Abmahndafé

Ein Musikfan zerstört seine Iron-Maiden-Sammlung und spendet der Piratenpartei ein Anwaltshonorar

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Früher sah man Musiktonträger häufig als eine Art Investition - nun scheint das Risiko bei der Veräußerung teilweise größer als der Wiederverkaufswert: Der wegen des Verkaufs einer alten Iron-Maiden-CD abgemahnte Hood.de-Nutzer aus Ettlingen, über den Telepolis in der letzten Woche berichtete, zertrümmerte am Wochenende nicht nur die abgemahnte CD, sondern auch den Rest seiner Iron-Maiden-Sammlung - "um sicher zu stellen, dass sich unter den vermeintlich originalen CDs nicht wieder ein Bootleg befindet". Dann schickte er sie dem abmahnenden Anwalt nach Hamburg. Gleichzeitig bezahlte er "ohne die Anerkennung einer Rechtspflicht" die geforderte Gebühr, überwies aber, den gleichen Betrag auch an die Piratenpartei, weil er im Abmahnwesen "dringenden Handlungsbedarf und wenig Bewegung bei den etablierten Parteien" sieht.

Besonders schwer nachvollziehbar war für ihn, dass der abmahnende Anwalt ohne finanzielle Folgen eine viel zu kurze Frist setzen und ein "völlig unpassendes Urteil" nennen konnte, während er als Nichtjurist für Verstöße gegen seiner Ansicht nach nicht einmal erahnbare Pflichten kräftig zur Kasse gebeten wird.

Zu Ärger des Ettlingers trug auch bei, dass sich Iron Maiden lange als fanfreundlicheres Gegenstück zu Metallica stilisiert hatten. Laut.de zufolge rief beispielsweise der Sänger Bruce Dickinson bei einem Konzert im Osloer Spectrum 17.000 Fans dazu auf, einen Song aus dem damals noch unveröffentlichten Album Dance Of Death mitzuschneiden und zu verbreiten: "Wir sind nicht Metallica [...] holt eure Digital-Rekorder, MP3-Player oder Handys raus und stellt ihn ins Internet".

Der Anwalt und die Rechteinhaberindustrie versuchten der Empörung, die sich nach dem Bekanntwerden der Abmahnung Bahn brach, dadurch zu begegnen, dass sie in gefälligen Medien lancierten, die Meldung würde "verschleiern", dass es sich bei der abgemahnten CD um einen "Bootleg" gehandelt habe (obwohl dieser Begriff im Text sogar ausdrücklich vorkam). Die nachgeschobene Darstellung des Anwalts suggeriert jedoch, dass für den Anbieter beim Kauf des Tonträgers erkennbar gewesen sei, dass sich dieser aus rechtlichen Gründen nicht zum Wiederverkauf eignen könnte. Doch war die CD auch schon Mitte der 1990er, als sie der Abgemahnte kaufte, ein "Bootleg"? Und wenn ja, warum durfte sie dann in deutschen Elektrogroßmärkten legal verkauft werden?

Dass sie in den 1990er Jahren "in größeren Stückzahlen" verkauft wurde, gab der abmahnende Anwalt unter anderem in einem Leserbrief an das Rock Hard zu. Tatsächlich wird als Grundlage der Abmahnung eine nicht näher spezifizierte Rechtslageänderung geltend gemacht, welche den Tonträger vom Status des Legalen in den des Illegalen befördert haben soll. Nachprüfen lässt sich so etwas unter anderem deshalb schwer, weil der abgemahnte Musikfan auf den Wunsch nach konkreteren Angaben hin lediglich mit dem Verweis auf "eine Vielzahl gerichtlicher Verfahren für die Iron Maiden Holdings Ltd." beschieden wurde.

Was ein "Bootleg" ist, und was nicht, hängt in jedem Fall nicht nur vom räumlichen, sondern auch vom zeitlichen Standort ab. Allein deshalb ist die Behauptung unsinnig, dass man einen "Bootleg" ohne Spezialwissen als solchen erkennen könnte: Denn selbst wenn irgendwo "Bootleg" draufsteht, wie etwa bei einer Bob-Dylan-Serie, dann kann das ein Tonträger sein, der (zumindest zum jetzigen Zeitpunkt) als so ausreichend lizenziert gilt, dass eine Abmahnung dafür möglicherweise ohne ausreichende Rechtsgrundlage wäre.

Auch handelt es sich bei den aktuell beim Wiederverkauf abgemahnten CDs keineswegs nur um Live-Aufnahmen in schlechter Tonqualität. Vielen Werke, auf denen The Sweet steht, sind beispielsweise Studioaufnahmen, die Brian Connolly, ein Mitglied der Originalbesetzung der Band, unter diesem Namen veröffentlichte. Weil sich jedoch der später in die Band geholte Andrew Scott ein Schutzrecht auf den Namen eintragen ließ, konnte er die Musik Conollys aus dem Verkehr ziehen lassen - was er gemeinsam mit einem Hamburger Rechtsanwalt auch 12 Jahre nach dessen Tod noch macht.

Eine beim britischen Musikverlag Bestdirect erschienene CD von Jose Carreras und Placido Domingo war für den durchschnittlichen Käufer ebenfalls keineswegs als "Bootleg" erkennbar. Hier ließ die Tatsache, dass die Tonträger lange unbehelligt verkauft werden konnten, während man eBay-Nutzer massenhaft abmahnt, in Foren Spekulationen darüber reifen, dass sich das "Melken" einer Vielzahl von Privatverkäufern möglicherweise mehr lohnt, als das Zuschicken einer Unterlassungserklärung an einen oder wenige professionelle Anbieter, die über Rechtsabteilungen verfügen.

Im Fall von Bestdirect ließe sich möglicherweise noch argumentieren, dass die Sänger vom Musikverlag vielleicht nicht das von ihnen verlangte Salär erhielten - auch wenn es unbillig erscheint, dafür arglose Dritte in Anspruch zu nehmen. Für die in den USA und Japan gekauften CDs, welche in Deutschland beim Wiederverkauf abgemahnt werden können, greift jedoch nicht einmal dieses Argument: Sie sind keine Live-Aufnahmen in erkennbar schlechter Tonqualität, sondern ganz regulär erschienene Werke, für welche sowohl Musiker als auch Urheber vertragsgemäß bezahlt wurden. Trotzdem sorgt eine Verbraucherschutzlücke dafür, dass Privatleute im Falle eines Weiterverkaufs weit über den Wert der Objekte hinaus zur Kasse gebeten werden können.

Bei all diesen abgemahnten Tonträgern handelt es sich keineswegs um solche, die als nicht ausreichend lizenziert erkennbar gewesen wären. Echte - also leicht erkennbare - "Bootlegs" tauchen in Internet-Verkaufsplattformen kaum mehr auf, sondern werden stattdessen in relativ "rechtsfreien Räumen" wie Flohmärkten, Plattenbörsen oder Second-Hand-Plattenläden angeboten. Weil im Netz abgemahnte Alben dort angeblich besonders hohe Preise erzielen, weckt die Forderung von Anwälten auf Herausgabe der inkriminierten Scheiben bei den Abgemahnten teilweise ein gewisses Misstrauen, das durch Geständnisse wie dem, dass ein Abmahner selbst "Bootlegs" kaufte, noch verstärkt wird.

Allerdings hätte sich solch ein Geschäft im Falle der abgemahnten Iron-Maiden-CD kaum gelohnt: Das Branchenportal Mediabiz warf dem Ettlinger zwar (in einem vor unrichtigen Behauptungen strotzenden Text) vor, dass er mit dem Tonträger, den er tatsächlich bei Hood.de angeboten hatte, "bei eBay einen Höchstpreis erzielen wollte", verschwieg aber, dass der abmahnende Anwalt ihn für ganze drei Euro ersteigern konnte, weil sich sonst niemand dafür interessierte.

Weil dieser abmahnende Anwalt sowohl gegenüber Telepolis als auch gegenüber dem Spiegel darauf hinwies, dass jemand, der "sicher gehen" wolle, "im Zweifelsfall einfach gar keine alten Iron-Maiden-Produkte verkaufen" solle, vermutet der Ettlinger Heavy-Metal-Fan, dass die Abmahnungen auch dem Zweck dienen könnten, Personen, die ihre alten CDs verkaufen möchten, zu verunsichern, um so das Gebrauchtangebot an legalen Tonträgern zu verknappen, damit potentielle Käufer eher zu Neupressungen greifen, an denen die Band und die Rechteverwerterindustrie nochmals Geld verdienen.