"Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen!"

Die Piraten-Partei gibt anlässlich der Demo "Freiheit statt Angst" eine Presse-Konferenz - und wird von den Medien immer noch nicht ernst genommen

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Drei Jahre gibt es sie in Deutschland mittlerweile, sie hat es auf über 8000 Mitglieder gebracht und ist damit die größte Partei, die nicht im Bundestag vertreten ist. Seit der Europawahl treten ihr täglich 70 Menschen bei - die meisten davon sind jünger als 30, der älteste ist 82. Frauen sind allerdings in der Piraten-Partei noch eine Minderheit. Dies, die Frage, was denn eigentlich "Nerd" bedeute, ob es denn auch schon ein paar Promis gäbe und was man für den Wahlkampf an Geldern locker machen waren dann aber auch schon alles, was die Journalisten auf der Pressekonferenz anlässlich der nachfolgenden Demonstration interessierte.

Vertreten waren im für die Pressekonferenz umgestalteten Arsenal-Kino am Potsdamer Platz der Bundesvorsitzende Jens Seipenbusch, der über die Demonstration sprach und die Ansichten und Programmpunkte der Piraten-Partei zu den Themen Vorratsdatenspeicherung, Überwachungsstaat und anderer auf der nachfolgenden Kundgebung behandelter Themen ansprach. Als förmlicher Gast-Star wurde Christian Engström von der Schwedischen Piraten-Partei begrüßt, der nach der EU-Wahl seine Arbeit in Brüssel angetreten hat und nun von seiner Arbeit und der Zusammenarbeit mit Liberalen und Grünen berichtete (siehe unten).

Andreas Popp ging dann noch einmal auf den Wahlkampf und die geplanten Aktionen der Partei ein: einen Demo-Truck, ein "gläsernes Mobil" - ein fahrbares Wohnzimmer mit Panoramascheiben, das den Menschen verdeutlichen soll, wie es ist, nichts mehr verbergen zu können -, und die Opt-Out-Aktion, bei der Bürger massenweise beantragen, dass ihre Daten nicht mehr automatisch von den Einwohner-Meldeämtern an Parteien und andere Organisationen weiter gegeben werden.

"Die Partei ist sowieso weiblich"

Nachdem das niederländische Piraten-Partei-Mitglied Samir Allioui das internationale Networking der Partei - insbesondere deren Bestrebungen in den USA - vorgestellt hatte, war die Fragerunde an die Presse eröffnet. Eine Journalistin von der taz preschte nach vorn und drohte eine Kampagne an: Sie müsse die Partei in ihrem als "männliche Partei" bezeichnen, wenn nicht offengelegt würde, wie hoch der Frauenanteil sei. Das Geschlechtsmerkmal würde in der Mitglieder-Datenbank nicht erfasst, aber das Bundesvorstandsmitglied Nicole Hornung versicherte ihr, dass es mehr und mehr Frauen bei den Piraten gebe, sich sogar schon eine AG gegründet habe und schon augenzwinkernd auf die Beschreibung als "männlichen Partei" linguistisch nach: "Die Partei ist sowieso weiblich."

Die beiden Nachfragen nach eventuell vorhandenen Prominenten (es gibt welche, man macht jedoch keine Werbung mit ihnen) und den Wahlkampf-Mitteln (laut Aussage des Bundesschatzmeisters Bernd Schlömer zwischen 150.000 und 200.000 Euro), wurden ebenso schnell geklärt. Schwieriger war da schon die Frage, was denn eigentlich "Nerd" bedeute, wo die Piraten-Partei doch immer wieder als "Nerd-Partei" bezeichnet werde. Ein wirklich dringliches Thema angesichts der Demonstration, die sich gerade vor den Türen des Arsenals formierte und in Anbetracht der sich am Horizont andeutenden Bundestagswahl. Einen Hintergrund habe die Nerd-Frage allerdings, hatte Justizministerin Zypris die Piraten-Partei durch kurz zuvor in einem taz-Interview als "zu konservativ" bezeichnet. Kann das denn sein? Konservativ und Nerd und dann vielleicht sogar noch eine "männliche Partei"? "Wenn Frau Zypries mich konservativ nennt", entgegnet Partei-Pressekoordinator Fabio Reinhardt nüchtern, "dann bedeutet das so ziemlich gar nichts."

"Schäuble geht gar nicht!"

Anlässlich der 20.000 Demonstrationsteilnehmer, die zwischen 15 und 18 Uhr durch den Bezirk Mitte wanderten und auf die zunehmende Gefahr der Entdemokratisierung durch Instrumente der Überwachung und Gängelung hinwiesen, muss man sich angesichts der Pressekonferenz schon fragen, warum die anwesenden Medienvertreter nicht eine einzige Frage zum Thema der Demo oder auch nur an den anwesenden EU-Parlamentarier der Piraten gestellt haben. Man erwartet von der Piraten-Partei wohl so ziemlich alles - nur keine Politik.

Dass sie sich allerdings bemüht, politische Lücken zu schließen, wurde angesichts der Beschreibung neu entstandener Arbeitsgemeinschaften zu sozial-, bildungs-, umwelt- und anderen politischen Themenfeldern deutlich. Mit ihrem knapp sechs Punkte umfassenden Wahlprogramm-Flyer wird es für die Piraten schwer, das angestrebte Ziel von "mindestens fünf Prozent" bei der Bundestagswahl zu erreichen - da muss schon eine Menge Protestpotenzial mobilisiert werden. Und dann stehen höchstwahrscheinlich als nächstes interne Debatten ins Haus wie sie aus den Anfangstagen der Grünen bekannt sind.

Der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele auf der Demonstration

Noch orientierungslos zwischen ideologische Polen

Denn mit dem derzeitigen Themenspektrum der Piraten-Partei lassen sich ebenso linke wie liberale, bürgerliche und rechte politische Programme kompatibel machen: Jede der Parteien, die auf der Demonstration vertreten war (Piraten, Linke, Grüne, die FDP und die Jusos) spricht sich gegen die derzeitige Angst-Politik der Bundesregierung aus - und sogar in CDU und SPD sind Stimmen dagegen vernehmbar - beide Parteien waren jedoch nur indirekt auf der Demo anwesend: zumeist auf den Transparenten und Verlautbarungen der Demonstranten, die von "Zensursula" über "Stasi 2.0" bis hin zu dem reichlich sarkastischen Kreide-Bild "Schäuble geht gar nicht!" reichten.

Dass die Piraten-Partei mit Fahnen, Transparenten und T-Shirts das Bild der Demonstration hauptsächlich prägten, spricht schon eine deutliche Sprache über deren Relevanz in den Diskursen der Betroffenen. Wie lange sich diese und ihre Probleme noch mit dem Attribut "Nerd" versehen lassen, ist fraglich: "Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären Politik-Verdrossen" stand auf einem der Demo-Transparente, das von zwei Piraten-Partei-Anhängern getragen wurde.