Kontaminierte Inhalte

Das Internet als Ort der professionellen Manipulation

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In einem Kommentar zu einem Online-Artikel wird der Service der Deutschen Bahn als für sehr gut befunden und die Buchbesprechung bei einem Internet-Buchhändler klingt hellauf begeistert: „Ein Meisterstück. Unbedingt zu empfehlen!“ In einem Internetforum wiederum verteidigt ein „Diethardt“ eine nicht ganz billige Kamera, obwohl andere Beiträge davor warnen, dass es bei höherer ISO-Zahl zu einem „Bild-Rauschen“ komme. Und bei Wikipedia wird der Artikel zur „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) irgendwie dauernd umgeschrieben – normaler Alltag im großen weiten Web.

Doch wer glaubt, er könne sich im Netz unbedarft an den Quellen von Wahrheit und Weisheit laben, der irrt. Wer hier seinen Wissensdurst stillt, sollte sich klar sein, dass dies ein höchst riskantes Vorhaben ist. Längst sind viele Inhalte des Internets kontaminiert, doch es ist wie bei der Radioaktivität: Man schmeckt und riecht nichts. Immer mehr stammen die Botschaften der Öffentlichen Meinung und des Internets von Interessensgruppen und werden die Bürger durch professionelle PR-Agenturen manipuliert.

Wie das im Detail funktioniert, kam jetzt erneut durch eine weitere Rüge des Deutschen Rates für Public Relation (DRPR), einem Selbstregulierungsorgan der Werbebranche, in Sachen Bahnskandal ans Tageslicht. Dieser Skandal schlug bereits hohe Wellen: 1,65 Millionen Euro hatte die Deutsche Bahn 2007 für positive Umfragen und Leserbriefe und andere Maßnahmen ausgegeben, um das Image des Konzerns aufzupeppen. Es ging, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb, um „die verdeckte Beeinflussung der Öffentlichkeit“, etwa durch fingierte Leserbriefe und Umfragen, die die „richtigen“ Ergebnisse produzierten. Dies alles kurz vor dem geplanten und mittlerweile verschobenen Börsengang der Bahn. Es floss also viel Geld, um die Öffentlichkeit zu manipulieren.

Mit dabei war, wie der PR-Rat jetzt rügte, die Firma Allendorf Media AG in Berlin. Die bringt gegen gutes Geld die Botschaften ihrer Auftrageber über die Medien und das Internet unter das Volk. Zum Beispiel für die Bundeswehr und die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, einem Propagandatrupp der Metallarbeitgeber. Oder eben für die Deutsche Bahn. Und dabei laut PR-Rat mit unsauberen Methoden: „Allendorf Media unterwanderte Foren und Blogs wie Brigitte.de und SPIEGEL ONLINE mit bahnfreundlichen Beiträgen. Bei SPIEGEL ONLINE wurden rund ein Viertel der Beiträge in drei bahnrelevanten Foren von Allendorf Media platziert – durchgängig ohne Nennung des Arbeit- bzw. Auftraggebers und unter Pseudonym“, so der PR-Rat in seiner Rüge.

Daneben lieferte die Firma Videomaterial für eine angeblich neutrale Website und setzte Prominente für die Berichterstattung pro Bahn ein. „Die Rüge des PR-Rates bestätigt unsere Kritik an dieser unsäglichen Manipulation der Öffentlichkeit“, zog dann auch die Initiative LobbyControl Bilanz. Bereits im Juni und August waren diesbezüglich die Meinungsagenturen EPPA GmbH und Berlinpolis sowie die Bahn selbst vom PR-Rat gerügt worden: „Die verdeckte PR der Deutschen Bahn AG ist ein in seinem Umfang und seiner Tiefe sehr ernst zu nehmender Vorgang“.

Das Gebaren von Bahn AG oder INSM wirft ein Licht darauf, wie der Internetsurfer, Leser oder TV-Zuschauer immer mehr einer undurchsichtigen Manipulation unterworfen wird. Die Meinungsmache ist längst zu einem lukrativen Markt geworden. Auch wenn es dabei nicht um unseriöse Praktiken geht, wen wundert’s, dass hinsichtlich des Themas „Image“ immer mehr Firmen aus dem Boden schießen, die sich speziell der „Pflege“ des Internet widmen.

„arvato online services, Full-Service-Dienstleister für Online-Marketing und Loyalty-Services, hat sein Portfolio um Social Media Monitoring erweitert“, ist in bestem Denglisch in einer Pressemitteilung vom Mai zu lesen. Das Unternehmen überwacht die Darstellung ihrer Kunden in den relevanten Blogs, Foren und Communities und forscht aus, was in den Sozialen Netzwerken so geplaudert und thematisiert wird. Warum? „Das Internet ist inzwischen für 98 Prozent der Nutzer ein entscheidendes Rechercheinstrument. Konsumenten informieren sich im Netz vorab über Produkte und Dienstleistungen, die sie interessieren und reagieren dabei stark auf die Erfahrung anderer“, so Stephan Wolfram, Geschäftsführer bei arvato online, einer Bertelsmann-Tochter.

„Digitale Mund-zu-Mund-Propaganda“ heißt dies bei „ethority“, einer weiteren Firma zur Pflege des Webs im Auftrag von Kunden: „Gerade kaufkräftige Zielgruppen vertrauen in ihrer Meinungsbildung den Erfahrungen anderer, so dass sich Kaufentscheidungsprozesse in die digitale Welt der Diskussion-Boards, Online-Foren, Weblogs und Meinungsportale verlagern“, ist auf der Website der Firma zu lesen.

Und weil das angeblich so ist, bieten beide Firmen nun die entsprechenden digitalen Handreichungen an, um das Image ihrer Kunden zu pflegen. „Unser Expertenteam wertet die Resultate im Hinblick auf das Krisenpotential von Konsumentenäußerungen aus und deckt rufschädigende Aktionen gegen Ihr Unternehmen oder Ihre Marken auf“, bietet ethority an. Und: „Wir bringen Ihre Markenbotschaft ins Gespräch“. Die Botschaft wird „ohne Streuverlust“ direkt innerhalb der „Zielgruppe“ verbreitet: „Wir schreiben für Sie den richtigen Beitrag an der richtigen Stelle.“ Ähnlich arvato, auch diese Firma bietet Marketingmaßnahmen an, die zu einem „positiveren Bild innerhalb der Web 2.0 Welt verhelfen“. Beide Firmen, so ist zu betonen, lehnen laut ihrer Sprecher aber unseriöse Praktiken wie das Postieren von anonymen Foreneinträgen ab.