"Gewaltspiele", Jugendschutz und Internetsperren

Amok macht sich immer gut - Teil 3

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Die Gedanken sind frei

Gerade auch die in Teil 1 dargestellte Situation, dass jede nur entfernt auf einen "Amoklauf" deutende Äußerung bereits einen Einsatz mit sich bringt um zu vermeiden, dass eine Nichtreaktion in fatalen Folgen resultiert, bringt für diejenigen, die sich hilflos, wütend, alleingelassen fühlen, eine weitere Verschärfung der Lage mit sich.

Ähnlich wie bei den sogenannten "Selbstmordforen", in denen sich Menschen über ihre Selbstverletzungsphantasien sowie deren Umsetzung, ihre Selbstmordwünsche oder auch die Planung des Todes austauschen, wird hier suggeriert, jede solche Äußerung würde bereits in einem tatsächlichen Selbstmord münden. Dabei wird außen vor gelassen, dass solche Phantasien nicht nur weit verbreitet sind, sondern auch oftmals eine therapeutische Wirkung haben. Dazu kommt, dass der Austausch mit anderen, die ähnliche Ideen hegen, das Gefühl des Alleinseins, des "Andersseins" dezimiert. Während in den Medien oft lediglich die "Triggerfunktion" thematisiert wird, wird gerade diese Funktion in vielen Foren stark vermieden, im Vordergrund steht die Kontaktaufnahme zu Gleichgesinnten, das Suchen nach Gemeinsamkeiten und der Trost, der durch diese Gemeinsamkeiten entsteht.

So für den potentiellen "Amokläufer" jedoch diese Möglichkeiten immer stärker im Sinne eines Jugendschutzes beschnitten werden, ein "ich bring sie alle um" schon zu Großeinsätzen führt und durch eine auch medial inszenierte Hysterie jegliches Verhalten, was dem der früheren "Amokläufer" ähnelt, bereits als verdächtig behandelt wird, ist dies für ihn ein stärkerer Druck, der auf ihn ausgeübt wird. Zum einen wird er auf Grund seines "Andersartigkeit" bereits ausgegrenzt, zum anderen als "potentieller Amokläufer" gehandelt, der insofern weder schriftlich noch mündlich einmal in einer Art "Urschreitherapie" seiner Wut Ausdruck geben kann. Zwar kann er diese Gedanken hegen, sie jedoch nicht äußern.

Je stärker somit, ähnlich wie bei den teilweise abstrusen Regelungen zur Erkennung von potentiellen Terroristen, die Panik hinsichtlich möglicherweise stattfindender Gewalttaten geschürt wird, desto stärker werden gerade die, denen die Prävention helfen sollte, weiter eingeengt, was durch die vorgeschlagenen Empfehlungen wie mehr Sozialarbeiter, -betreuer usw. nur wenig aufgefangen werden kann. Der jugendschützerische Maulkorb im Netz wird sein Zusätzliches tun um die Katharsis einzuschränken oder unmöglich zu machen.

Zwar beschäftigt sich der Expertenkreis mit der Prävention von Gewalttaten, mit dem Wunsch nach einer Gestaltung eines fairen Miteinanders, nach neuen gemeinsamen Werten in der Schule usw, doch eine generelle Kritik an der Gesellschaft, dem Versagen der Politik und nicht zuletzt an teuren Placeboprogrammen, die sich auf das Internet konzentrieren, während gerade die wichtigen Gelder für Bildung und Familienhilfe fehlen, wird schmerzlich vermisst. Die Empfehlungen sind somit letztendlich größtenteils (auch finanziell nicht umsetzbares) Placebo bzw. reine Symptombekämpfung, es wird lediglich an der Oberfläche gekratzt.

Einsam sitze ich in einem Belüftungsschacht...

Die Zusammensetzung des "Expertenkreis" Amok, dessen Bildung die Regierung des Landes Baden-Würthemberg am 31. März 2009 beschloss, ist durchaus als "bunt" zu bezeichnen. Neben Eltern von Opfern der "Amokläufe" sind Psychologen, Experten für Kriminologie, Ministerialdirigenten, Landespolizeipräsidenten und Staatsanwälte ebenso beteiligt wie ein Vertreter des Presserates, des Südwestrundfunkes, des Landesjagdverbandes sowie Friedemann Schindler von jugendschutz.net. Letzterer gehört sogar zu den ständigen Mitarbeitern.

Wie aus der Beteiligung von jugendschutz.net bereits abzuleiten ist, sind in die 83 Empfehlungen auch grundsätzliche Fragen des Jugendschutzes in Bezug auf "Gewaltspiele" mit eingeflossen.

Zurückliegende Amoktaten weisen deutliche Parallelen zu einer zeitintensiven Beschäftigung der Täter mit gewaltintensiven Computerspielen auf, die im Einzelfall als digitales Schießtraining genutzt wurden. In der Regel handelt es sich um sog. Ego-Shooter, bei denen die Darstellung einer dreidimensionalen frei begehbaren Spielwelt durch die Augen des Spielers erfolgt und eine reale Teilnahme an Kampf- und Tötungshandlungen suggeriert.

Bericht des "Expertenkreis Amok"

Inwiefern durch die Teilnahme an Spielen ein digitales Schießtraining möglich ist, ist weiter erläutert. Humoristisch wurde diese Fragestellung ja bereits durch die Geschichte "Tag der offenen Tür im Schützenverein" abgehandelt, wobei die Geschichte durchaus sinnvoll anmerkt, dass zwischen dem "digitalen Schießtraining" sowie der realen Nutzung einer Waffe Welten liegen. Alleine die physischen Voraussetzungen für ein Szenario wie in "Counterstrike", bei dem der Protagonist nicht nur seine Waffen perfekt beherrscht, sondern taktisch wie auch körperlich den Gegnern überlegen ist, sind in der Realität anders, so dass sich manch "digital trainierter" Spielfreund mit einer Waffe in der Hand fühlen würde wie der Protagonist der obigen Geschichte. Zu vergleichen ist dies mit Menschen, die ohne die Anleitungen zu beachten, Pfefferspray oder ähnliches so benutzen, wie sie es in Filmen gesehen haben und sich dann auf Grund des Gegenwindes selbst damit außer Gefecht setzen.

Der Bericht geht jedoch wenig auf diese Diskrepanzen ein und fordert bzw. empfiehlt weitergehende Maßnahmen gegen "Gewaltspiele".

  • 54. EMPFEHLUNG: AHNDUNG BESTEHENDER VERBOTE GEWÄHRLEISTEN
  • 55. EMPFEHLUNG: STRAFBARKEIT VON GEWALTSPIELEN GEM. § 131 STGB AUSDEHNEN
  • 56. EMPFEHLUNG: REALISTISCHE, TÖTUNGSÄHNLICHE SPIELE VERBIETEN
  • 57. EMPFEHLUNG: ALTERSKENNZEICHNUNG FÜR ONLINE-SPIELE EINFÜHREN
  • 58. EMPFEHLUNG: EUROPÄISCHE (INTERNATIONALE) HARMONISIERUNG FORCIEREN

Sperrungsverfügungen zum x-ten

Interessant bzw. bedenklich hierbei ist die Empfehlung Nr. 60, die sich direkt auf die Möglichkeit von Internetsperren bezieht.

  • 60. EMPFEHLUNG: ABSOLUT UNZULÄSSIGE ANGEBOTE SPERREN UND PROVIDER IN DIE PFLICHT NEHMEN Die bestehenden Regelungen wie Sperrverfügungen gegen Zugangsprovider sollen bei absolut unzulässigen Inhalten (z. B. Exekutionsvideos) angewandt werden. Es wäre zu prüfen, ob Provider verpflichtet werden, sämtliche absolut unzulässigen ausländischen Angebote zu sperren, die durch ein rechtsstaatliches Verfahren von staatlichen Stellen auf einer entsprechenden Liste sind und gegen die direkte Maßnahmen im Ausland ohne Erfolg blieben.

Hier wird einmal öfter bestätigt, was gerade auch Kritiker dern von Frau von der Leyen initiierten Sperrungen gegen Kinderpornographie befürchten: die Ausdehnung der Sperrungen auf andere Inhalte, die in Deutschland als bedenklich gelten, in anderen Ländern jedoch legitim sind. Nicht nur werden solcherlei Maßnahmen langfristig zur Verteuerung von Internetangeboten führen da die Provider mit derartigen Sperrungsverfügungen, egal ob wegen Glücksspiel-, Gewalt-, urheberrechtlich bedenklichen Seiten oder Inhalten in Foren usw. überzogen werden würden, auch gerade das, was das Internet erst ermöglicht, die breitgefächerte Informationserlangung, die auch das beinhaltet, was in Deutschland (rechtlich) bedenklich ist, würde somit zur Farce werden. Wird hier noch berücksichtigt, dass gerade auch der Innenminister die Kirche stärker miteinbeziehen will, wenn es um die Rolle der neuen Medien und deren Regelung geht, so würde die Internationalität des Internets damit mehr und mehr schwinden und eine Art Deutschlandnetz etabliert werden, was zudem noch "christlich" ausgeprägt wäre.

Soziale Netzwerke bergen die Chance zu einer neuen Kommunikation, aber auch zu Vereinzelung. Wir brauchen Werte und Orientierung, damit uns die scheinbar grenzenlose Freiheit unserer Gesellschaft nicht überfordert", sagte Schäuble. Zuweilen scheine die Gesellschaft "das Maß zu verlieren", Vernachlässigung, Vereinzelung und Verrohung seien das Ergebnis. "Die Anworten auf diese Fragen muss die Politik, muss aber auch die Kirche finden.

Wolfgang Schäuble