Matschielanti? Links blinken, rechts abbiegen

Der Rücktritt von Dieter Althaus eröffnet der SPD den Weg zum Wortbruch

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Wofür macht die SPD sich eigentlich die Mühe, ein Wahlprogramm zu entwerfen, wenn sie dessen Inhalte nach den Wahlen immer wieder zugunsten der Option opfert, Juniorpartner in einer schwarz-roten Koalition zu werden? Im thüringischen Wahlkampf blinkte die SPD links – Spitzenkandidat Christoph Matschie forderte nicht weniger als einen Systemwechsel für sein Land. Da die dauerschwächelnde SPD aber bestenfalls als Juniorpartner in einer Koalition mit der Union oder der Linken auf der Regierungsbank Platz nehmen kann, muss sie erwägen, unter welchem Partner sie möglichst viele ihrer Ziele durchsetzen kann. Der Wähler hat sein Kreuz bei der SPD schließlich nicht wegen Matschies schöner blauer Augen, sondern wegen der inhaltlichen Wahlversprechen gemacht.

Kaum sind die Wahlergebnisse ausgezählt, biegt die SPD rechts ab und kokettiert keck mit der CDU. Inhaltliche Übereinstimmungen gibt es zwischen den beiden Parteien zwar kaum. Das schert die SPD aber nicht. Wahlbetrug gilt in Deutschland nämlich nur dann als Wahlbetrug, wenn man in irgendeiner Form mit der Linken kooperiert. Inhalte zählen da längst nicht mehr.

Denn sie wussten nur allzu genau, was sie tun

Wenn die SPD-Basis nun bei dem sich abzeichnenden Wahlbetrug Zeter und Mordio schreit, so sollte sie sich an die eigene Nase fassen. Im Februar letzen Jahres versuchten die Sozialdemokraten innerhalb der thüringischen SPD, den unbeliebten Schröderianer Matschie gegen dessen Vorgänger Richard Dewes auszutauschen. In einer Urabstimmung musste sich die Basis nicht nur für Matschie oder Dewes entscheiden, sondern auch für die Parteilinie, wie man mit der Linken umgeht. Matschie schloss bereits damals eine Juniorpartnerschaft der SPD in einem rot-roten Bündnis kategorisch aus, Dewes hielt sich diese Option offen. Die Basis unterstützte Matschie mit 71,6% der Stimmen. Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass die SPD ihre Inhalte allenfalls dann wird umsetzen können, wenn sie mehr Stimmen als die Linke bekommt – ein unwahrscheinliches Szenario.

Der Theologe und Pfarrerssohn Matschie gehört innerhalb der SPD den sogenannten Netzwerkern an, einer neoliberalen, undogmatischen Parteiströmung, die vorbehaltlos hinter der Agenda-Politik steht. Für Matschie ist eine Koalition mit der Union somit eine naheliegende Option, während ihn mit der Linken relativ wenig verbindet.

Matschielanti?

Auch wenn es durchaus Parallelen zwischen dem hessischen und dem thüringischen Koalitionspoker gibt, so unterscheiden Andrea Ypsilanti und Christoph Matschie doch Welten. Ypsilanti schloss vor den Wahlen jegliche Zusammenarbeit mit der Linken aus. Matschie schloss lediglich eine Juniorpartnerschaft aus, was anlässlich der thüringischen Machtarithmetik aber letztendlich das gleiche ist. Beide Kandidaten führten einen Wahlkampf, der sich in erster Linie gegen den Amtsinhaber richtete und der in zweiter Linie mit Inhalten punkten wollte, die große Überschneidungen mit dem Programm der Linken und nur geringe Überschneidungen mit dem Programm der Union aufweisen. So viel zu den Gemeinsamkeiten, die Unterschiede sind jedoch frappierend.

Andrea Ypsilanti nahm die Wahlkampfaussage, Koch vom Thron stürzen zu wollen, ernst. Auch sie hätte Juniorpartnerin einer schwarz-roten Koalition werden können, wenn der Preis dafür Kochs Kopf gewesen wäre. Ypsilanti nahm allerdings auch ihre inhaltlichen Wahlkampfaussagen ernst – damit freilich beging sie Wortbruch, da sie diese Aussagen über ihr Versprechen stellte, nicht mit der Linken zusammenarbeiten zu wollen.

Christoph Matschie geht da wesentlich bedächtiger vor. Seine Wahlkampfaussage, Althaus vom Thron stürzen zu wollen, hat er erfüllt. Ebenso bleibt er wahrscheinlich seinem Versprechen treu, nicht als Juniorpartner der Linken an einer Regierung teilzunehmen. Dafür opfert er jedoch seine inhaltlichen Wahlkampfaussagen. Worauf aber kommt es in der Politik an? Auf Inhalte oder auf Personalien?

Megalomanie oder Kalkül?

Die Vorstellung, dass der kleinere Koalitionspartner den Ministerpräsidenten stellt, ist natürlich absurd. Es gab in der Geschichte der Bundesrepublik zwar zwei Fälle, in denen die drittstärkste Partei später tatsächlich den Regierungschef stellen durfte, die mit der Situation in Thüringen allerdings nicht vergleichbar sind. Nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg 1952 wurde Reinhold Maier (FDP/DVP) als Kompromisskandidat aller Parteien zum Ministerpräsidenten gewählt. Kaum im Amt, pfiff er allerdings auf eine Allparteienregierung und schloss die CDU einfach aus. Ein Jahr später wurde er von einem CDU-Mann abgelöst. In Niedersachsen wurde 1955 der nationalkonservative Heinrich Hellwege (DP - Deutsche Partei) als Ministerpräsident einer Rechts-Rechtsaußen-Koalition mit der CDU, der FDP und dem Bund der Heimatvertriebenen gewählt, obwohl seine Partei nur 12,4% der Stimmen erhielt. Hellweges Nominierung geschah auf Wunsch Adenauers, der mit der DP auch auf Bundesebene koalierte.

In beiden Fällen ging der Wunsch nach einem Ministerpräsidenten des kleineren Koalitionspartners also vom größeren Koalitionspartner aus. Die Dreistigkeit, als Juniorpartner den Chef spielen zu wollen, hat bislang noch kein Politiker in Deutschland an den Tag gelegt.

Der Vorschlag der Linken, den renommierten und parteilosen Theologen Ralf-Uwe Beck als Kompromisskandidaten zum Ministerpräsidenten zu wählen, wurde von der SPD brüsk abgewiesen. Es ist allerdings kaum anzunehmen, dass Christoph Matschie größenwahnsinnig geworden ist. Sein akuter Anfall von „Ausschließeritis“ ist wohl vielmehr Kalkül – hätte er bereits im Vorfeld klipp und klar gesagt, dass er Juniorpartner der CDU werden wolle, hätte der Wähler keines seiner inhaltlichen Wahlversprechen ernst genommen.

Der Verrat am Wähler

Mit einem Neunpunkteplan buhlte die thüringische SPD um das Kreuz des Wählers. In einer Koalition mit der Union wird die SPD wohl keinen dieser Punkte umsetzen können:

  • "Weil wir sichere Arbeit und höhere Löhne für Thüringen durchsetzen." Die Union vertritt hingegen die Position, dass die thüringische Wirtschaft bei höheren Löhnen ihren Standortvorteil verlieren würde. Die Linke ist in diesem Punkt ganz auf SPD-Linie.
  • "Weil wir einen Mindestlohn von 7,50 Euro einführen." Die Union sieht in Mindestlöhnen ein Werk des Leibhaftigen und lehnt diese vehement ab. Die Linke tritt ebenfalls für Mindestlöhne ein.
  • "Weil wir für gleiche Renten in Ost und West kämpfen." Gleiche Renten will die Union zwar auch – aber erst im Jahre 2067. Mit der Linken wäre dies schneller umzusetzen.
  • "Weil wir für 2000 neue Stellen in den Kindergärten sorgen." Die Union kürzt bei den Kindergärten massiv und hat auch nicht vor, hier eine Trendwende einzuleiten. Mit der Linken würde die SPD die Personalaufstockung problemlos hinbekommen.
  • "Weil wir das gemeinsame Lernen bis zur 8. Klasse durchsetzen." Die Union fordert ab der 5. Klasse das dreigliedrige Schulsystem. Mit der Linken hingegen könnte die SPD gemeinsames Lernen umsetzen.
  • "Weil es mit uns keine Studiengebühren gibt." Die Union ist in Thüringen ebenfalls gegen allgemeine Studiengebühren, hat aber Studiengebühren für „Langzeitstudenten“ eingeführt – ob die in einer schwarz-roten Koalition wegfallen würden? Wohl kaum, in einer rot-roten Koalition wäre das nur eine Formsache.
  • "Weil wir neue Jobs mit erneuerbaren Energien schaffen." Die Union will dies zwar auch, setzt sich in der Praxis allerdings nur allzu oft für das Gegenteil ein. Die Linke hat hingegen ähnliche Vorstellungen wie die SPD.
  • "Weil bei Althaus die Luft raus ist." In diesem Punkt sind sich ausnahmsweise alle Parteien einig.
  • "Weil wir mit neuer Kraft Thüringen sozial regieren werden." Ist die CDU ohne ihren Ministerpräsidenten eine „neue Kraft“, mit der man „sozial regieren“ kann? Ein rot-rotes Bündnis wäre zweifelsohne eine „neue Kraft“ und „sozial regieren“ könnte man in dieser Konstellation auch.

In einer schwarz-roten Koalition wird die SPD wohl keines ihrer zentralen Wahlversprechen umsetzen können – wenn man mal unterstellt, dass die Binse, bei Althaus sei „die Luft raus“, kein Versprechen ist. Vergleicht man die Position der Parteien mit den Wahlversprechen der SPD, kommt man vielmehr zu dem Schluss, dass die SPD das Wahlprogramm der Linken gekapert hat, um Wähler zu fischen. Nachdem dies leidlich geglückt ist, wirft die SPD ihre Versprechen über Bord und sorgt als Steigbügelhalter dafür, dass die CDU das Gegenteil von dem durchsetzen kann, was man selbst im Wahlkampf gefordert hat. Wenn dies kein Betrug am Wähler ist, was ist dann überhaupt Betrug?

Nach mir die Sintflut

Das Volk liebt den Verrat, aber nicht den Verräter. Matschies politische Karriere dürfte ein jähes Ende nehmen, wenn er sich der Union als Juniorpartner andient.

1994 erzielte die thüringische SPD respektable 29,6% und ging mit der Union eine Große Koalition ein. Dafür wurde sie fünf Jahre vom Wähler später abgestraft – sie erhielt nur 18,5% der Stimmen, was damals, anders als heute, noch ein wirklich schlechtes Ergebnis war.

Es ist anzunehmen, dass die SPD als Juniorpartner einer schwarz-roten Koalition in fünf Jahren sächsische – und damit einstellige – Ergebnisse einfährt. Vielleicht überlegt man sich dann, als Juniorpartner in einer rot-roten Koalition mitzuregieren. Matschies Kopf dürfte dann allerdings eine Vorbedingung der Linken für Koalitionsgespräche sein.