Die neue Form der Mitbestimmung an Unis

Die Ökonomisierung der deutschen Hochschullandschaft schreitet weiter voran. An Stelle der Akademiker haben immer mehr Wirtschaftsvertreter das Wort

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Im Juli 2008 konnten die Gegner der schwarz-gelben Hochschulpolitik im Hessischen Landtag einen Teilerfolg erzielen. Mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linkspartei beschloss das Parlament die Abschaffung der gerade erst eingeführten Studiengebühren. Die Hochschulen sollten die Einnahmeausfälle in Höhe von knapp 100 Millionen Euro pro Jahr aus dem Landeshaushalt ersetzt bekommen. Viel mehr brachte die gefühlte Regierungsmannschaft auf den Oppositionsbänken allerdings nicht zustande, da ihre potenzielle Ministerpräsidentin Andrea Ypsilanti über die eigenen Füße stolperte und der Konkurrenz Neuwahlen und die alleinige Machtübernahme auf dem Silbertablett servierte.

Seitdem steht das Thema Bildungspolitik in Hessen nicht mehr ganz oben auf der Tagesordnung. Auf die Abschaffung der Abschaffung der Studiengebühren wollen CDU und FDP offenbar vorerst verzichten. Der streitbare Wissenschaftsminister Udo Corts (CDU), der für einen Großteil der Studierenden die Reizfigur in sämtlichen Debatten bildete, wurde durch Eva Kühne-Hörmann (CDU) ersetzt, deren bisherige Leistungsbilanz kaum zu politischen Auseinandersetzungen taugt. Ihre Homepage verzeichnet unter dem Menüpunkt „Aktuell“ letzte Einträge im Januar und April 2009. Unter Person erfährt man mehr Wissenswertes über die Ministerin. Die 47-jährige Juristin war offenbar die erste CDU-Landtagsabgeordnete in Hessen, die während der Legislaturperiode ein Kind bekam.

Deregulierung

Die Pionierin in Sachen mandatsgeschützter Familiengründung muss nun allerdings eine Novellierung des Hessischen Hochschulgesetzes durchsetzen, die für eine Wiederbelebung alter Streitthemen sorgen dürfte. Diesmal geht es nicht um Studiengebühren, sondern um Fragen der Hochschulautonomie und studentischen Mitbestimmung, die das Selbstverständnis der Bildungseinrichtungen und das akademische Leben dauerhaft und grundlegend verändern könnten.

Am vergangenen Freitag ließen der SPD-Politiker Gernot Grumbach und die Juso-Hochschulgruppenkoordinatoren Samira Bouchouaf (Südhessen) und Oliver Schmolinski (Nordhessen) die Presse wissen, dass sie mit den kursierenden Entwürfen für ein neues Hochschulgesetz nicht einverstanden sind, weil die Möglichkeit einer demokratischen Mitbestimmung weiter begrenzt oder gänzlich ausgeschaltet werden könne. In der Konsequenz der bisherigen Überlegungen wolle die Landesregierung per Gesetz die Möglichkeit schaffen, die Allgemeinen Studierendenausschüsse abzuschaffen und die externen Hochschulräte weiter zu stärken.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beschäftigt sich bereits seit Monaten intensiv mit den Planungen der Landesregierung und kritisiert viele Einzelregelungen, die in der öffentlichen Debatte kaum zum Tragen kommen. So sieht es die GEW unter anderem als problematisch an, dass die Hochschulen öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Rechtssubjekte aus Haushaltsmitteln gründen oder sich an ihnen beteiligen können. Sie befürchtet einen spürbaren Bedeutungsverlust von Fachbereichen und Dekanen durch die geplante Abschaffung einer eigenständigen Entwicklungsplanung und die Streichung zentraler Mindestanforderungen und Schutzbestimmungen bei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Wir lehnen eine weit reichende Deregulierung in Personalwesen, Organisationsstruktur und Verfasster Studierendenschaft ab. Der Gesetzgeber darf sich nicht seiner politischen Aufgabe und Verantwortung entledigen, für vernünftige Rahmensetzungen und Mindestbedingungen an den Hochschulen zu sorgen. Der vorliegende Gesetzentwurf folgt nicht nur dem eingeschlagenen Pfad der Hierarchisierung und Deregulierung.

Er beseitigt erstmals elementare Mindest- und Schutzvorkehrungen in den Kernbereichen der Tätigkeit und Mitsprache der Beschäftigten und Studierenden an den hessischen Hochschulen. Damitwerden Hochschulmitglieder von mündigen Mitgestaltern zu ausgelieferten Herrschaftsobjekten anderer.

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hessen

Die Wissenschaftsministerin wollte die Vorwürfe vorerst nicht kommentieren, ließ einen „Sprecher“ allerdings mitteilen, dass dieselben vollkommen haltlos seien. Der immer redselige, in diesem Fall aber nicht unmittelbar zuständige Koalitionspartner bemühte sich dagegen um eine ausführlichere Stellungnahme. Die Vorstellung, dass „linke Studenten“ ihrer Beteiligungsrechte beraubt werden, bereitet dem wissenschaftspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag naturgemäß keine schlaflosen Nächte. Wenn die Organe der Verfassten Studentenschaft nicht mehr ausdrücklich erwähnt werden, sondern nur in der dubiosen Formulierung, es könnten „weitere Organe vorgesehen werden“ auftauchen, eröffnet sich für Matthias Büger dagegen ein weites Feld, die Autonomie der Hochschulen weiter voranzutreiben.

Im Unterschied zum SPD-Verständnis gehen wir davon aus, dass sowohl die Hochschulverwaltung als auch die Studierendenschaft die jeweils am besten für sie geeigneten Entscheidungsformen finden. Wenn eine Mehrheit der Studenten es gut finden, ihre Interessen über den Asta vertreten zu lassen, wird es dieses Gremium auch weiter geben. Es ist aber nicht Aufgabe des Gesetzgebers, die Notwendigkeit vorzuschreiben.

Matthias Büger

Im Sinne der Wirtschaft

Auch die Stärkung der Hochschulräte begreift Büger als Chance für die Studierenden und die Hochschule insgesamt.

Was die SPD als Teufels Werk für das Schicksal der Studenten sieht, ist für uns des Landes Beitrag um die Chancen unseres akademischen Nachwuchses nachhaltig zu steigern und die Studienpläne besser mit den Anforderungen an die Absolventen zu vereinbaren.

Matthias Büger

Tatsächlich laufen in Hessen schon seit Jahren Modellprojekte, welche die Ökonomisierung der Hochschullandschaft vorantreiben und abseits der parteipolitischen Diskussionen schwer reversible Fakten schaffen sollen – etwa die Umwandlung der Frankfurter Universität in eine Stiftung oder das sogenannte TUD-Gesetz, das bereits am 1. Januar 2005 in Kraft trat und die Technische Universität zum Musterbild einer modernen, selbstverwalteten Hochschule machen soll. Hier werden dem zehnköpfigen Hochschulrat, der von der Hessischen Landesregierung bestellt wird, während die TU selbst nur fünf Vorschläge unterbreiten darf, weitgehende Befugnisse eingeräumt. Das Gremium verfügt über ein „Initiativrecht zu grundsätzlichen Angelegenheiten“, bestimmt die Struktur-, Entwicklungs- und Bauplanung der Universität, die Bestellung des Präsidiums, entscheidet aber auch bei der Verteilung sämtlicher Ressourcen, Berufungsverfahren und Grundsatzfragen des wissenschaftlichen Nachwuchses mit.

Neben ausgewiesenen Wissenschaftlern sitzen im Gremium derzeit der Chairman ARROW Europe und Geschäftsführende Gesellschafter der F.L.C. GmbH Carlo Giersch, außerdem Jürgen Heraeus, Präsidiumsmitglied im Bundesverband der Deutschen Industrie, Hans Helmut Schetter von der Bilfinger Berger Unternehmensgruppe oder Bernhard Scheuble, Chief Executive Officer des Pharmariesen Merz.

Führende Wirtschaftsvertreter und Lobbyisten aller Art finden sich seit Jahren in sämtlichen Hochschulräten quer durch die Republik (Wirtschaftsvertreter dominieren in Hochschulräten), und es darf sicher davon ausgegangen werden, dass diese Schlüsselpositionen dazu genutzt werden, die strategische Ausrichtung der Hochschulen im Sinne der Wirtschaft zu beeinflussen. Auch wenn die Dinge nicht immer so offen liegen wie an der Philipps-Universität Marburg, wo Brigitte Mohn, heute Aufsichtsratsmitglied der Bertelsmann AG ab 2003 im Hochschulrat saß.

Im Dezember 2004 gab Hessens Ministerpräsident Roland Koch dann bekannt, die Universitätskliniken Gießen und Marburg zu fusionieren und den Betrieb auf einen "privaten Klinikbetreiber" zu übertragen. Dabei handelte es sich um die Rhön-Klinikum AG, in deren Aufsichtsrat man wieder auf den Namen Brigitte Mohn stößt. Ihrer Mutter Liz Mohn wurde übrigens vor wenigen Tagen der Karl Winnacker-Preis des Marburger Universitätsbundes verliehen. Als Laudator fungierte dessen Vorsitzender, der Pharmamanager Uwe Bicker. Er saß mit Tochter Brigitte 2003/04 im Hochschulrat der Philipps-Universität ...

Experimente auf höchster Ebene

Die Besetzung der Hochschulräte bringt mitunter Kuriositäten hervor, welche die Frage nahelegen, ob die Strukturreformen allerorten mit dem notwenigen Ernst betrieben werden, was immerhin das Wenigste wäre, was die Nachwuchs-Akademiker verlangen können.

So sah sich der Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern Mitte August veranlasst, die „Entscheidungseffizienz der Gremien“ der Universität Rostock einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Medienberichten zufolge soll die Moderatorin Sabine Christiansen in ein entsprechendes Gremium bestellt, zu den Ratssitzungen aber nicht vor Ort gewesen sein. Immerhin besuchte Christiansen die Rostocker Uni, um einen Vortrag zum Thema „Soziale Marktwirtschaft auf dem Prüfstand – zur Ethik des Unternehmertums“ zu halten und den Zuhörern mitzuteilen, dass eine Ethiknorm für Europa eine Ausgeburt der Bürokratie“ sei.

In Münster hat Thomas Middelhoff im Hochschulrat der Westfälischen Wilhelm-Universität Platz genommen. Gegen den Vorzeigemanager, der neben der Bertelsmann AG unter anderem auch die KarstadtQuelle AG beziehungsweise Arcandor AG führte, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue. Der örtliche AStA-Vorsitzende Jochen Hesping forderte deshalb im Juni den Rücktritt des Ratsmitgliedes.

Die Karstadt-Mitarbeiter/innen wissen, was sie von Middelhoffs Sanierungsplänen hatten. Die Studierenden sind nicht daran interessiert, ähnliche Erfahrungen in Bezug auf die Hochschulreform zu machen.

Jochen Hesping

Doch der Hochschulrat wurde erst 2008 in nicht-öffentlicher Sitzung durch den Senat der Universität gewählt, und das Kontrollgremium unterliegt – trotz seiner umfangreichen Befugnisse – seinerseits keiner demokratisch legitimierten Kontrolle. Die Mitbestimmung ist Realität geworden – allerdings nicht für die Studierenden, sondern für externe Berater, sogenannte Wirtschaftsfachleute und vermeintliche Experten aller Art. Entsprechend folgern die AStA-Vertreter, die eigentliche Aufgabe des Rates bestehe darin “die Studierenden aus der Mitbestimmung zu verdrängen“.

Hans-Uwe Erichsen, stellvertretender Vorsitzender des Hochschulrates in Münster, klingt denn auch nicht übertrieben glücklich, wenn er über das Gremium, in dem er selbst vertreten ist, öffentlich Auskünfte geben soll. „Eine Uni ist keine Firma“, meinte der ehemalige Präsident der deutschen und europäischen Hochschulrektorenkonferenz in einem Interview. Deshalb sei es möglicherweise ein Irrtum zu glauben, „durch die Berufung möglichst vieler Wirtschaftsvertreter schnell auf Erfolgskurs zu kommen“. Gleichwohl zweifelt Erichsen daran, dass die Reformer des deutschen Bildungssystems aus den zahllosen Fehlentwicklungen die richtigen Schlüsse ziehen werden.

Ich betrachte die Hochschulräte als Experiment. Es sieht im Augenblick aber nicht so aus, als würde die Politik darauf verzichten wollen.

Hans-Uwe Erichsen

Der Begriff „die Politik“ bezieht sich in diesem Fall zweifellos auf alle im hochschulpolitischen Diskurs versammelten Parteien. Schließlich haben SPD, Grüne und Linkspartei noch nicht den Beweis angetreten, dass sie die Aktivitäten der Hochschulräte, die in ihrem Verantwortungsbereich arbeiten, auf eine beratende Funktion begrenzen und die Gremien nachprüfbar und demokratisch legitimieren lassen wollen.

So wirbt die Freie Universität im rot-roten Berlin explizit mit dem Slogan Unternehmerische Prinzipien und ist sichtlich stolz darauf, dass sie in einer Studie des Wirtschaftsmagazins „karriere“ und des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos als „unternehmerischste Universität“ vorgestellt wird. Dieter Lenzen, Präsident mit eigenem Fanclub, zu dessen zahlreichen externen Aufgaben auch eine Mitgliedschaft im Förderverein der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" gehört, hat diese Entwicklung bereits historisch eingeordnet und sich auf die Zukunft eines ökonomisierten Bildungssystems eingestellt.

Es gab Zeiten, in denen Wissenschaftler misstrauisch auf Wirtschaftsunternehmen schauten und ihnen pauschal Profitgier und soziale Kälte unterstellten. Es gab Zeiten, in denen Unternehmer sich argwöhnisch von einigen Wissenschaftsformen distanzierten, da sie meinten, sie hemmten die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Die wechselseitigen Unterstellungen waren immer falsch. Diese Zeiten sind vorbei.

Dieter Lenzen