Kernkraft für einen guten Zweck

Die geplanten Laufzeitverlängerungen verzögern die Modernisierung der Stromnetze um Jahrzehnte. Das Festhalten an den Grundlastkraftwerken der Vergangenheit erschwert die Integration zusätzlicher regenerativer und flukturierender Energiequellen. Zusammenstellung: Matthias Brake

Die Energie- und Klimawochenschau: Pokern um den AKW-Geldsegen - Photovoltaik auf der Abschussliste

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Direkt nach der Bundestagswahl setzte das Wunschkonzert derjenigen ein, die sich als Gewinner und Profiteure der Wahl sehen. Eine Gruppe hat es besonders eilig, die Betreiber der deutschen Kernkraftwerke.

Am Montag haben die Verhandlungen der künftigen Koalitionäre begonnen. Pro Forma meldeten sich die Beteiligten vorab noch einmal zum Thema Atompolitik zu Wort, über ihre Bedingungen, die sie an die längst gegebene Zusage zur Laufzeitverlängerung der deutschen AKWs knüpfen wollen. Dabei haben sie sich längst an die Betreiber der Kernkraftwerke verkauft. Die noch baden-württembergische Umweltministerin und als neue Umweltministerin gehandelte Tanja Gönner schob wenigstens noch vor, es werde keine Laufzeitverlängerung zum Nulltarif geben, es gelte Sicherheitsstandards festzulegen, die sich nach dem Stand der Technik fortentwickeln. Wenn diese eingehalten würden, könnten die Kraftwerke weiter in Betrieb bleiben, anderenfalls bliebe es beim Ausstiegstermin. Andreas Pinkwart von der FDP versuchte die Verhandlungsposition der künftigen Koalition etwas zu verbessern, indem er androhte, am Atomausstieg festhalten zu wollen, wenn die Stromkonzerne sich gegen „die Bedingungen“ sperrten.

Gewinnabschöpfung gegen Laufzeitverlängerung

Dabei steht seit langem die Zusage von CDU und FDP, den Atomkonsens zu verwerfen und als Gegenleistung eine besonders hohe Gewinnbeteiligung an den Zusatzgewinnen aus dem Verkauf des Atomstroms abzuschöpfen. Nachdem die Politik in den letzten Monaten das Steuergeld mit vollen Händen verteilt hat, kann sie die zu erwartenden Zusatzeinnahmen gut gebrauchen, schließlich gilt es auch noch weitere kostspielige Wahlversprechen einzulösen, von einseitigen Steuererleichterungen bis zur Lockerung des Kündigungsschutzes. Die daraus resultierenden Kosten werden wieder aus den Steuern der Bürger gedeckt werden müssen. Schon jetzt ist das Staatsdefizit in Deutschland in den ersten sechs Monaten des Jahres auf 57 Milliarden Euro gestiegen. Das sind 50 Mrd. Euro mehr als 2008. Ursache sind die Zusatzausgaben seit Beginn der Finanzkrise. Unter anderem die Ausgaben für die Bankenrettung, die Kurzarbeit und die beiden Konjunkturprogramme. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes liegt die Staatsverschuldung damit zur Zeit bei 1.600 Mrd. Euro.

Ihre Vorstellungen zur Gewinnabschöpfung gegen Laufzeitverlängerung haben Union und FDP in ihren Wahlprogrammen formuliert und sicher bereits mit den Vertretern der Energiewirtschaft abgesprochen.

Die geplanten Laufzeitverlängerungen verzögern die Modernisierung der Stromnetze um Jahrzehnte. Das Festhalten an den Grundlastkraftwerken der Vergangenheit erschwert die Integration zusätzlicher regenerativer und flukturierender Energiequellen. Zusammenstellung: Matthias Brake

Milliardensegen für „gute Dinge“

Aber auch die Betreiber der Kernkraftwerke haben es besonders eilig, das endgültige Ja zur Laufzeitverlängerung zu bekommen. Um die Politik und die mehrheitlich gegen Atomkraft gestimmte Öffentlichkeit zu beschwichtigen, bieten sie schon seit langem an, einen Teil der Zusatzgewinne abzugeben. Es käme einiges zusammen. Ein abgeschriebenes Kernkraftwerk macht etwa 1 Mio. Euro Gewinn – am Tag. Eine Laufzeitverlängerung würde so für Eon, EnBW und RWE Extraeinnahmen bedeuten.:

  • bei 10 Jahren Laufzeitverlängerung 19 Mrd. Euro und
  • bei 25 Jahren Laufzeitverlängerung 70 Mrd. Euro

Union und FDP möchten diese Zusatzgewinne zum größten Teil abschöpfen und dazu sind auch die Konzerne bereit. Denn bliebe es beim Atomkonsens, dann müsste der Atommeiler Neckarwestheim I schon Anfang März nächsten Jahres für immer abgeschaltet werden. Und etwas später im selben Jahr würde Biblis A folgen. Deshalb machten EnBW, Eon und RWE gleich nach der Bundestagswahl öffentlich Druck. Jürgen Großmann, Vorstandsvorsitzender von RWE, formulierte den Deal so: Alle Kraftwerkslaufzeiten verlängern und den Mehrwert zu „guten Dingen“ einsetzen.

Wofür genau die Milliarden, neben dem Schuldendienst, eingesetzt werden, ist noch völlig offen. Energiepolitisch denkbar wären etwa auch:

  • Investitionen in neue Überlandleitungen, um die Offshore-Windparks in der Nordsee mit den Verbrauchern im Süden zu verbinden
  • Ausbau der Erzeugerkapazitäten erneuerbarer Energien
  • Investitionen in den Traum vom CO2-freien Kohlekraftwerk
  • Sozialtarife für arme Stromkunden
  • billiger Strom für energieintensive Branchen und so Quersubventionierung ihrer Ausgaben für den Emissionshandel

Nach einer Studie der Landesbank Baden-Württemberg würde E.on selbst im konservativsten Szenario, bei einer Verlängerung der Laufzeiten um 10 Jahre, einen Zugewinn von 8,3 Mrd. Euro einfahren. RWE käme auf 6,1 Mrd. und EnBW auf 3,8 Mrd. Euro. Sal. Oppenheim schätzt, dass der Deal zwischen Koalition und Kernkraftwerksbetreibern deshalb so lauten kann: Nach Steuern (Körperschafts und Gewebesteuern) bekommt der Staat etwa 65%, für die Aktionäre blieben dann immer noch 35% übrig. Ein Szenario, das den Anlegern zusagt. Am Tag nach der Bundestagswahl waren E.on und RWE mit mehr als 4 Prozent Plus die Börsengewinner des Tages.

Bundestagswahltag an der Börse. Den Aktionären scheinen die Aussichten auf den geplanten 1/3 - 2/3-Deal zur Aufteilung der Mehreinnahmen aus Atomstrom durch Verlängerung der Kraftwerkslaufzeiten zu behagen. Bei den Anteilseignern von Vattenfall dauerte es noch einen Tag länger, bis sie ihr Glück begriffen, dass nämlich selbst die zur Zeit still liegenden Pannenreaktoren des schwedischen Energiekonzerns bald wieder ans Netz gehen könnten. Zusammenstellung: Matthias Brake

Abschied von den bisherigen Klimazielen

Laufzeitverlängerung bedeutet auch mehr strahlender Atommüll. Zu den schon jetzt 10.800 Tonnen hochradioaktiven Mülls kämen dann in jedem weiteren Jahr Laufzeitverlängerung 450 Tonnen zusätzlich hinzu. Ganz abgesehen von der Frage, ob das Risiko einer weiteren Laufzeitverlängerung besonders der ältesten und, weil bereits abgeschrieben, lukrativsten Meiler mit den bisherigen Rückstellungen von 5,6 Euro pro MWh Kraftwerksleistung für die notwendige jahrtausendlange Lagerung des strahlenden Mülls gedeckt ist, passen die in ihrer Leistung unflexiblen Grundlastkraftwerke nicht zum bisher propagierten zukünftigen Energiemix mit einem immer größeren Anteil erneuerbarer Energie. Das Festhalten an schwerfälligen Grundlastkraftwerken (und der Neubau neuer Kohlekraftwerke) bedeutet damit auch die Verzögerung einer modernen Kraftwerkslandschaft auf Jahrzehnte hinaus.

Für das Umweltbundesamt war dies auch das Energiethema der letzten Woche. Fast wie einen Nachruf auf ihren alten Chef Sigmar Gabriel, veröffentlichten die Experten aus Dessau ihre Studie zum Phantom Stromlücke. Es bestehe, so die Szenarien, trotz Atomausstieg und ohne in den nächsten Jahren zusätzliche fossile Kraftwerke ohne Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) bauen zu müssen. einfach kein Bedarf an neuen Grundlastkraftwerken, um Versorgungssicherheit und die langfristigen Klimaschutzziele zu erreichen. Stattdessen müsse sich die Stromversorgung grundlegend wandeln. Zentrale Elemente seien neben dem Atomausstieg mehr erneuerbare Energien, weniger Stromverbrauch durch mehr Effizienz, der Ausbau der KWK und eine Verlagerung hin zu weniger CO2-intensiven Brennstoffen wie Gas. Erneuerbare Energien müssten langfristig den überwiegenden Teil des Stroms erzeugen. Die Potentiale dafür seien sowohl in Deutschland als auch weltweit vorhanden.

Abschied vom bisherigen Leitszenario für den zukünftigen Energiemix. Bricht die Photovoltaik wegen unsicherer Investitionsbedingungen weg, bleiben im wesentlichen nur noch Windkraft und Geothermie, die direkte Stromerzeugung mit solarer Strahlung bliebe ungenutzt, damit fehlt eine wichtige Größe als Regelenergie. Zusammenstellung: Matthias Brake

Auch nach einer Studie des Büros für Energiewirtschaft (BET) zur Versorgungssicherheit in der Elektrizitätsversorgung gibt es mehrere bessere Alternativen zu Laufzeitverlängerung und Neubau von Kraftwerken, die zugleich die Flexibilität am Strommarkt erhöhten. Die Autoren setzen auf das Smart Grid im Gegensatz zum bisher rein auf Absatz orientierten Stromnetz. Die Autoren schlagen für die Modernisierung der Stromversorgung folgende Maßnahmen vor:

  • stärkere zeitliche Flexibilisierung der Nachfrage (durch intelligente Zähler und Geräte)
  • Senkung der gesamten Nachfrage durch Effizienzsteigerungen
  • Bereitstellung von Regelleistung durch regelbare Lasten
  • Laufzeitverlängerungen bei fossilen Bestandskraftwerken
  • Flexible Stromim- und exporte zum kurzfristigen Leistungsausgleich

Diese Maßnahmen seien aus volkswirtschaftlicher Sicht vorteilhafter als der bloße Erhalt und Zubau weiterer Grundlastkraftwerke, und es bestehe damit, trotz Atomausstieg, über die derzeit in Bau befindlichen Anlagen hinaus bis 2020 kein Neubaubedarf an konventionellen Kraftwerken ohne KWK. Dies gelte selbst dann, wenn die Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der KWK sowie für die Senkung der Stromnachfrage insgesamt deutlich verfehlt würden.

Photovoltaik auf der Abschussliste

Dennoch scheint es so, als werde unter der neuen Regierung der Photovoltaik der schwarze Peter zugeschoben. Die Technik ist anscheinend zu dezentral, als dass sie für Konzerne und bürokratische Apparate attraktiv sein könnte. Im Bereich der erneuerbaren Energien setzten sie daher, weil vermeintlich einfacher zu administrieren, auf die Konzentration in Offshore- und Desertec-Projekten. Dies ist auch ein Hinweis auf ein Demokratiedefizit in den Köpfen. Die Union plant eine Senkung der Einspeisevergütung für Solarstrom. Auch die FDP will sich für eine deutliche Kürzung der Solarstrom-Einspeisevergütung stark machen.

Das Börsenportal Der Aktionär begründet dies mit den stark gefallenen Preise für Solarmodule, die Branche könne eine Absenkung der Einspeisevergütung durchaus verkraften, die Auswirkungen würden sich schon in Grenzen halten. Zitiert wird Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, der eine 30-prozentige Absenkung der Einspeisevergütung für praktikabel hält. Denn bliebe es bei der bisherigen Degression der Einspeisevergütung mit wie bisher geplanter 5-prozentiger Absenkung jedes Jahr, beliefen sich die Subventionen für Photovoltaikanlagen bis 2028 auf 35 Mrd. Euro. Das RWI will daher die Solar-Förderung auf Forschung und Entwicklung beschränken.

Laut Handelsblatt wollten Union und FDP soweit nicht gehen und im Prinzip am EEG festhalten. Grund ist aber nicht energiepolitisches Verständnis, sondern es sind die Arbeitsplätze, die vor allem in Ostdeutschland in der Photovoltaikindustrie entstanden sind. Dass aber allein schon die ständige Diskussionen um die Zukunft der Photovoltaik für Verunsicherung sorgt und die neue Technik einbrechen lassen kann, thematisiert der aktuelle Solar Report. Das Institut für Ökonomie und Ökologie (IWÖ) der Universität in St.Gallen untersuchte dazu, ob es allein die Höhe der Einspeisevergütung ist, die ein für Photovoltaik-Investoren attraktives Umfeld ausmacht. Ergebnis: Politische Risiken müssen durch eine höhere Einspeisevergütung kompensiert werden. Die Einspeisvergütung könne ohne Einbruch der Investitionsbereitschaft um 4 ct/kWh (statt der in Deutschland geplanten ~ 14 ct) sinken, wenn administrative Genehmigungsprozesse verkürzt würden, keine Deckelung der Abnahmemengen erfolgt und sicheres Investitionsklima bestehe.

Die Politik muss also davon abgehen, vermeintlich populistisch der Photovoltaik mitten in der Entwicklungsphase bereits zugesagte sichere Förderbedingungen zu entziehen. Denn Solarzellen können zur Zeit zwar nur den kleinsten Teil erneuerbarer Energie beisteuern, doch gerade weil sie emissionsfrei arbeiten und dezentral einspeisen, wird ihnen eine wichtige Rolle im kommenden Smart Grid zukommen.