Duell der Wahlbetrüger

Gegner und Befürworter des Afghanistan-Engagements versuchen mit vermeintlicher Völkerkunde, die undemokratischen Bedingungen zu ignorieren, unter denen auch die Stichwahl am 7. November vonstatten gehen wird

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Mehr als zwei Monate wurde hinter den Kulissen gestritten, wie mit dem Wahldesaster in Afghanistan umgegangen werden soll. Schon früh war klar geworden, dass bei den Wahlen im August massiv Wahlbetrug begangen wurde. Sowohl dem Amtsinhaber Hamid Karsai als auch seinem stärksten Herausforderer Abdullah Abdullah konnten Wahlbetrug nachgewiesen werden. Karsai hatte als amtierender Präsident mehr Möglichkeiten dazu und wollte sich schnell zum Wahlsieger ausrufen lassen. Weil er eine Stichwahl vermeiden wollte, musste sein Team den Eindruck erwecken, er habe mehr als 50 % der Stimmen bekommen.

Dieses plumpe Manöver wäre vielleicht unter der Bush-Regierung abgesegnet worden. Doch die neue US-Regierung ist mit der Karsai-Regierung unzufrieden, die auch als Erblast der Bush-Jahre betrachtet wird. Zum Unmut dürfte beigetragen haben, dass sich Karsai, wenn er sich an das afghanische Publikum wandte, bei dem es sich in seinem Fall meist um die islamischen Warlords handelt, die sich außenpolitisch prowestlich geben, durchaus kritisch über die USA-Politik geäußert hat.

Doch gravierender dürfte sein, dass es Karsai nicht gelungen ist, seine Macht wirklich über Kabul hinaus auszudehnen. Nicht nur die oft pauschal als Taliban bezeichneten antiwestlichen Islamisten machen ihm zu schaffen. Auch die die vom Westen gesponserten Warlords haben sich ihren Regionen eine eigene Machtbasis geschaffen und ignorieren Karsai. Die besonders plumpen Wahlbetrugsversuche der Karsai-Administration machen nur noch einmal seinen Autoritätsverlust deutlich.

Stichwahlen unter schlechten Bedingungen

Nun also hat Karsai gute Mine zum bösen Spiel gemacht und sich zur Stichwahl bereit erklärt. Dafür wurde er vom UN-Generalsekretär gelobt. Das ist schon etwas seltsam bei einem Präsidenten, der gerade mühsam davon abgehalten werden konnte, sich durch Wahlbetrug an der Macht zu halten.

Das Lob dürfte eines der Zugeständnisse sein, die sich Karsai in den zähen Verhandlungen hinter den Kulissen erstritten hat. Schließlich hatte er noch Trümpfe in der Hand. Durch eine weitere Hinhaltetaktik wäre eine Stichwahl in den nächsten Monaten nicht mehr möglich gewesen, weil die nötige Infrastruktur nicht für die Bedingungen des strengen afghanischen Winters ausgelegt ist. Mit dem 7. November wurde von den Witterungsverhältnissen her gesehen ein vielleicht gerade noch akzeptabler Termin gefunden.

Doch für die Verhinderung eines erneuten Wahlbetrugs ist der Termin kaum geeignet. So hat der EU-Ratspräsident Carl Bildt darauf hingewiesen, dass es innerhalb weniger Wochen kaum möglich sein wird, genügend internationale Wahlbeobachter aus EU-Ländern nach Afghanistan zu entsenden. Die aber hatten bei der Wahl im August wesentlich mit dafür gesorgt, dass die Betrügereien auch international bekannt geworden sind. Das Signal an beide Bewerber lautet, ein erneutes wochenlanges Gezerre um die Legitimität der Wahlen wird es dieses Mal nicht geben. Das dürfte für beide Kandidaten, denen im ersten Wahlgang Betrug nachgewiesen worden war, beruhigend sein.

Mit oder ohne Karsai?

Allerdings ist Karsais Sieg nicht sicher. Wer die Nase vorn haben wird, dürfte vor allem davon abhängig sein, wie groß das Interesse der USA ist. Hat die US-Regierung Interesse an einen Neuanfang mit Abdullah, der sich im Wahlkampf verbal als besserer Vertreter der US-Interessen dargestellt hat, oder ist ihnen ein geschwächter Karsai lieber, der durch den Zwang in die Stichwahl die Macht des Verbündeten zu spüren bekommen hat? Wenn sich die aussichtslosen Kandidaten, die bei den letzten Wahlen noch um auf der Bewerberliste standen, mit US-Unterstützung auf Abdullah einigen, hätte er große Chancen. In der Praxis würde das natürlich auch bedeuten, dass bei dem einen Bewerber über Unregelmäßigkeiten an der Wahlurne mehr hinweggesehen wird als beim Anderen. Auch ein äußerst knappes Ergebnis und eine nachfolgende Einheitsregierung wären ein denkbares Szenario, das schon in den letzten Wochen diskutiert worden war. Abdullah hatte schon Zustimmung signalisiert. Allerdings sind solche Einheitsregierungen, wie die Beispiele Zimbabwe und Kongo zeigen, keineswegs eine Garantie von Stabilität sondern oft die Fortsetzung des Machtkampfes auf Regierungsebene.

Demokratische Kräfte ignoriert

Bei der Frage, wer die neue afghanische Regierung stellen soll, ist die kleine Demokratiebewegung in dem Land weitgehend ausgeschlossen. Dazu gehört auch die Islamkritikern Malalai Joya, die nach Morddrohungen durch prowestliche Islamisten und Warlords ihr Mandat verloren hat und untertauchen musste. In ihrem gerade erschienenen Buch „Ich erhebe meine Stimme“ spricht sie sich für einen Abzug der fremden Truppen aus Afghanistan aus, denen sie vorwirft, keineswegs die Demokratie in ihrem Land zu fördern.

Doch ausgerechnet in der grünennahen Taz wirft eine Rezensentin Joya vor, keine gute Politikerin zu sein, weil sie nicht kompromissbereit genug sei. Viel besser kommt in der Sammelrezession dagegen Kerstin Tomiak weg, die über ihre Zeit als Öffentlichkeitsarbeiterin für die Bundeswehr ein Buch geschrieben hat und natürlich voll des Lobes über das Engagement der Militärs ist.

Afghanische Völkerkunde

Solche Stimmen sind in Deutschland keine Seltenheit. Je robuster die Bundeswehr in Afghanistan involviert ist, desto mehr werden kritische Stimmen an den Rand gedrängt. Die ursprüngliche Begründung, es gelte in Afghanistan die Demokratie zu verteidigen, wird ersetzt durch den Verweis auf vermeintliche Sachzwänge und afghanische Völkerkunde. Da die Bundeswehr nun mal dort ist, müsse sie auch unterstützt werden. Dann nerven Autorinnen wie Joya nur, die das Engagement für die Menschenrechte ernst nehmen. Die aber dürfte es in Afghanistan gar nicht geben, wenn man den vermeintlichen Völkerkundlern Glauben schenkt, die uns das afghanische Wesen erklären und die sich sowohl unter den Gegnern als auch unter den Befürwortern des Afghanistan-Einsatzes befinden.

Wie die Sowjets werde auch die Nato mit ihrem Engagement in Afghanistan scheitern, lauten zusammengefasst die Botschaften von Peter Scholl-Latour oder Jürgen Todenhöfer, die für einen schnellen Abzug de Bundeswehr plädieren. Dabei reiste Todenhöfer als CDU-Politiker Anfang der 80er Jahre persönlich zu den gegen die Rote Armee und der mit ihr verbündeten afghanischen Regierung kämpfenden Islamisten und warb für deren internationale Unterstützung. Diese und nicht der afghanische Mensch oder Clan als solcher bereiteten nicht nur der Roten Armee eine Niederlage. Auch die damals eingeführten Frauenrechte sowie das Recht auf Bildung und Gesundheit waren danach verloren.

Der Verweis auf die angebliche afghanische Mentalität erlaubt auch den Befürwortern des Militäreinsatzes über das ganz und gar nicht demokratische Prozedere der Wahlen hinweg zu sehen. „Die Afghanen sind nicht reif für Wahlen“, heißt dann die Begründung für das Wahldesaster. Wichtig ist dann nur, dass der künftige afghanische Präsident die Soldaten nicht bei der Verteidigung „unserer“ Sicherheit am Hindukusch stört.

Dass es auch Kritik am Afghanistan-Engagement der Bundeswehr ohne Verweis auf die Völkerkunde gibt, zeigte die Initiative des Fuldaer DGB. Er reagierte mit einer Erklärung für einen Truppenabzug auf das militärische Brimborium bei der Beerdigung eines jungen Fuldaers reagierte, der als Soldat in Afghanistan war und kürzlich an den Spätfolgen eines dort erlittenen Attentats gestorben war.