Der will doch nur spie... provozieren

Haben Polizisten etwas zu verbergen?

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Gegen die Polizisten, die am Rand der Demonstration "Freiheit statt Angst" in Berlin gegenüber (nicht nur) einem Radfahrer handgreiflich wurden, wurde ein Verfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet. Dies teilte Berlins Polizeipräsident mit. Diplomatisch spricht der Polizeipräsident davon, dass nicht auszuschließen sei, dass die Polizisten überreagiert hätten, der Anschein spreche jedoch dafür.

In Foren, Mailinglisten und dergleichen mehr ist die Diskussion rund um die Polizeigewalt zu einem Schlagabtausch zwischen denen geworden, die die Polizei als "Prügelbullen" per se sehen, und denjenigen, die im Gegenzug die Demonstranten als Provokateure und Krawallmacher sehen. Auffallend ist hier, wie oft die Polizeigewalt nicht nur im besonderen, sondern vielmehr im allgemeinen Fall mit Verständnis bis hin zu offener Befürwortung bedacht wird. Auch wenn vielfach der Auslöser solcher "Recht-so"-Rufe die Recherche eines Forumteilnehmers der Seite PI News ist, so wird doch deutlich, dass keineswegs nur bei PI oder der Copzone die Meinung vertreten wird, dass die Gewalt schon alleine dadurch vertretbar sei, dass der Herr im blauen T-Shirt ein Provokateur ist.

Mal eben die Nerven verloren

Es mag sein, dass es sich hier um keine grundlegende Verhaltensweise von Berliner Polizisten handelt, sondern hier ein einzelner Polizist die Nerven verloren hat (auch wenn gerade die Berichte über die Berliner Hundertschaft, die bei Demonstrationen eingesetzt wird, eine andere Sprache sprechen). Es stellt sich aber die Frage, inwiefern dies hier eine Begründung oder gar Entschuldigung für das Verhalten des Polizisten sein kann und darf. Gleiches gilt für die Überlastung, die gegebenenfalls vorhandene Frustration, das Gefühl des Provoziertwerdens und dergleichen mehr.

Polizisten, das steht außer Frage, sind gerade auch bei großen Demonstrationen einem hohen Stress ausgesetzt. Doch dies bringt ihr Beruf mit sich und muss insofern bei ihrer Berufswahl bereits berücksichtigt werden. So wie jede andere Person auch die mit ihrem Beruf verbundenen Stressfaktoren ausloten muss um gegebenenfalls einen anderen Beruf zu wählen bzw. den momentanen schlichtweg aufzugeben, sollte die körperliche und physische Stärke der Berufsausübung entgegenstehen, so muss auch der Polizist abschätzen, ob er fähig ist, bei Demonstrationen und anderen Einsätzen, die hohen Stress mit sich bringen, dennoch eher an Deeskalation als an Eskalation interessiert zu sein und seine Nerven im Griff zu haben. So er dazu nicht fähig sein sollte, muss schlichtweg festgestellt werden, dass er für derartige Einsätze wie bei Demonstrationen (oder gar für den Polizeidienst im allgemeinen) nicht geeignet ist.

Die armen, verfolgten Polizisten

Auch die Argumentation, Polizisten seien nun einmal die "Prügelknaben der Nation", seien immer die Opfer von Provokation und dergleichen, so dass ein Zuschlagen wie im besagten Fall verständlich sei, basiert darauf, dass der Polizist als Träger des Gewaltmonopols mit denjenigen, denen gegenüber er dieses ausübt, gleichzusetzen ist. Dies ist aber zu kurz gedacht, da diese Argumentation, ebenso wie die, die beim Thema "Namensschilder" angewandt wird, von einer symmetrischen Machtverteilung ausgeht. Da aber der Polizist, insbesondere bei Demonstrationen, schon alleine durch die Kleidung und die zur Ausstattung gehörenden Dinge wie Schild, Schlagstock, Schutzkleidung usw., wie auch durch die ihm zugestandene Gewaltmacht, dem Demonstranten gegenüber überlegen ist, sind hier auch besondere Maßstäbe anzulegen.

Während z.B. bei einer Demonstration das Vermummungsverbot gilt, Demonstranten den Polizisten gegenüber ihre Identität bei Nachfrage mitteilen müssen, sind Polizisten durch Helme geschützt und auf Grund einer fehlenden Kennzeichnung im Vorteil. Die Logik, dass die fehlende Kennzeichnung nur dem Schutz der Polizisten vor rachedürstenden Demonstranten sowie deren Angehörigen dient, ist nicht schlüssig. Zum einen stellt sich die Frage, warum dann Polizisten, Staatsanwälte und Richter, die aktiv in Verurteilungen involviert sind, nicht auch anonymisiert erwähnt werden. Zum anderen geht diese Argumentation stets von einem Realnamen, nicht aber von Pseudonymen oder leicht zu merkenden Ziffern aus. Diejenigen, die die Kennzeichnung von Polizisten vehement ablehnen, schreiben oft so, als ginge es lediglich um die Entscheidung, den Polizisten quasi gläsern zu machen (Realname), nicht aber um die Möglichkeit, hier gerade gegen jene vorzugehen, die den Polizeiberuf ja erst in Verruf bringen. Hier wäre dann einmal die sonst von den "Null-Toleranz"-Apologeten vertretene Behauptung passend, dass nur derjenige etwas zu verbergen hat, der etwas befürchten muss. Nur dürfte das, was bei Pseudonymen oder Kennziffern zu befürchten wäre, eher eine juristische Verfolgung von Überschreitungen der Befugnisse sein, denn die gewalttätige Verfolgung durch Demonstranten und Co.

Körperlich überlegen, also drauf?

Bei der Gesamtdiskussion wird eher selten auf die asymmetrische körperliche Erscheinung der Protagonisten im besonderen Fall Bezug genommen. Nicht nur die bereits oben erwähnte Schutzkleidung, auch die körperliche Statur des Polizisten ist hier zu berücksichtigen. Dieser zeigt sich im Video zum einen körperlich fitter, andererseits aber auch bereits von Körpergröße und -gewicht her deutlich überlegen, was in einer derartigen Situation ebenfalls eine Rolle spielen sollte. Wer, was die Ausübung von Gewalt angeht, so offensichtlich im Vorteil ist, dem kommt eine besondere Sorgfaltspflicht zu. Etwas salopper drückte dies ein Teilnehmer im Heiseforum wie folgt aus:

Mit einem Gewicht jenseits der 90 kg und im vollaustrainierten Zustand kann mich jeder rechtskonservative, feige Hosenmatz solange beleidigen, wie er möchte, das wird keine Konsequenzen haben. Das zu lernen, ist auch Grundbestandteil jeder Ausbildung.

Unabhängig davon, ob der Herr im blauen Hemd schon auf weiteren Demonstrationen zu sehen war, ob er provozierte oder nicht, bleibt festzustellen, dass Polizisten im Einsatz schlichtweg fehl am Platze sind, wenn sie auf Provokationen mit unverhältnismäßiger Gewalt reagieren. Eine eindeutige Kennzeichnung durch Pseudonyme oder kurze, leicht zu merkende Nummern, wäre ein Anfang um die "faulen Äpfel" einmal auszusortieren. Während bei fast jeder anderen Diskussion gerne die "nichts-zu-verbergen"-Karte gezogen wird, bleibt sie fast jedes Mal stecken, wenn es darum geht, dass die staatlichen Organe etwas verbergen wollen. Dies ist nicht nur einseitig, es lässt auch den Eindruck entstehen, dass diejenigen, die eine Kennzeichnung der Polizei ablehnen, eben tatsächlich etwas befürchten müssten. Und das trägt nicht zur Verbesserung des Bildes der Polizei in der Öffentlichkeit bei. Schon gar nicht, wenn auch noch der Eindruck entsteht, dass unverhältnismäßige Gewalt im Amt toleriert oder von Kollegen gedeckt wird. Diejenigen, die also noch prahlerisch mitteilen, dass sie bei einer Kennzeichnungspflicht "kreative Möglichkeiten" finden werden, dieser aus dem Weg zu gehen, tragen aktiv dazu bei, dass der Ruf der Polizei weiter leidet.