Bundeskanzleramt sperrt Eichmann-Akte des BND

Die 50 Jahre zurückliegenden Geheimdienstoperationen bezüglich des Massenmörders Adolf Eichmann bleiben ein Staatsgeheimnis

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In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in welchem die Journalistin Gaby Weber den Bundesnachrichtendienst zur Freigabe von Akten für die Forschung über die Angelegenheit "Adolf Eichmann in Argentinien" aufgefordert hatte, hat nun das dem Geheimdienst übergeordnete Bundeskanzleramt eine Sperrerklärung abgegeben. Die Unterlagen seien "nach wie vor schutzwürdig", "übergeordnete Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland" sowie "Belange der Zusammenarbeit mit anderen ausländischen Stellen" sowie "Informantenschutz" und "Persönlichkeitsrechte" stünden einer Vorlage entgegen. Damit werden die ca. 3.400 Seiten, welche der BND seit einem halben Jahrhundert in seinem Giftschrank lagert, auch weiterhin für die Historiker unzugänglich bleiben.

Doch wird jene in die Geheimdienstfolklore eingegangene Legende von der Jagd auf Eichmann ihren Platz in der offiziellen Geschichtsschreibung behaupten können? Dies dürfte angesichts der detaillierten Begründung der Sperrerklärung zweifelhaft sein, denn diese bestätigt der Journalistin, dass sie mit Ihren Schlussfolgerungen im Großen und Ganzen richtig liegt.

Die Öffnung der Akten wird unter anderem mit dem Schutzbedürfnis eines geheimnisvollen, noch lebenden Informanten begründet, auf dessen Identität die Akte Rückschlüsse zulasse. Dieser Informant, der logischerweise Ende der 50er Jahre mit Eichmann zu tun gehabt haben muss, sei nach wie vor in seinem beruflichen Umfeld tätig und sei Anfang der 1980er Jahre vom BND reaktiviert worden. Ein Bekanntwerden des Kontakts als informeller Mitarbeiter des BND würde für den Spionagesenior und sein berufliches Umfeld negative Konsequenzen zeitigen. Die Erklärung dafür, warum sich der BND zu einer Tätigkeit in den 1980ern äußert, dürfte darin zu suchen sein, dass hierdurch Akten gesperrt werden können, die älter als 60 Jahre sind. Da diese Aufschluss über die späteren Operationen zuließen, verlangt der BND Geheimhaltung. Folgt die Rechtsprechung diesem Kunstgriff, so kann man das Freigabealter unbequemer Akten nahezu beliebig verschieben.

Politische Zeitbombe

Einen weiteren Passus der Begründung muss man sich auf der Zunge zergehen lassen (Hervorhebungen im Original):

(...) Während das öffentliche Interesse an einer Wahrheitsfindung und Aufarbeitung der streitgegenständlichen Thematik eher als abstrakt zu werten ist, würde die Vorlage der Archivunterlagen die Belange der Bundesrepublik Deutschland und betroffener Dritter aktuell und konkret gefährden.
Die Gefährdung würde sich dabei als Konsequenz aus einer Veröffentlichung ergeben. Zu diesen Gefährdungen zählen wie bereits dargelegt die Auswirkungen auf die effektive Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes und anderer deutscher Sicherheitsbehörden mit ausländischen Partnern und Informanten. Diese Gefährdungen würden zu erheblichen Einschränkungen bei dem Informationsaustausch und damit der Bewertung der Sicherheitslage führen. Die Unterlagen enthalten dabei außer für die Bundesrepublik Deutschland auch für weitere Staaten (außen-) politische Implikationen, die losgelöst von dem historischen Inhalt der Archivunterlagen aktuelle Bedeutung haben und im Rahmen außenpolitischer Zielsetzungen und Interessen instrumentalisiert werden können (Nahost-Politik).

Damit sind der Spekulation Tür und Tor geöffnet, was denn da so Brisantes verborgen werden muss. Eines ist jedoch nun "amtlich": So, wie man uns die Beziehungen der betroffenen Nationen und Dienste bislang verkauft hatte, waren sie hinter den Kulissen nie gewesen.

Theoretisch könnten die Dokumente vor einer Preisgabe an Historiker durch Schwärzungen anonymisiert und teilzensiert werden, um den Sicherheitsinteressen Rechnung zu tragen. Doch insoweit berufen sich BND und Kanzleramt auf "unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand" nach § 5 Abs. 6 Nr. 4 BArchG. Bei gerade einmal 3.400 Seiten müsste das aber eine im Umgang mit Texten erfahrene Behörde, die ca. 7.000 Spione in Lohn und Brot hält, doch eigentlich gebacken kriegen. Der Aufwand, die Preisgabe durch ein seit über einem Jahr währenden Gerichtsverfahren abzuwehren, dürfte letztlich nicht weniger zeitintensiv gewesen sein.

Der Mann, der zu viel wusste

Die Umstände von Eichmanns Aufenthalt in Argentinien und seiner nun fast ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Entführungen werden also vorläufig weiter verborgen bleiben. Wir dürfen an unserer Geschichte also nicht aus erster Hand teilhaben. Gaby Weber jedoch sieht sich in Ihrer Interpretation bestätigt. Und die, sollte sie zutreffen, wäre für die Beteiligten tatsächlich alles andere als ein Ruhmesblatt: Eichmann war demnach in Kooperation mit deutschen Firmen und BND in Argentinien an der streng geheimen nuklearen Aufrüstung Israels beteiligt bzw. wusste über die heiklen Vorgänge bescheid. Eichmanns Aufenthalt war den verschiedenen Geheimdiensten stets bekannt, war für diese jedoch offenbar erst dann von Interesse, als Eichmann unbequem wurde und verschwinden musste. Mag der BND auch seine "Kronjuwelen" bewahren wollen, die hartnäckige Journalistin wird nicht locker lassen.