Alter Abmahnmaulkorb statt junge Meinungsfreiheit

Ein Blogger soll für die Äußerung eines Politikers verantwortlich gemacht werden

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Die Berliner Kanzlei Kalckreuth mahnte - nach eigenen Angaben im Auftrag der Wochenzeitung Junge Freiheit - den "Womblogger" Peter Djordjevic ab. Hintergrund war ein von Mark Seibert übernommener Artikel unter Creative-Commons-Lizenz, in dem der Online-Kampagnen-Verantwortliche der Linkspartei die Zeitung als "NPD-Postille" bezeichnet hatte.

In dem Schreiben macht Rechtsanwalt Alexander Graf von Kalckreuth die Verletzung eines angeblichen "Unternehmenspersönlichkeitsrechts" der Zeitung geltend - eine Argumentation, mit der vor allem Hamburger Gerichte in den letzten Jahren sehr umfassende Verbotsansprüche gewährt hatten, die in höheren Instanzen aber mehrfach korrigiert wurden. Die Frage, ob dieses in Abmahnungen immer wieder behauptete presserechtliche "Unternehmenspersönlichkeitsrecht" überhaupt existiert, hat das Bundesverfassungsgericht bisher noch nicht entschieden. Nach Auffassung des Medienrechtsanwalts Markus Kompa gibt es allerdings "sehr gute Gründe, diese Konstruktion für ein Hamburger Hirngespinst zu halten."

Weiterhin zeigt sich Kalckreuth in seiner Abmahnung der Auffassung, dass es sich bei dem Titulat um eine unwahre Tatsachenbehauptung handeln würde. Dem widerspricht der durch Mark Seibert vermittelte Rechtsanwalt Kay Füßlein, der Djordjevic mittlerweile vertritt, unter Verweis auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. März 2008.1 Füßlein geht davon aus, dass es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um eine Meinungsäußerung handelt, weil sie "für sich genommen inhaltlich substanzarm" ist und "ergänzender Auslegung" bedarf.

Nach dieser Interpretation der als rechtswidrig bemängelte Formulierung könnte Seibert beispielsweise zu erkennen gegeben haben, dass er zwischen den in der Jungen Freiheit vertretenen Positionen und denen der NPD keinen Unterschied macht und beides in einen Topf wirft. Kalckreuths Auslegung, nach der die konservative Wochenschrift als NPD-Parteiorgan dargestellt wird, wäre dagegen fraglos unrichtig: Die NPD-Zeitung ist die Deutsche Stimme. In der Jungen Freiheit grenzt man sich stattdessen relativ klar von den Nationaldemokraten ab, weshalb regelmäßig presserechtliche Auseinandersetzungen mit der Partei laufen.

Auch Seibert geht nach eigenen Angaben davon aus, dass die angegriffene Formulierung eine zulässige Meinungsäußerung ist und verweist auf einen seiner Ansicht nach ähnlichen Fall, in dem die Junge Freiheit vor dem OLG Frankfurt die Wiedergabe der Äußerung eines Staatssekretärs im Bundesministerium der Justiz hinnehmen musste, der 2006 in einer Rede behauptet hatte, "die Junge Freiheit werde von der Jugendorganisation der NPD gelenkt" (Urteil vom 26.02.2009, Az.16 U 152/08).

Mark Seibert

Bei einer Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung kommt es freilich auch darauf an, wer etwas sagt: In der Stellungnahme einer Behörde ist eine Formulierung eher als Tatsachenbehauptung zu werten, aus dem Munde eines Politikers dagegen eher als Meinungsäußerung. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg stellte beispielsweise Ermittlungsverfahren gegen den Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly, den Stadtrat Arno Hamburger und den Abgeordneten Thomas Silberhorn wegen "Beleidigung zum Nachteil der NPD" unter anderem deshalb ein, weil es sich bei den drei Betroffenen um Politiker handelt. Von diesen dürften Meinungskundgaben nämlich "mit plakativen und auch überspitzten Aussagen verdeutlicht werden, da nur auf diese Weise hinreichende Aufmerksamkeit erlangt werden" könne.

Diese größere Meinungsfreiheit für Politiker könnte auch ein Grund sein, warum sich die Junge Freiheit, nicht an den Autor der bemängelten Formulierung wendete, der für die Linkspartei tätig ist. Zumindest hatte Mark Seibert bis gestern noch keine Abmahnung erhalten, obwohl der Text im Womblog einen deutlich sichtbaren und verlinkten Hinweis auf das bei ihm gehostete Original enthielt. Auch in anderer Weise nahmen weder die Kanzlei Kalckreuth noch die Junge Freiheit bislang Kontakt in dieser Sache zu ihm auf. Ein weiterer Grund, warum die Zeitung Djordjevic und nicht Seibert abmahnen ließ, könnte darin liegen, dass einem Linkspartei-Offiziellen potentiell andere juristische Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung stehen, als einem einfachen Blogger.

Was genau die Gründe waren, darüber kann jedoch auch deshalb nur spekuliert werden, weil die Junge Freiheit bisher jede Auskunft dazu verweigert. So ist noch nicht einmal gesichert, ob Kalckreuth überhaupt im Auftrag der Zeitung handelt, was auch Djordjevics Anwalt Füßlein bemerkte, der die Abmahnung schon aufgrund der fehlenden Originalvollmacht als unwirksam einstuft. Selbst dann, wenn eine unwahre Tatsachenbehauptung vorliegen würde, könnte Djordjevic seiner Auffassung zufolge kann nicht via Störerhaftung dafür verantwortlich gemacht werden, weil keine Überwachungs- oder Prüfpflichten des als solchen gekennzeichneten fremden Inhalts bestanden.

Womblogger Peter Djordjevic

Anders als etwa von Netzpolitik.org dargestellt, machte Rechtsanwalt Kalckreuth für seine Abmahnung durchaus konkrete Kosten in Höhe von 1023,16 Euro geltend. Peter Djordjevic gab eine modifizierte Unterlassungserklärung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht ab und schlug dem abmahnenden Anwalt eine Begleichung der Kostennote in monatlichen Raten in Höhe von 25 Euro vor, was jedoch ohne Reaktion blieb. Kay Füßlein hat ihm mittlerweile geraten, die Kostennote nicht zu begleichen und dies Kalckreuth zusammen mit seiner Vertretung mitgeteilt.

Sollte die unangekündigte kostenpflichtige Abmahnung, zu der die Junge Freiheit keine Stellung nehmen will, tatsächlich im Auftrag der Zeitung ergangen sein, hätte sich das Blatt hinsichtlich des von ihm an anderer Stelle immer wieder geforderten besseren Schutzes der Meinungsfreiheit unglaubwürdig gemacht - egal, wie Gerichte hinsichtlich der Rechtsnatur der bemängelten Formulierung entscheiden.

Bisher war der Schutz vor Abmahnungen allerdings auch kein Kernanliegen von Mark Seiberts Linkspartei, obwohl die derzeitige Situation gerade finanziell weniger gut Ausgestattete in der Ausübung ihrer Meinungsfreiheit unverhältnismäßig benachteiligt. Im Gegenteil: Die kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Lukrezia Jochimsen, sprach sich gegen Bagatelleregelungen bei Urheberrechtsverletzungen aus, weil diese den "Respekt" vor dem "Geistigen Eigentum" mindern würden. Ihr Kollege Lutz Heilmann erwirkte kurzzeitig einen landesweiten Sperrbeschlusses für die Domain Wikipedia.de und die stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert zeigte mit einer Strafanzeige gegen die Online-Enzyklopädie, dass ihre Zensurwünsche über die von CSU-Politikern hinausgehen.