wie die Senkung von „Lohnnebenkosten“ gut, darin muss man „ausbildungsunwilligen Bürschchen“ eben Tugenden wie Pünktlichkeit und Disziplin beibringen, wie man „Eliten als Lokomotiven der Zukunft“ brauchte.

Derartige Botschaften standen im Gleichklang mit den Botschaften, die von den anwesenden Wirtschaftsverbänden verbreitet wurden. Man konnte sogar den Eindruck gewinnen, das bayerische Wirtschaftsministerium sei eine Agentur oder ein Ausführungsorgan der bayerischen Wirtschaftsverbände - halt nur vom Steuerzahler bezahlt. Wenn das Ministerium eine Broschüre über seine Mittelstandspolitik herausgab, dann deckten sich deren Inhalte nahezu vollständig mit den Forderungen der Wirtschaft. Wenn sich die Politik des Ministeriums einsetzte für die „Reform der sozialen Sicherungssysteme durch Stärkung der Eigenverantwortung“, dann war das die Politik, die der Gesamtarbeitgeberverband Metall vertrat.

Das geht heute nicht mehr ohne einen gewissen ideologischen Bruch. Jetzt recycelt die CSU in ihren Wahlkampfslogans die „soziale Marktwirtschaft“ und will wieder „Regeln“ für die Wirtschaft, um Gier und Verantwortungslosigkeit zurückzudrängen. Damit aber steht sie wie die ganze Union vor der Quadratur des Kreises. Vor dem Wähler kann sie nicht mehr ohne Verluste die bisherige ideologische Wirtschaftspolitik der „Reformen“ fortführen, vor den Interessensverbänden der Wirtschaft aber auch keine völlige Kehrtwendung vollziehen, andererseits halten Teile der Wirtschaft weit die Hand auf.

Greifbar wird diese Zwickmühle angesichts des Pendelns zwischen dem Staatsinterventionismus bei der Rettung von Banken und Firmen und dem bisher geltenden Glaubensatz der Marktradikalen, dass dies Teufelszeug sei. Dies zeigt sich auch mit ernsthaften Spannungen innerhalb der bayerischen Staatsregierung zwischen CSU und FDP. Wo Ministerpräsident Horst Seehofer „Quelle“ und die dortigen Arbeitsplätze zur Chefsache erklärt, lehnt der liberale Wirtschaftsminister Martin Zeil dies ab und derartige unterschiedliche Position und Konflikte lassen sich auch auf Bundesebene bei einer möglichen schwarz-gelben Koalition prognostizieren. Wenn dann noch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CSU) erklärt, das Eingreifen des Staates sei nur solange nötig, bis die Wirtschaft wieder „genesen“ sei, dann wird endgültig klar, es existiert kein geschlossenes Wirtschaftskonzept nach der Krise. Mehr noch, die Wirtschaftswissenschaft als Legitimationsinstanz der Wirtschaftspolitik ist selbst in einer fundamentalen Krise.

„Letztlich lässt sich die Krise auch verstehen als Widerlegung einiger zentraler Prämissen, auf denen ganze Zweige wirtschaftswissenschaftlicher Modellierung beruhen“, so der Ökonom Thomas Lux von der Universität Kiel. Und der Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugmann spricht gar von nutzloser und schädlicher Wissenschaft.

Bundeswirtschaftsminister Guttenberg steht so in einer Art wirtschaftspolitischen Niemandsland, das von Widersprüchen durchzogen ist. Weil es sehr schwierig ist zu erklären, warum man die eine Bank mit dem Geld der Steuerzahler rettet und das andere Unternehmen nicht, warum die Autobranche mit der Abwrackprämie gehätschelt wird, andere Branchen aber nicht, warum man also ohne Plan durch die Ruinen des Neoliberalismus stolpert, deshalb setzt Guttenberg auf symbolische Politik wie das Aufkrempeln von Hemdsärmeln. Dem Wähler werden politische Gesten statt Konzepte geboten, aber dadurch sind die Gesten hohl. Politik erstarrt so zur Politik-Inszenierung.