Boykott, Desinvestment und Sanktionen

Israel gerät durch die internationale Boykottkampagne zunehmend unter Druck

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Die Meldungen über Boykottinitiativen, den Abzug von Investitionen aus oder Sanktionen gegen Israel häufen sich. Im September hat der britische Gewerkschaftsverband TUC auf Antrag der Gewerkschaft der Feuerwehrleute den Boykott aller Produkte aus israelischen Siedlungen beschlossen und die Einstellung der Waffenlieferungen an Israel sowie die Aussetzung des Assoziierungsabkommens der EU mit Israel gefordert. Im selben Monat wurde in Spanien eine in der Westbanksiedlung Ariel gelegene Hochschule von einem akademischen Wettbewerb zur nachhaltigen Stadtentwicklung ausgeschlossen. In Brasilien sprach sich die für Außenpolitik und nationale Verteidigung zuständige parlamentarische Kommission gegen die Ratifizierung des Mercosur-Freihandelsabkommens mit Israel aus. In der Schweiz hat anläßlich des WM-Qualifikationsspiels zwischen Israel und der Schweiz gerade eine Kampagne zum Ausschluß Israels aus der FIFA begonnen.

Palästinensische Aktivisten haben die Bedeutung des Gaza-Krieges für die internationale Boykottbewegung gegen Israel mit der des Massakers von Sharpeville 1960 für die Boykottbewegung gegen das südafrikanische Apartheidregime verglichen1.

Schon im Juli 2005 hatten 170 palästinensische Organisationen zu Boykott, Desinvestment und Sanktionen (BDS) (siehe dazu: Global BDS Movement) aufgerufen, um Israel dazu zu bringen, sich an internationales Recht zu halten und die Palästinenser im Kampf um ihre Recht zu unterstützen. Sie fordern den Abzug Israels aus allen 1967 besetzten Gebieten einschließlich Ost-Jerusalems und die Auflösung aller Siedlerkolonien in diesen Gebieten, die Umsetzung der die Rechte palästinensischer Flüchtlinge betreffenden UN-Resolutionen und die Beseitigung des Apartheidsystems.

Der Aufruf zu Boykott, Desinvestment und Sanktionen wurde in der Folgezeit von Kirchen, Gewerkschaftlern, Akademikern und Künstlern aufgegriffen, meist als Reaktion auf eine konkrete Verschärfung der israelischen Kolonial- und Kriegspolitik. Während des Krieges gegen den Libanon 2006 zum Beispiel rief der britische Filmemacher Ken Loach zum Boykott auf. Einen wirklichen Durchbruch der Kampagne hat es jedoch erst mit dem letzten Krieg gegen den Gaza-Streifen gegeben. Gleich am ersten Kriegstag rief die palästinensische BDS-Bewegung erneut zu einem internationalen Boykott auf. Nach der Bombardierung der Islamischen Universität in Gaza-Stadt am 29.12.2008 folgten weitere Aufrufe aus dem Gaza-Streifen.

Naomi Klein und Tariq Ali riefen zum Boykott auf

Die Brutalität der israelischen Kriegsführung hatte zur Folge, daß schon in den ersten Kriegstagen weltweit zahlreiche BDS-Kampagnen initiiert wurden. In einigen südostasiatischen und arabischen Ländern wurde neben dem Boykott israelischer auch der US-amerikanischer Waren gefordert. Noch im Dezember 2008 kündigte die Church of England den Abzug ihrer Investitionen aus dem US-Konzern Caterpillar an, der Militärbulldozer an die israelische Armee liefert. In Südafrika und Australien weigerten sich die Hafenarbeiter im Februar, israelische Schiffe zu entladen.

Die an den Gewerkschaftsverband COSATU angeschlossenen südafrikanische Hafenarbeitergewerkschaft rief darüber hinaus zum Boykott israelischer Waren auf und forderte von der Regierung, die ökonomischen und politischen Beziehungen zu Israel abzubrechen. Venezuela, Bolivien, Mauretanien und Qatar brachen ihre Beziehungen zu Israel ab. Bekannte Publizisten wie Naomi Klein und Tariq Ali riefen zum Boykott auf. Das Weltsozialforum rief im Januar ebenfalls zu Boykott, Desinvestment, Sanktionen und einem weltweiten Aktionstag zu diesem Thema auf.

Auch Amnesty International forderte einen Boykott von Waffenlieferungen an Israel. Neben Südafrika und Südostasien wurde die BDS-Kampagne vor allem im Vereinigten Königreich, in Irland und Skandinavien aufgegriffen. In Norwegen begannen die Gewerkschaften bereits im Januar mit einer Kampagne zum Abzug aller staatlichen Investitionen aus Israel und 31% der Bevölkerung sprachen sich in Umfragen für einen vollständigen Boykott Israels aus (siehe dazu Tariq Ali "Stop the Gaza Massacre Rally in London). Mittlerweile hat die norwegische Regierung ihre Gelder aus dem israelischen Konzern Elbit Systems, der am Bau der Mauer beteiligt ist, abgezogen.

Universitäten

Neben Kirchen und Gewerkschaften spielen studentische Aktivisten, Hochschullehrer und akademische Verbände eine führende Rolle in der weltweiten BDS-Bewegung. Im Vereinigten Königreich, dem Libanon, den USA und Kanada haben sich Universitäten, Hochschulen und Verbände dem Boykott des israelischen akademischen Establishments, das tief in die zionistische Kolonialpolitik verstrickt ist, angeschlossen. Im Vereinigten Königreich erreichte die, der britischen Presse zufolge, „größte Studentenbewegung seit 20 Jahren“, die aus Protest gegen den Krieg 34 Universitäten besetzt hatte, daß an einigen Universitäten Produkte aus israelischen Kolonien boykottiert werden.

An der Glasgow Strathclyde University zum Beispiel gibt es seitdem kein Mineralwasser von der israelischen Firma Eden Springs mehr, das von den annektierten syrischen Golan-Höhen stammt. In den USA hat das Hampshire-College in Amherst, Massachusetts, das erste, das sich in den achtziger Jahren an der Boykottkampagne gegen das südafrikanische Apartheidregime beteiligt hatte, wiederum als erste Hochschule im Februar 2009 den Abzug der Investitionen aus sechs Konzernen beschlossen, die an der israelischen Kolonialpolitik beteiligt sind.

Viele Boykottinitiativen setzen sich einen konkreten Schwerpunkt oder nehmen einen bestimmten Konzern ins Visier. Die US-Kampagne zur Beendigung der israelischen Besatzung beispielsweise konzentriert sich auf die US-Konzerne Motorola und Caterpillar, die die israelische Kriegs- und Aufstandsbekämpfungsmaschinerie beliefern. Die ebenfalls US-amerikanische Organisation Code Pink hat im August 2009 mit einer Kampagne gegen die israelische Firma Ahava begonnen. Diese stellt in der Siedlung Mitzpe Shalem mit dem Salz des Toten Meeres, das zu einem Teil auf 1967 besetztem palästinensischem Territorium liegt, kosmetische Produkte her. In Frankreich setzen Aktivist/inn/en die Carrefour-Supermarktkette, im Vereinigten Königreich die Tesco-Supermärkte und in den USA Trader Joe unter Druck, israelische Waren aus ihrem Sortiment zu nehmen.

Supermart-Proteste

Eine besonders in Frankreich in diesem Zusammenhang beliebte Aktion ist die kollektive Begehung von Supermärkten zwecks Entfernung israelischer Waren aus den Regalen. Auf youtube gibt es mehrere Videoclips, die Aktionen in Carrefour-Supermärkten in verschiedenen Städten dokumentieren. In Europa und den USA gehören kritische jüdische Gruppen neben den Migrantencommunities zu den aktivsten Teilen der BDS-Bewegung. Das spiegelt die zunehmende Entfremdung der jüdischen Communities von der israelischen Politik bzw. dem Zionismus wider. Auch einige israelische Organisationen und Persönlichkeiten wie zum Beispiel das Alternative Information Center und der Menschenrechtsaktivist Neve Gordon rufen zum Boykott auf. Das macht es für die israelische Regierung und prozionistische pressure groups sehr schwer, wenn nicht unmöglich, die BDS-Kampagne mit einiger Glaubwürdigkeit als antisemitisch denunzieren zu können.

Rückgang des Verkaufs israelischer Waren um 21%

Die BDS-Kampagne hat bereits einige Erfolge erreicht. Schon im Februar 2009 meldete die israelische Presse, daß der Verkauf israelischer Waren aufgrund des Boykotts um 21% zurückgegangen ist. Als direkte Reaktion auf den Krieg gegen Gaza brach vor allem im Vereinigten Königreich und den skandinavischen Ländern der Verkauf israelischer Waren ein. Einer der größten Erfolge war die Kampagne gegen den französischen Konzern Veolia, der sich in Jerusalem am Bau einer Siedlerstraßenbahn beteiligte, die die Siedlungen in der Westbank mit Jerusalem verbinden soll.

Durch die „Derail Veolia“-Kampagne wurde die Verwicklung dieses internationalen unter anderem in der Müllentsorgung tätigen Konzerns in die israelische Kolonialpolitik bekannt. Stockholm, Bordeaux, irische und britische Gemeinden kündigten ihre Verträge mit ihm bzw. lehnten die Vergabe von Aufträgen an ihn ab. Nach dem Verlust milliardenschwerer Aufträge und einer andauernden Verschlechterung seines Images beschloß der Konzern im Juni 2009, sich aus dem Bau der Siedlerstraßenbahn zurückzuziehen

Diese Entwicklung wird von israelischen und US-amerikanischen Zionisten als äußerst bedrohlich angesehen. Der Journalist Ethan Bronner beschrieb die Situation bereits im März 2009 in der New York Times als die schlimmste diplomatische Krise, die Israel in den letzten beiden Jahrzehnten erlebt hat. Der israelische Botschafter in den USA, Michael Oren, bezeichnete die Boykottkampagne im Mai in einem Artikel der neokonservativen Zeitschrift „Commentary“ sogar als eine der „sieben existentiellen Bedrohungen“ Israels.

Das israelische Außenministerium hat Gelder zur Verfügung gestellt, um Israels Ansehen in der Welt durch kulturelle und informelle Diplomatie zu verbessern. Israel hat seit 2006 bereits mehrere Millionen Dollar in eine „rebranding“-Kampagne gesteckt, mit der das Image des Landes aufpoliert werden sollte- bisher ohne Erfolg. Arye Mekel, stellvertretender Generaldirektor für kulturelle Angelegenheiten im israelischen Außenministerium, kündigte im März an, daß Israel bekannte Schriftsteller, Theaterensembles und Ausstellungen ins Ausland schicken wird, um Israels „hübscheres Gesicht“ zu zeigen, damit das Land nicht nur mit Krieg in Verbindung gebracht wird2. Beispiele für Israels Propagandaauftritte nach dem Krieg sind die "Tel Aviv- Strände", die in Wien und New York aufgebaut wurden, um Israel mit Parties und Spaß in Verbindung zu bringen.

Protest von unten

Auch das diesjährige Internationale Filmfestival in Toronto, das den Schwerpunkt Tel Aviv hatte, muß dazu gezählt werden. Dort wurde Israels „hübscheres Gesicht“ gezeigt und die Realität von Besatzung und Krieg ausgespart. Veranstaltungen dieser Art sind jedoch kaum mehr ohne Proteste durchführbar. Die "Tel-Aviv Strände" wurde von Aktivist/inn/en gestört und in Toronto unterzeichneten hunderte von Künstlern und Intellektuellen eine Protesterklärung gegen diese Propagandaveranstaltung. Kritische jüdische Gruppen nutzten die Fokussierung des Filmfestivals auf Tel Aviv, um die koloniale Geschichte und Bedeutung der Stadt herauszustellen.

Es ist zu erwarten, daß der kürzlich erschienene Bericht der UN-Untersuchungskommission über den Krieg im Gaza-Streifen unter Leitung des südafrikanischen Juristen Goldstone der internationalen Boykottkampagne weiter Auftrieb geben wird. Aus dem Bericht geht hervor, daß Israel zahlreiche Kriegsverbrechen und, Goldstone zufolge, möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat. Israel wird aufgefordert, eine glaubwürdige Untersuchung dieser Verbrechen vorzunehmen. Andernfalls soll vor dem Internationalen Gerichtshof Klage gegen Israel erhoben werden. Aufgrund der Politik der US-Administration und der führenden Staaten der EU ist unwahrscheinlich, daß das tatsächlich geschehen wird. Die BDS-Kampagne allerdings könnte ein Instrument sein, in dieser Richtung Druck auszuüben.