Herren und Knechte

Während sich in Deutschland Musiker noch im letzten Jahr für eine Three-Strikes-Gesetz-Kampagne anschirren ließen, wehrt man sich in England mittlerweile gegen solche Vereinnahmungsversuche

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1999 versuchte die Musikindustrie Stimmung für die Einführung neuer Verbotsrechte auf EU-Ebene zu machen, indem sie eine "Erklärung" mit den Unterschriften von vorher bearbeiteten Musikern verschickte, die solch neue Verbotsregeln angeblich heiß herbeisehnten. Damit konnte die Musikindustrie zwar nicht ihre Maximalziele durchsetzen, die jeden Abspielvorgang auch ohne DRM vergütungspflichtig gemacht hätten, aber die folgende EU-Richtlinie sorgte immerhin dafür, dass "Umgehungstechnologie" verboten wurde. 2009 funktioniert solch ein Einspannen zumindest bei britischen Musikern nicht mehr so gut.

Im August gab der dortige Wirtschaftsminister Lord Mandelson bekannt, dass er von der Notwendigkeit eines Three-Strikes-Gesetzes nach dem Vorbild des französischen Loi Hadopi überzeugt sei. Während der Musikindustrieverband UK Music wie erwartet Beifall klatschte, tauchte in der letzten Woche eine von der Featured Artists Coalition (FAC), der British Academy of Songwriters, Composers and Authors (Basca) und der Music Producers Guild (MPG) verfasste Stellungnahme zu einem vom Wirtschaftsministerium versandten und "nicht beantwortbaren" Fragenkatalog auf, in dem sich die Verbände in recht deutlichen Worten gegen solche Maßnahmen aussprechen.

Das Vorhaben Mandelsons, der bereits in mehrere Skandale verwickelt war, wird unter anderem als rückwärtsgewandt, unsinnig und (hinsichtlich der erwarteten Folgen) "außerordentlich schädlich" bewertet. Dass die Regierung solche Pläne überhaupt in Betracht ziehe, zeigt der gemeinsamen Stellungnahme der Verbände zufolge, wie weit ihre Denkweise "von der Öffentlichkeit und den Musikkonsumenten entfernt" sei. Wörtlich heißt es in der Erklärung, dass man den gemachten Vorschlägen "entschieden entgegentrete" und auch angesichts der Auswirkungen von Klagen gegen Verbraucher darauf hinweisen wolle, "dass die Peitsche mittlerweile in keinem Verhältnis mehr zum Zuckerbrot steht".

Ausgesprochen negativ bewertet wird auch die Tatsache, dass sich die Kosten für die Durchsetzung solch eines Three-Strikes-Gesetzes den offiziellen Schätzungen nach im ersten Jahr zwischen 65 und 85 Millionen Pfund bewegen würden. Der von den Konzernlobbyisten angegebene Nutzen in Höhe von 200 Millionen Pfund dürfte nach Ansicht der Verbände kaum realistisch sein, weil er auf der Annahme beruht, dass für jeden nicht getauschten Song einer verkauft werde.

Was dem Schreiben besondere Aufmerksamkeit verschaffte, ist, dass die verfassenden Verbände nicht nur Personen wie Billy Bragg vertreten, die bereits in der Vergangenheit ausufernde Monopol- und Verbotsrechte scharf kritisierten, sondern unter Tausenden von Musikern, Komponisten, Textern und Produzenten auch den Geldadel der britischen Popmusik wie Sir Paul McCartney, Sir Elton John und Robbie Williams.

Großbritannien hatte lange den Ruf, Deutschland in Sachen Musik ein Stück voraus zu sein. Sieht man sich die Lobbyschlacht um ein Three-Strikes-Gesetz an, dann könnte man dieses Urteil auch aktuell bestätigt sehen: Nicht nur, dass es in der Bundesrepublik keinen entsprechenden Aufruf gibt - stattdessen fand die Rechteverwerterindustrie noch im letzten Jahr eine dreistellige Zahl von Musikanten, die sich von ihr so beeindrucken ließen, dass sie einen als ganzseitige Anzeige in überregionalen Tageszeitungen veröffentlichten Aufruf zur immaterialgüterrechtlichen Orientierung an Frankreich unterzeichneten.

Allerdings blieb dessen Wirkung im Vergleich zu der des Heidelberger Appells eher überschaubar - was möglicherweise auch daran liegen könnte, dass kein Hans Magnus Enzensberger und kein Robbie Williams unterzeichneten, sondern "DJ Ötzi", Egon Frauenberger, Christian Bruhn ("Heidi"), Soapstar Yvon Catterfeld, "Superstar" Alexander Klaws, Ballermann-Star Mickie Krause, Scooter, Tokio Hotel, "Atze Schröder", de Höhner, Ralph Siegel und ähnliche Kaliber.