Hormonelle Gleichschaltung einer Nation

US-Wissenschaftler haben zu den Präsidentschaftswahlen im November einen Versuch durchgeführt, um zu erkunden, ob das Bekanntwerden des Wahlergebnisses zur erhöhten Ausschüttung von Hormonen führt

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Die Annahme war, dass es bei Wahlkämpfen ähnlich wie bei anderen Kämpfen um Sieg und Dominanz geht. Bekannt ist, dass bei Männern, wenn sie gewinnen, der Testosteronspiegel steigt, während er bei den Verlierern abfällt. Das ist gewissermaßen eine biologische Einverständniserklärung, der Unterlegene zu sein und den Sieg des Gegners anzuerkennen. Frauen sprechen hormonell auf Kämpfe mit Siegern und Verlierern nicht an. Bekannt ist auch, dass sich diese physiologischen Veränderungen auch bei den Anhängern von Fußballmannschaften einstellen. Da geht beim Zuschauen der Blutdruck in die Höhe, beschleunigt sich die Atemfrequenz, werden Adrenalin und und Cortisol freigesetzt.

Wenn die favorisierte Mannschaft eines Mannes gewinnt, dann steigt ebenfalls der Testosteronspiegel im Blut um ein Fünftel an, verliert sie, sinkt sie entsprechend, wie Paul Bernhardt und Kollegen von der University of Utah herausgefunden haben. Wenn sich das auch bei wichtigen Präsidentschaftswahlen so abspielen würde, wäre dies immerhin ein beachtlicher Effekt zumindest für viele Millionen Männer, deren Testosteronspiegel in die Höhe schießt oder absinkt. Hormonell würden Anhänger des Gewinners und der Verlierer in diesem Sinne landesweit gleichgeschaltet.

Um zu prüfen, ob dies auch bei Anhängern eines politischen Kandidaten so ist, ließen die Wissenschaftler der Duke University und der University of Michigan, wie sie in ihrem Beitrag Dominance, Politics, and Physiology: Voters' Testosterone Changes on the Night of the 2008 United States Presidential Election für das Open-Access-Magazin PLoS One schreiben, 183 Frauen und Männer am 4. November 2008 um 20 Uhr, also nach Schließung der Wahllokale, einen Kaugummi kauen, um dann eine Speichelprobe zu machen. Dieselbe Prozedur geschah um 23.30 Uhr nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse, danach noch zwei Mal nach 20 und 40 Minuten. Zur Kontrolle wurden jeweils Proben auch am 3. und 5. November gemacht. Die Proben, die die Versuchspersonen am Tag danach ins Labor brachten, wurden auf Testosteron und andere Stresshormone untersucht. Als Sieger ging Barack Obama hervor, der Republikaner John McCain oder der libertäre Kandidat Robert Barr waren die Verlierer.

Normalerweise geht der Testosteronspiegel bei den Männern während der Nach leicht zurück. In der Wahlnacht blieb jedoch bei den männlichen Obama-Wähler von 20 Uhr bis zur letzten Speichelprobe entgegen dem üblichen nächtlichen Absinken konstant, was die Wissenschaftler als Anstieg des Testosteronspiegels werten. Bei den McCain- und Barr-Wählern sackte nach Bekanntwerden des Ergebnisses der Testosteronspiegel ab – obgleich Barr keinerlei Chancen zu gewinnen hatte, die Anhänger also die Niederlage antizipieren konnten. Bei den Frauen, gleich ob Obama- oder McCain-Anhängerinnen, blieb der Testosteronsiegel stabil. Im Hinblick auf die Unterstützung ihres Kandidaten, die Erwartung, ob ihre Kandidat gewinnen wird, ihren Konservatismus, ihren Alkoholkonsum oder der Zahl der Menschen, mit denen sie die Wahl im Fernsehen anschauten, gab es zwischen den Geschlechtern keine Unterschiede. Wie zu erwarten waren die Anhänger und Anhängerinnen von McCain und Barr nach der Niederlage, wie aus Fragebogen hervorging, deutlich unglücklicher, unterwürfiger, ärgerlicher und zusammengerissener als die Obama-Wähler. Das dürfte aber wohl kaum mit dem Testosteron-Abfall zusammenhängen, wenn es bei den Frauen genauso der Fall war wie bei den Männern.

Die Wissenschaftler überlegen nun, ob Männer auch in anderen Situationen, wo es um Kämpfe und Gewinnen und Verlieren geht, ähnlich reagieren wie im Sport oder bei Präsidentschaftswahlen. Möglicherweise, so spekulieren sie, könnte es auch auf internationaler Ebene bei Machtkämpfen wie gewonnenen oder verlorenen Kriegen oder in der Wirtschaft ähnlichphysiologisch zugehen. Deutlich scheint aber zu sein, dass der homo rationalis, zumal in der männlichen Version, ähnlich wie beim Zocken an der Börse hormongetrieben ist. Interessant ist auch, dass Zuschauer und Akteure ähnlich reagieren. Auch Telepräsenz beteiligt den Körper am Geschehen.