Hauptsache unter der Fünf-Prozent-Hürde

Vatikan: 1,5 bis 5 Prozent aller katholischen Geistlichen waren in den letzten 50 Jahren in Missbrauchsfälle verwickelt

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Am 22. September beschuldigte Keith Porteous Wood, der Repräsentant der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union (IHEU), die katholische Kirche vor der UN des Bruchs der Artikel 3, 19, 34 und 44 des 1990 auch vom Vatikan unterzeichneten internationalen Übereinkommens über die Rechte des Kindes (CRC). Unter anderem kritisierte er, dass sie vergangenen Kindsmissbrauch verschleiert und strukturelle Änderungen zur Verhinderung weiterer Fälle verweigert.

Zwei Tage später versuchte Erzbischof Silvano Tomasi, der ständige Beobachter des Vatikan bei der UN, die seinen Arbeitgeber betreffenden Vorwürfe hinsichtlich des Umgangs mit Kindern durch eine Rede zu entkräften, in welcher er zuallererst meinte, es wäre bei 80 bis 90 Prozent der betroffenen Priester nicht "korrekt", von "Pädophilie" zu sprechen. Stattdessen müsse man den auf das "heranreifende" männliche Geschlecht eingrenzenden (und darüber hinaus weit weniger stigmatisierenden) Begriff "Ephebophilie" verwenden.

Anschließend klärte der Erzbischof auf, dass die "zur Verfügung stehenden Studien" zeigen würden, dass 1,5 bis 5 Prozent der Geistlichkeit in den letzten 50 Jahren in Kindsmissbrauchsfälle verwickelt gewesen sei. Außerdem, so Tomasi in einer sichtlich von der Tradition seiner Kirche geprägten Argumentation, beträfen die meisten Anschuldigungen in den USA ohnehin protestantische Kirchen - und auch in jüdischen Gemeinden wäre so etwas ähnlich weit verbreitet. Allerdings gehört in den USA deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung protestantischen Kirchen an, während die Katholiken weniger als ein Viertel ausmachen.

Zudem, so der Vertreter einer Glaubenslehre, die stets die Wichtigkeit der Institution "Familie" betont, wäre es für ein Kind wesentlich wahrscheinlicher, von "Familienmitgliedern, Babysittern, Freunden, Verwandten oder Nachbarn" missbraucht zu werden, als von katholischen Geistlichen. An einem Sechstel der Fälle, so der Vertreter des Heiligen Stuhls weiter, wären sogar Kinder selbst die Täter. Unerwähnt ließ der Kirchendiplomat in diesem Zusammenhang, dass sehr viel mehr Kinder regelmäßig von Familienmitgliedern, Babysittern, Freunden, Verwandten und Nachbarn umgeben sind, als von Priestern.

Tomasi schloss seine Stellungnahme mit der Bemerkung, dass die katholische Kirche bereits Anstrengungen unternommen habe, ihr "Haus zu säubern" und nun andere Institutionen an der Reihe wären, es ihr gleichzutun und den Medien eigene Missbrauchsfälle zu beichten.

Keith Porteous Wood bemerkte nach der Rede, dass der Vertreter Roms keine einzige der vorgebrachten Anschuldigungen widerlegt hätte. Staaten und Kinderschutz-NGOs sollten deshalb zusammenarbeiten und Druck auf den Vatikan ausüben, damit dieser im Interesse der Opfer die Akten öffnet und zukünftig Missbrauchsfälle sofort den weltlichen Behörden meldet.

Joseph Potasnik, das Oberhaupt der New Yorker Rabbinerkammer, meinte auf Tomasis Vorwürfe angesprochen, dass mit solchen Vergleichen ein "gefährlicher Weg" beschritten werde, und jede Religionsgemeinschaft besser bei sich selbst anfangen solle, etwas gegen Kindsmissbrauch zu unternehmen, anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen.