SPD fällt in sich zusammen

Das historische Tief der SPD muss zu einem Bruch mit den Schröder-Jahren führen

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Wer draußen an der SPD-Zentrale am Münchner Oberanger einen Tag nach der Bundestags-Wahl vorbei geht, sieht keine Anzeichen dafür, was drinnen geschehen ist. Dass eine ehemalige Volkspartei in sich zusammenfiel, zerbröselte, implodierte. Im Bund kam die SPD nur noch auf 23 Prozent, in Bayern auf 16,8 Prozent, in der sozialdemokratischen Hochburg München auf 19,3 Prozent. Wir haben schon schlechtere Zeiten überstanden, meinte der Parteivorsitzende Franz Müntefering am Wahlabend im Fernsehen - und es ist unklar, ob er damit zum Beispiel das Verbot der SPD 1933 unter den Nazis meinte.

Franz-Walter Steinmeier, der Spitzenkandidat der SPD, trat seinerseits an diesem Abend lächelnd gelöst vor die Kameras und verkündete die historische Niederlage seiner Partei, eifrig beklatscht von den Anwesenden. Auch der bayerische SPD-Chef Franz Maget war vor Jahrefrist richtig ausgelassen gewesen, als er die vernichtende Niederlage der Partei bei den Landtagswahlen kommentierte, die Freude galt den Verlusten der CSU. Und als wäre nicht wirklich etwas passiert, verkünden Steinmeier und Müntefering am Wahlabend, sie würden weitermachen. Jetzt halt in der Opposition. So verhalten sich Menschen, die längst die Realität aus ihrem Bewusstsein ausgeklammert haben.

Es gibt seltsame Momente in der Politik. Dann hat die Geschichte das Rad schon ein bisschen weitergedreht, ohne dass es die Akteure merken. Die Jubelfeiern zum 40. Jahrestag der DDR waren so ein Moment. Noch nahmen die Machthaber die Paraden ab, doch längst bestand der politische Boden, auf dem sie standen, nur noch aus schon im Rutschen befindlichen Sand. Die Führung der SPD verhält sich momentan ähnlich.

Er stehe zu seinen Entscheidungen in der Vergangenheit, ließ Steinmeier die Zuschauer in der „Elefantenrunde“ wissen. Sie stehe dazu, dass Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe „zusammengelegt“ wurden, sagte einen Tag vor der Wahl die ehemalige bayerische Parteichefin Renate Schmidt. Auf ihrer Website steht sie noch immer neben Gerhard Schröder. Auch SPD-Granden wie Hans-Jochen Vogel oder Egon Bahr stehen zu Hartz IV und die Rente mit 67. Dazu steht auch Generalsekretär Hubertus Heil und der bisherige Arbeitsminister Olaf Scholz.

Sie alle stehen zum Schröder-Projekt. Dieses Projekt des Ex-Bundeskanzlers Gerhard Schröder hatte implizit das Schreddern der alten Volkspartei SPD zum Ziel. Die Mittel dazu waren politische Entscheidungen, die den Interessen der Mehrheit der SPD-Wähler entgegengesetzt waren: Deregulierungen (der Finanzmärkte), Privatisierungen (der Bahn), Hartz IV und die Agenda 2010, die Einführung der Praxisgebühr, schließlich die Rente mit 67 durch Müntefering. Seit 2003 sind für die SPD die Folgen ihrer Politik klar: Der Verlust von hunderttausenden Parteimitgliedern und die Abwanderung von Millionen Wählern. Die Partei verlor Wahl nach Wahl und rettete sich in die Große Koalition. Und auch im gegenwärtigen Wahlkampf stand die SPD mit ihrem Personal, allen voran Steinmeier und Müntefering, für diese desaströse Politik.

Mit dem Wahlergebnis nun ist das Schröder-Projekt praktisch erfüllt: Die SPD als große Partei des sozialen Ausgleiches, als Volkspartei der Arbeitnehmer und des fortschrittlichen Bürgertums, existiert nicht mehr. Und dies ist nicht die Folge der „Auflösung von traditionellen Milieus“, sondern der ganz konkreten und bewussten Politik der SPD-Führung.

Ohne eine einschneidende Zäsur wird die SPD nur noch als Wurmfortsatz existieren. Zu dieser Zäsur wird der Satz gehören: „Hartz IV und die Rente mit 67 waren große politische Fehler.“ Bisher haben sich die Verantwortlichen lieber die Zunge abgebissenen, als diese Fehler öffentlich einzugestehen. Umso grotesker muten die angekündigten „Analysen“ der Wahlkatastrophe und ihrer Ursachen an. Das ist so, als wenn man bei einem Harzinfarkt sich auf den Fußpilz konzentriert. Die Partei muss sich von den Schröder-Jahren abwenden und diese Zeit selbstkritisch aufarbeiten: Als ein verhängnisvolles Kapitel ihrer Geschichte. Und zu dieser Zäsur wird neben einem veränderten Einstellung zur Linkspartei, die ja Fleische vom Fleische der SPD ist, auch eine Veränderung zwischen Parteiführung und Parteibasis gehören, damit sich letztere in ersterer wiederfindet.

Vor der SPD steht in der Opposition die gewaltige Aufgabe, sowohl die Partei wieder zu sozialdemokratisieren wie auch im Bündnis mit Linkspartei und Grünen eine tragfähige Politik und gesellschaftliche Alternative zu den neoliberalen Konzepten von Gelbschwarz zu entwickeln. Einem Franz-Walter Steinmeier freilich wird dies nicht glaubwürdig gelingen.