Wolfensteins Urenkel

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Der Vorvater eines ganzen Spielegenres ist zurück - und schon wieder weg: "Wolfenstein" wird von Activision eingezogen, weil in der deutschen Version trotz Entschärfungen vereinzelt verfassungswidrige Symbole zu sehen sind.

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Eine Gratwanderung ist missglückt: Am 22. September verlautbarte Activision in einer Pressemitteilung, dass "Wolfenstein", erst vor einem Monat veröffentlicht, aus den Händlerregalen zurückgerufen wird: Irgendwo im Spiel gebe es auch in der deutschen Fassung noch verfassungswidrige Symbole zu sehen. "Obwohl es sich nicht um ein auffallendes Element handelt, das zudem im normalen Spiel allenfalls kurzfristig erkennbar sein kann, haben wir uns entschlossen, dieses Spiel sofort vom deutschen Markt zu nehmen", so zitiert pcgames.de die Pressemitteilung. Indiziert oder beschlagnahmt ist der "Ab 18"-Titel bisher nicht – es handelt sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme vonseiten des Publishers. Dabei wurde für die deutsche Fassung beträchtlicher Aufwand betrieben, um just vor diesem Szenario sicher zu sein.

"A totally shocking game"

Ein Blick zurück zu den Anfängen: Als id Software 1992 "Wolfenstein 3D" auf Millionen PCs brachte, war es die Geburtsstunde eines neuen Genres: Der First-Person-Shooter war geboren. Spiele mit Egoperspektive hatte es schon zuvor gegeben, doch es blieb John Romero und John Carmack vorbehalten, die Formel für eines der heute erfolgreichsten Genres der Spielegeschichte zu definieren.

Romero und Carmack waren 1991 noch nicht die schillernden Rockstars der Spielewelt, zu denen sie eben durch "Wolfenstein 3D" und "Doom" werden sollten. Die "Commander Keen"-Reihe, comichafte Jump'n'Runs in der bewährten Nintendo-Tradition, hatte dem jungen Team von id-Software den Spielraum verschafft, etwas Neues zu wagen, ohne große Rücksicht auf den Markt oder zaghafte Publisher zu nehmen: "Wolfenstein 3D" sollte blutig werden, geschmacklos, schnell und trashig. "Anything that's going to stop us from mowing shit down - get rid of it", zitiert David Kushners Buch "Masters of Doom" Romeros puristische Vision eines 3D-Actionspiels ganz neuer Art. Der Rest ist Spielgeschichte: "Banned in Germany", Welterfolg, "Doom", Deathmatches, Modding - die lebendige Spielkultur, die sich trotzig, aber augenzwinkernd zwischen Heavy Metal und Splattervideos entwickelte, hat "Wolfenstein 3D" fast alles zu verdanken. Und was sich Quentin Tarantino mit "Inglourious Basterds" aktuell als Zelluloidtraum verwirklichte, war in "Wolfenstein 3D" bereits die Krönung eines grandiosen, genial-infantilen Gesamtpakets: Hitler zu töten, als mechanisierten Oberboss obendrein.

Jahrelang war es ruhig geworden um "Wolfenstein", bis 2001 mit "Return to Castle Wolfenstein" unter der Aufsicht von id die Reihe weitergeführt wurde. Seit dem Erscheinen des Vorgängers hatte sich die Welt der FPS gehörig gewandelt, und auch "RtCW" zeigte sich als dem Publikumsgeschmack angepasster Shooter mit den inzwischen üblichen Finessen, nicht zuletzt veredelt durch einen ausgereiften Multiplayer-Modus, der 2003 durch "Enemy Territory" gehörig aufpoliert wurde.

"Wolfenstein", Raven Softwares demonstrativ schlicht betitelte Neuauflage, wollte nun vom großen Namen des Vorgängers profitieren. Der Realismusanspruch anderer Spiele mit Weltkriegskulisse war hier aber niemals Thema, das "Tausendjährige Reich" ist hier ganz offensichtlich eine Fantasy-Kulisse der "Alternative History", in der SS-Nekromanten und malerische Resistance ausschließlich Englisch mit deutschem Akzent sprechen - eine Kulisse, deren Verwendung in Werken der "Unterhaltung", wie es Videospiele - im Gegensatz zu Werken der Kunst wie Filmen - in den Augen des Gesetzes sind, problematisch ist.

Transatlantisches Missverständnis

Wie bei Indiana Jones, bei "Hellboy" oder bei Charles Stross' "Atrocity Archives" sind die Schergen Hitlers hier mit übernatürlichen Mächten zugange, und auch "Wolfenstein" verwendet dabei die bekanntlich reale Verknüpfung zwischen Okkultismus und Nationalsozialismus als Vorlage für den in der Welt des Spiels noch gerechteren Kampf gegen Nazideutschland: Der Feind ist nicht nur böse, sondern schlicht das Böse. Kein Wunder, dass in Europa und vor allem in Deutschland schon beim ersten Teil diese Verwendung der schmerzhaften Geschichtserfahrung als Kulisse für den überhöhten Kampf des amerikanischen "Guten" gegen "das Böse" mit wenig Humor aufgenommen wurde, vor allem, da die massenhafte Verwendung von Nazi-Insignien in den Originalspielen hierzulande andere Erinnerungen wachruft als in den USA. Aus der Beschlagnahmung des Originals 1994 - ebenso wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole - hatte die Gamesbranche inzwischen eigentlich ihre Lektion gelernt: Die Hakenkreuzfahnen (auch anderer WW2-Titel) wurden für den deutschen Markt längst zu Fantasieflaggen, die Porträts des "Führers" an allen Wänden verschwanden, die Nazis wurden flugs zur "Sekte der Wölfe" und Himmler wurde zu "Höller". Dass nun, trotz aller Vorsicht, anscheinend immer noch Reste verfassungsfeindlicher Symbole im Spiel verblieben sind, ist ein für den Publisher teurer Faux-pas, aber fast unvermeidlich: Trotz allen Nebelwerfens, trotz aller Detailkosmetik ist das Quasi-Historische fixer Teil des "Wolfenstein"-Universums.

Denn die Verbindung zur Geschichte war auch trotz Entschärfungen, trotz der - anscheinend nur fast - überall ersetzten Hakenkreuze und SS-Runen immer da in "Wolfenstein", in Form von unzähligen Versatzstücken und Zitaten, die wild zusammengewürfelt die Kulisse des okkulten "Reichs" ergeben. Thule-Gesellschaft, Schwarze Sonne, Ahnenerbe - aus diesen recht willkürlich verwendeten Schlagworten baut "Wolfenstein" seine B-Movie-Version des Zweiten Weltkriegs. Doch trotz all der Mühe, die in die quasi-historische Kulisse des Spiels gesteckt wurde, wollte "Wolfenstein", und das ist die Ironie, stets nicht mehr sein als ein Shooter für den Massenmarkt. Es war somit bei weitem nicht mehr das "shocking game", das der Vorgänger war und sein wollte. 2009 ist "Wolfenstein", zynisch gesprochen, schlicht eine weitere Schießbude, in der mit futuristischem Waffengerät in ausgefallenem Setting reichlich Kanonenfutter verheizt wird - und es wäre wahrscheinlich auch bei gelungener inhaltlicher Entschärfungen eher wegen seiner Gewaltdarstellung Indizierungskandidat gewesen.

Alles für alle?

Das Schielen auf den Massenmarkt war ohnedies auch abseits aller mehr oder weniger berechtigten "moralischen" Einwände das Hauptproblem des Spiels: "Wolfenstein" muss, als Mehrplattform-Titel, auch das weltweite Konsolenpublikum ansprechen und alles einbauen, was modernerweise vom Markt 2009 angeblich verlangt wird. Zeitlupeneffekte, Dimensionswechsel, eine "offene" Spielwelt als Hub, Upgrades zum Freischalten, automatisch regenerierende Gesundheit, endlose Secrets, die mühsam gesucht werden müssen, und ein nur durchschnittlicher Multiplayerteil - angesichts dieser Überfrachtung würden sich die stets auf technische und spielerische Schlankheit bedachten Urväter Romero und Carmack wohl mit Schaudern abwenden.

Zu wenig Spieltiefe, zugleich zu viel Schnickschnack: "Wolfenstein" konnte sich nicht entscheiden, welcher FPS-Ära es angehören will. Wenn es nun, wegen eines beim "Säubern" des Spiels vergessenen Hakenkreuzes in einer Minigrafik, vom deutschen Markt verschwindet, ist der Verlust für die Spielewelt gering. Die Reaktion Activisions, das Spiel ohne gerichtlichen Beschluss, ohne Aufforderung des Staates, aus den Regalen zu holen, zeigt auch die Wichtigkeit des großen deutschen Spielemarktes - und das Bemühen internationaler Publisher, in einem politisch und diskursiv schwierigen Umfeld guten Willen zu zeigen.