"Sweat of the Brow"

Leistungsschutzrechte für ein Google-Monopol

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Seit dem Frühjahr fordern deutsche Verlage neue Leistungsschutzrechte. Ihr Hauptargument ist dabei der Google-Konzern, der aus dem insgesamt 2,5 Milliarden umfassenden Online-Werbemarkt jährlich 1,5 Milliarden Euro kassieren soll. Davon möchten sie ein größeres Stück abhaben. Weil das Eingeständnis, dass man die Wettbewerbsauswirkungen ein wenig korrigiert haben möchte, angesichts der in Politik und Wirtschaft aktuell geltenden Glaubenssätze nicht besonders gut verwertbar ist, wird unter anderem damit argumentiert, dass Google "das Weltwissen monopolisieren" könnte.

Allerdings könnte gerade das als Remedium angepriesene neue Leistungsschutzrecht dafür sorgen, dass diese Prophezeiung eintrifft. Denn mit ihm bekäme Google als Einscanner von Büchern möglicherweise mit einem Schlag "geistige Eigentumsrechte" auf praktisch die gesamte deutsche Textproduktion bis zum 19. Jahrhundert übertragen. Das wäre dann wirklich ein Monopol.

In der letzten Woche warnte Bundesjustizministerin Zypries Bibliotheken vor einem Scan ihrer Bücher durch Google. Im Augenblick, so die Justizministerin, würde Google den Zugriff auf die Bücher zwar vergütungsfrei gewähren, das jedoch könne sich ihrer Ansicht nach ändern.

Doch was würde passieren, wenn Google Geld für gemeinfreie Bücher verlangen würde? Man könnte sie als PDF herunterladen und einfach irgendwo anders kostenlos anbieten. Verhindern könnte Google dies nur, wenn es ein eigenes Leistungsschutzrecht auf die Scans der gemeinfreien Bücher geltend machen könnte.

Nach bisheriger Rechtslage wäre so etwas nicht möglich: In der deutschen Rechtswissenschaft ist man in Übereinstimmung mit dem Bibelreproduktions-Urteil des BGH mehrheitlich der Auffassung, dass digitalen Varianten gemeinfreier Werke nur in Ausnahmefällen ein Urheberrechtsschutz zukommen kann. Nämlich dann, wenn sich durch eine Kolorierung oder andere Formen der Bearbeitung "kreative Entscheidungsspielräume" öffnen und diese auch "in kreativer Weise genutzt werden", was gerade bei automatisierten Scans nicht der Fall ist. Aus diesem Grunde besteht für sie bisher auch kein Leistungsschutzrecht nach § 72 des deutschen Urheberrechtsgesetzes.

Nach Einführung eines neuen Leistungsschutzrechts, wie es die Verlage fordern, könnte sich die Rechtslage durchaus anders darstellen. Weil sie selbst keine oder nur unwesentliche schöpferische Beiträge leisten, wollen die Verleger, dass dieses Recht als möglichst nackter Investitionsschutz gestaltet wird. Solch ein Leistungsschutzrecht würde dem nach Genesis 3:19 benannten Sweat-of-the-Brow-Prinzip entsprechen, das in der Vergangenheit von einigen britischen und amerikanischen Gerichten bemüht wurde. Es verlangt für die Gewährung von Monopolrechten keinerlei schöpferische Leistung, sondern nur einen wie auch immer gearteten "Aufwand". Im Fall Walter v. Lane sprach ein britisches Gericht beispielsweise einem wortgenauen Protokoll, das ein Reporter von der Rede eines Politikers anfertigte, ein eigenes Monopolrecht zu. Danach bekäme Google, weil der Konzern ja den Aufwand des Scannens trug, ein neues Verleger-Leistungsschutzrecht auf praktisch die gesamte europäische Public Domain, die das Unternehmen derzeit in Zusammenarbeit mit Bibliotheken einscannt.

Zwar wären die eigentlichen Handschriften und Drucke weiterhin gemeinfrei und könnten theoretisch neu digitalisiert werden - allerdings nützt dies wenig, wenn die Bibliotheken (sei es angereizt durch finanzielle Beteiligung oder aufgrund von Exklusivverträgen mit Google) ihren Besuchern eigene Scans oder Kopien verweigern. Ähnliches versucht derzeit beispielsweise die britische National Portrait Gallery, die der Öffentlichkeit das Fotografieren gemeinfreier Werke verbietet und einen Wikipedia-Nutzer wegen des Verbreitens der in ihrem Auftrag gefertigten Digitalbilder verklagte.

Die Erwartung solcher Möglichkeiten würde auch erklären, warum die Bayerische Staatsbibliothek für die Digitalisierung ihrer Bücher bezahlt und sie nicht kostenlos und praktisch nebenbei durch "Crowdsourcing" erledigen lässt: Bereits seit Jahren werden dort nämlich Kopien nur noch über Scanner und Windows-Terminals gefertigt, welche die Nutzer selbst bedienen. So entstehen massenhaft Scans, die sich ohne weiteres als Ausgangsmaterial für Digitalisierungen nutzen ließen. Auf die bei einer gemeinsam mit Google abgehaltenen Informationsveranstaltung gestellte Frage, warum dies nicht gemacht wird, konnte der stellvertretenden Staatsbibliotheks-Generaldirektor Dr. Klaus Ceynowa in jedem Fall keine wirklich überzeugende Antwort finden.

Während die Staatsbibliothek vor zwei Jahren noch beteuerte, dass an den zusammen mit Google eingescannten gemeinfreien Büchern keinerlei neue Monopolrechte geltend gemacht würden, betont Ceynowa nun, dass man lediglich eine "private Nutzung" der Kopien erlauben würde. Und ein Vertreter von Google antwortete in der letzten Woche auf eine Frage der Generaldirektorin des europäischen Verlegerverbandes FEP, dass "Nutzungsrechte des Bibliotheksprogramms" bei Google verbleiben würden und andere Suchmaschinen keinen Zugang bekämen. Für eine Inanspruchnahme solch neuer Leistungsschutzrechte durch Google spricht auch, dass der Konzern (der noch vor drei Jahren jede Absicht, ins Buchgeschäft einzusteigen, vehement bestritt) nun in Zusammenarbeit mit Rechteinhabern den "Online-Kauf" angezeigter Werke ermöglichen und ab dem nächsten Jahr ein neues Micropayment-Modell etablieren will.

Auch aus der EU-Kommission gibt es Bekundungen, die darauf hindeuten, dass man möglicherweise ein neues Sweat-of-the-Brow-Recht vorbereitet. Anfang August äußerte sich Medienkommissarin Reding zustimmend zur Hamburger Erklärung, in der deutsche Verlage neue Leistungsschutzrechte fordern. Einen Monat später betonte sie, dass Europa aufpassen müsse, nicht "zu langsam digital" zu werden. Das Scannen von Büchern ist ihrer Ansicht nach eine "Herkulesaufgabe", weshalb der "private Sektor" mit einbezogen werden müsse. Was in der deutschen Presse überwiegend als Abkehr von der Hamburger Erklärung interpretiert wurde, könnte genau das Gegenteil sein: Den in der EU-Kommission herrschenden Dogmen nach müssen Konzerne solche Monopolrechte nämlich als "Anreize" erhalten, um tätig zu werden.

Dazu passen auch die anschließenden Aussagen der Medienkommissarin: Weil der Digitalisierungszusammenarbeit mit diesem "privaten Sektor" angeblich ein "uneinheitliches Urheberrecht" entgegensteht, will Reding "möglichst schnell eine neue Rechtsgrundlage [...] schaffen". Dafür, dass diese nach dem Sweat-of-the-Brow-Prinzip gestaltet wird, spricht viel. Bereits in der Vergangenheit verschafften EU-Gremien dem nackten Investitionsschutz deutlich mehr Raum, indem sie beispielsweise eine Datenbankrichtlinie verabschiedeten, die dafür sorgt, dass Telefonbücher nicht gescannt werden dürfen, sondern abgetippt werden müssen.