Die Wissenschaftstheorie fordert Open Access

Wären Popper und Merton noch unter uns: Sie wären wohl Open-Access-Fans

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Sir Karl Poppers normative Forderung nach dem öffentlichen Charakter der wissenschaftlichen Methoden geht von der Überzeugung aus, dass die anzustrebende "Objektivität" der wissenschaftlichen Methoden nicht individuell zu bewerkstelligen sei, sondern durch öffentliche Kontrolle und Kritik zustande kommt. Robert K. Merton stellte vier Postulate des Wissenschaftsethos auf: Universalismus, Kommunismus, Uneigennützigkeit und organisierter Skeptizismus. Papierjournale gelten vielfach als harter Kern, als Rückgrat der Wissenschaftskommunikation. Ihre Funktionen im Rahmen wissenschaftlicher Kommunikationsprozesse können im Wesentlichen als Kontrolle der Kommunikation beschrieben werden. Die digital gestützte Wissenschaftskommunikation hat gegenüber konventionellen Papierformen etliche Vorteile. Die Zukunft von "Open Access" hängt u.a. davon ab, ob die dargestellten Funktionen konventioneller kostenpflichtiger wissenschaftlicher Papierjournale tatsächlich für den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt unverzichtbar sind; wenn ja, ob sie sich durch innovative digital unterstützte Open- Access-Kommunikationsformen ersetzen lassen.

Eugen Garfield tut es. Szientometriker tun es. Viele Ökonomen tun es. Nicht wenige tun es, aber sie wissen nicht einmal, dass sie es tun. Die Rede ist von Open Access, d.h. vom Bereitstellen wissenschaftlicher Informationen, kosten- und barrierenfrei über das Internet, vorzugsweise im WWW. Warum machen dies Garfield, der Koerfinder des Impact Faktors für Journale (JIF), und die Szientometriker? Warum tun dies Ökonomen, die Evangelisten des Marktes und vehementen Anhänger der Impact Faktoren? Warum vertrauen sie nicht der "unsichtbaren Hand" des Marktes, sondern tun etwas, was ihren Grundüberzeugungen eigentlich entgegensteht? Nämlich "Spenden" in Form von Open Access-Beiträgen?

Open Access - das ist nicht der ideale Markt ökonomischer Theorien, sondern allenfalls Freiwilligenarbeit, ehrenamtliche Tätigkeit, Geschenkökonomie, also der Dritte Sektor der Selbstorganisation. Alles ins Netz stellen, vom kleinsten Beitrag bis zur gesamten Buchreihe, WWW und Mailinglisten (SIGMETRICS) offensiv zu nutzen, ist zwar bis heute die Praxis Garfields (und anderer Freunde der Szientometrie), war aber nicht seine Botschaft an das Wissenschaftlervolk. Die hieß doch stets: Publizieren in (und nur in) Journalen, die von Garfields Kindern, den Zitationsdatenbanken SCI, SSCI bzw. AHCI erfasst sind. Warum also diese Abweichungen von den propagierten offiziösen Wegen? Vor meiner Antwort ein paar (scheinbare) Umwege in die Eiswüsten wissenschaftstheoretischer Abstraktionen.

1. Der öffentliche Charakter wissenschaftlicher Methoden (Popper)

Sir Poppers Forderung nach dem öffentlichen Charakter der wissenschaftlichen Methoden (vgl. Popper 1970, Fröhlich 1999a) steht im Zusammenhang mit seiner Überzeugung, dass ein Einzelner keine Wissenschaft betreiben könne. Kommunikation zwischen Wissenschaftlern sei kein Zusatz, sondern unverzichtbarer Bestandteil aller wissenschaftlichen Methoden. Wozu ist wissenschaftliche Kommunikation notwendig? Ohne öffentliche Darstellung, ohne intersubjektive Kontrolle, ohne Kritik Dritter ist nach Popper eine Untersuchung nicht wissenschaftlich.

Sir Popper zieht zur Verdeutlichung seiner These die Geschichte von Robinson Crusoe heran: Wenn Crusoe auf seiner Insel alles richtig gemacht hätte, bei seinen einsamen (vergessen wir einmal Freitag) Sternenbeobachtungen oder Experimenten, hätten deren Ergebnisse keinen wissenschaftlichen Status beanspruchen können. Denn Robinson hätte seine Forschungen niemand anderem präsentieren können, sie keiner kritischen Prüfung durch Dritte unterziehen, keiner Diskussion aussetzen können, und wäre daher Gefahr gelaufen, seinen einseitigen Vorurteilen zum Opfer zu fallen (Popper 1970, 269f.).

Popper setzt das Wort "Objektivität" ausdrücklich in Gänsefüßchen und betont: Wir können Objektivität nicht von den einzelnen Wissenschaftlern erwarten; die einzelnen Wissenschaftler sind irrational, besessen, sie sind, so möchte ich hinzufügen, in ihre Begriffe, Theorien, Modelle, Methoden, Ergebnisse verliebt, sie sind ihnen Ehepartner, Kinder und Geliebte zugleich: Popper zufolge ist der Ausdruck "Wahrheitsliebe" keine Metapher, sondern wortwörtlich zu nehmen. Wir können Popper zufolge die Wissenschaftler ihres emotionalen Hintergrunds nicht berauben, sonst würden sie nicht mehr allzu produktiv sein (es erfordert schon ein gehöriges Maß an Besessenheit, so meine ich, um wie Marie Curie gegen jede Menge Widerstände in Kellerlöchern in Schlamm herumzuwühlen, monate-, ja jahrelang, um wissenschaftlich kühne Vermutungen zu belegen - sogar die Hochzeitsreise per Fahrrad soll sie als Störung der Laborarbeit angesehen haben). Darum werden wohl die heute von Hardlinern der Evaluation und ministeriellen Richtlinien gezüchteten neuen karriereglatten und anpassungsgeschmeidigen WissenschaftlerInnen, die nur mehr auf effizientes Erwirtschaften maximaler Journal-Impact-Faktor-Punkte und Drittmittel schielen, nur wenig echt Innovatives oder gar wissenschaftlich Revolutionäres hervorbringen, so fürchte nicht nur ich.

Zurück zu Popper: Die "Objektivität" der Wissenschaften, der wissenschaftlichen Methoden, ist also nicht individuell zu bewerkstelligen, sondern sie kommt zustande durch öffentliche Kontrolle und Kritik, inklusive halbwegs gelungener Kommunikation (d.h. im Bemühen, "nicht aneinander vorbeizureden", ebd., 267) - denn die potentiell falsifizierenden Befunde sollten natürlich die betreffende Theorie erreichen, und umgekehrt: "Die Wissenschaft, und insbesondere der wissenschaftliche Fortschritt, ist nicht das Ergebnis isolierter Leistungen, sondern der freien Konkurrenz der Gedanken." (Popper 1987, 121) "Wissenschaftliche Objektivität" beruhe "in gewissem Maße auf sozialen Institutionen", die Demokratie müsse die Gedankenfreiheit garantieren. Dabei stellt Popper (1997) auch die Frage nach "Zensur und Monopole der Medien": "Wieweit erzeugen Verlegermonopole eine Art von Zensur? Wieweit können Denker ihre Ideen frei veröffentlichen?" (ebd., 513)