"Der Verdacht, der auf dem Rechtsstaat lagert, ist schlimm"

Wolfgang Bosbach, stellvertretender Unionsvize, verlangt die Freigabe der Buback-Akten, um das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht zu schädigen

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Sie haben gestern die Freigabe von Akten im Mordfall Buback gefordert, die 2008 durch den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gesperrt wurden. Warum?

Wolfgang Bosbach: Ich habe gefordert, dass der Bundesinnenminister prüft, ob noch ein Geheimhaltungsinteresse besteht, was die gesperrten Akten angeht, denn der Rechtsstaat, insbesondere aber die Hinterbliebenen der Ermordeten, können es nicht hinnehmen, dass ein derartiges Tatgeschehen nicht restlos aufgeklärt wird.

Die Akten, über die wir sprechen, wurden 2008 nach Paragraph 96 der Strafprozessordnung gesperrt. Die Herausgabe von Akten darf demnach nicht gefordert werden, wenn die „oberste Dienstbehörde erklärt, dass das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde“. Was haben denn Akten über Verena Becker mit dem Wohl des Landes zu tun? Wieso wurden die Akten gesperrt?

Wolfgang Bosbach: Diese Fragen kann nur derjenige beantworten, der den Akteninhalt kennt. Wer den Akteninhalt nicht kennt, kann nicht beurteilen, ob die gesetzlichen Vorraussetzungen für eine Sperrung vorliegen oder nicht. Ich weiß nur eins: Es geht hier um einen dreifachen Mord und bis zur Stunde ist nicht klar, wie der Tathergang genau war und wer die tödlichen Schüsse abgegeben hat. Für eine Geheimhaltung der Akten bedarf es schon alles überragende Gründe.

Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass im Mordfall Buback so zögerlich gegen Verena Becker ermittelt wurde? Erst nachdem Ex-RAF-Mann Peter-Jürgen Boock sich mit Michael Buback 2007 in Verbindung gesetzt und mit ihm über den Mord an seinem Vater gesprochen hat, kam Bewegung von Seiten der Behörden ins Spiel.

Wolfgang Bosbach: Die Ermittlungen gegen Verena Becker von 1977-1980 konnten ihr keine Tatbeteiligung nachweisen. Es ist nur sinnvoll, eine Anklage zu erheben, wenn man nach dem Ermittlungsstand davon ausgehen kann, dass auch eine Verurteilung erfolgt. Heute haben wir neue Ermittlungsmöglichkeiten mit denen wir Spuren anders auswerten können. Becker wurde ja wegen versuchtem 6-fachen Mordes verurteilt, aber eben nicht im Mordfall Buback. Für die strafrechtliche Würdigung des Tatgeschehens war nicht entscheidend, wer welchen Tatbeitrag geleistet hat, sondern ob die Personen, die der Tat verdächtigt wurden, überhaupt an ihr beteiligt waren, also unabhängig von ihrem exakten Tatbeitrag. Wenn einer ein Motorrad fährt, von dessen Soziussitz Menschen erschossen werden, dann hat sich selbstverständlich nicht nur der Schütze, sondern auch der Fahrer schuldig gemacht.

Aber die Hinterbliebenen wollen Näheres wissen, sie wollen den genauen Tathergang kennen, sie wollen insbesondere wissen, wer die Schüsse abgegeben hat. Ich glaube, dass Michael Bubacks Bedenken vor allem darauf beruhen, dass Verena Becker sich gegenüber dem Verfassungsschutz geäußert hat. Er möchte wissen, was wurde damals gesprochen und hat es gar von Seiten des Verfassungsschutzes Zusagen an Becker gegeben.

Ihnen ist bekannt. dass einer der zentralen Vorwürfe, die den Fall Buback umgeben, soweit geht, eine Tatbeteiligung des Staates mit in Betracht zu ziehen...

Wolfgang Bosbach: …das ist der schlimmste Vorwurf, den man einem Staat machen kann.

Aus Unterlagen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) geht hervor, dass Becker „seit 1972 von westdeutschen Abwehrorganen wegen der Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppierungen bearbeitet bzw. unter Kontrolle gehalten wird“. Becker hatte demnach nicht erst, wie immer wieder in den Medien berichtet, seit ihrer Inhaftierung von 1980 Kontakt zum Verfassungsschutz, sondern schon weitaus früher, also noch in ihrer aktiven Zeit als Terroristin.

Wolfgang Bosbach: Das gilt es zu prüfen, allerdings kann man daraus noch nicht automatisch ableiten, dass Becker auch die tödlichen Schüsse auf Buback und seine Begleiter abgefeuert hat.

Aber alleine die Vermutung, dass Becker schon seit 1972 Kontakt zum Verfassungsschutz hatte….

Wolfgang Bosbach: ...das ist ja richtig. Der Vorwurf ist derart massiv, alleine schon der Verdacht, der sich aus dieser Sachlage ergibt und auf dem Rechtsstaat lagert, ist schlimm genug.

Sie sprechen vom „Rechtsstaat“. Was soll der Rechtsstaat in dieser Angelegenheit tun?

Wolfgang Bosbach: Der Rechtsstaat muss unverzüglich diesen Verdacht aus der Welt räumen. Es wäre ein absoluter Alptraum, wenn sich herausstellen würde, dass der Staat selber Probleme bekommen könnte, wenn er den Dreifach-Mord bedingungslos aufklärt.

Im schlimmsten Fall müsste man bei dem Verbrechen von Staatsterrorismus sprechen. Im Kontext der geheimen Armeen der Nato, also den so genannten Stay-Behind-Strukturen, haben womöglich demokratische Staaten Terroranschläge im eigenen Land durchgeführt, um bestimmte politische Ziele zu erreichen. Es sei beispielsweise nur an den Anschlag auf den Bahnhof von Bologna erinnert, der nicht, wie damals behauptet wurde, von den Roten Brigaden, sondern wahrscheinlich von hochgradig kriminellen Elementen des Gladio-Netzwerkes in Italien verübt wurde (Inszenierter Terror). Können Sie sich vorstellen, dass demokratische Staaten selbst Anschläge im eigenen Land verüben?

Wolfgang Bosbach: Für Deutschland kann ich mir das nicht vorstellen. Über andere Staaten möchte ich mich diesbezüglich nicht äußern.

Wie wird es im Fall Buback weitergehen?

Wolfgang Bosbach: Ich wünsche mir mehr Offenheit, denn alleine der Verdacht, der im Raum gegen den Rechtsstaat steht, ist so schwerwiegend, das er das notwendige Vertrauen der Bürger zu ihm belastet. Wenn der Bürger das Gefühl bekommt, der Staat hat kein ausreichendes Interesse daran, einen dreifachen Mord aufzuklären, dann bleibt ein Verdacht gegenüber dem Rechtsstaat hängen. Im Fall Buback muss sehr sorgfältig geprüft werden, ob die staatlichen Interessen für eine Geheimhaltung der Akten gewichtiger sind, als die Aufklärung des Verbrechens.

Haben Sie mit Michael Buback mal persönlich gesprochen?

Wolfgang Bosbach: Ja, vor einiger Zeit habe ich mit Michael Buback in einer Fernsehsendung des WDR gesprochen. Nach der Sendung haben wir auch unter vier Augen gesprochen. Mein Eindruck ist, dass es Michael Buback nicht um den strafrechtlichen Aspekt geht, er will keine Rache. Er möchte wissen, wer seinen Vater erschossen hat und dafür habe ich Verständnis.